Zwei Bücher über China: Das Große China-Lexikon und Höllmanns Kulturgeschichte des Alten China

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Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2008

Besprechung:
Thoman O. Höllmann, Das alte China – Eine Kulturgeschichte, C.H.Beck, München 2008, 328 Seiten, Einband mit Schutzumschlag, € 29.90, ISBN 978-3-406-57071-1.

Brundhild Staiger, Stefan Friedrich, Hans-Wilm Schütte (Hrsg), Das große China Lexikon, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, XX, 974 Seiten, € 49.90, ISBN 978-3-89678-633-3. (Sonderausgabe 2008 im Primus Verlag).

Kurz vor Beginn der Olympischen Spiele in Peking 2008 steht China im Mittelpunkt des Weltinteresses. Ungelöste Probleme werfen Schatten über ein Sportfest, das die besten Athleten der Welt in heiterer Stimmung und im Wettstreit um olympische Ehren vereinen soll. Smog über Peking, Pressezensur, Tibet und die Menschenrechte sind nur einige der Themen, die nicht so recht in das Bild eines Gastgebers für die Jugend der Welt passen. Auf der anderen Seite steht ein bewundernswerter wirtschaftlicher Aufschwung einer der ältesten Kulturnationen der Welt, die immerhin so wichtige Erfindungen wie das Papier, den Buchdruck, die Herstellung von Porzellan, das Axialruder, den Kompaß aber auch das Schießpulver für sich beanspruchen kann. Die Große Mauer, das monumentalste Bauwerk dieser Welt, die Verbotene Stadt, ein Kaiserpalast, der alle anderen Palastanlagen klein erscheinen lässt, die philosophischen Lehren eines Konfuzius oder Lao-Tse, die wundervollen Landschafts- und Blumenbilder aus der Zeit der Song-Dynastie – was ist das für ein Volk das auf solche kulturellen Leistungen zurückblicken kann und das sich anschickt, einer der wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Faktoren des 21. Jahrhunderts zu werden? Aus der Fülle kürzlich erschienener Literatur über China sollen hier zwei Bücher herausgegriffen werden, die dieses Informationsbedürfnis auf ganz unterschiedliche Weise erfüllen und einander durchaus ergänzen. Bleiben wir beim Sport: Einer der 450 alphabetisch angeordneten Artikel des großen Lexikons ist dem Sport in China gewidmet und er informiert knapp aber gründlich über das seit Gründung der Volksrepublik China errichtete System staatlicher Sportförderung. Es überrascht nicht, zu lesen, dass marktfähige und international angesehene Sportarten besondere staatliche Gunst genießen, allen voran Fußball, auch wenn hier das Ziel, den Anschluss an die Weltspitze zu erreichen, noch nicht geschafft wurde. In der Kulturgeschichte von Thomas Höllman, Professor für Sinologie und Ethnologie an der Uni München, lesen wir dann, dass schon der Dichter Li You aus der Zeit der Han-Dynastie eine Hymne auf den Fußball mit den Worten „Der Ball ist rund …“ einleitete und dass die Erfindung des Fußballspiels dem Huangdi, dem „Gelben Kaiser“ zugeschrieben wird, einem legendären Herrscher, dessen Lebenszeit gerne in das dritte Jahrtausend vor Chr. verlegt wird. Der Informationsbereich des Lexikons wird mit Gesellschaft, Staat, Politik und Recht, Auswärtigen Beziehungen, Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft, Informationswesen Geographie, Geschichte, Ideengeschichte und Religion, Sprache und Schrift, Literatur und Kunst angegeben und es ist dazu noch anzumerken, dass umfangreiche Register, getrennt nach Personen, Sachbegriffen und Orten, die einzelnen Artikel erschließen und so auf fast jede auftauchende Frage zu China eine Antwort finden lassen. Der Kulturgeschichte des alten China, die fast keines der vorgenannten Themen auslässt, liegt eine andere Idee zugrunde: Anhand von 60 ausgewählten und im Bild gezeigten, archäologischen Artefakten (Keramik, Malerei, Textilien, Urkunden, Gefäße, Skulpturen und viele andere mehr) werden kulturelle Schlagworte wie „Haus und Hof“, „Maß und Macht“, „Geld und Glück“ oder „Roß und Reiter“ in kurzen Essays behandelt. Während die 261 internationalen Fachautoren des Lexikons in knapper und sachlicher Form erfolgreich ein Höchstmass an komprimierter Information geben – ohne in einen schwer lesbaren Lexikon-Stil zu verfallen – gefällt bei Höllmann ein flüssiger, literarischer Stil, den nur beherrscht, wer sich souverän und mit großem, beinahe unerschöpflichen Wissen in seinem Fachgebiet bewegt. Zeitlich reicht diese Kulturgeschichte von der Gründung des Kaiserreiches durch Qin Shihuangdi im Jahre 221 v.Chr. bis zum Jahr 1279, der Unterwerfung des Reiches durch die Mongolen und der Eingliederung in ihr Imperium. Dieses alte China wird vom Großen Lexikon durchaus nicht vernachlässigt, jedoch liegt dessen inhaltlicher Schwerpunkt in weitaus stärkerem Maße auf der Gegenwart (Wissensstand: 2002), wobei in großem Umfang eigene Anschauung und Feldforschung der Autoren aber auch chinesische statistische Quellen und Forschungsergebnisse verwertet wurden. Auch Höllmann bezieht sich vielfach auf chinesische Quellen und zitiert aus antiken Schriften, die fast durchweg eigens für dieses Buch übersetzt wurden. Darüber hinaus finden sich bei Höllmann reiche Hinweise auf weiterführende Literatur, die im Lexikon völlig fehlen. Daraus erhellt der Unterschied der beiden Werke: Während das große Lexikon aus sich selbst heraus umfassende Information liefert, versucht die Kulturgeschichte des alten China durch anekdotisch voyeuristische Einblicke eine authentische Atmosphäre zu schaffen, die den Leser zu weiterem Studium animiert. Da er die weiterführende Literatur in der Regel nicht zur Hand hat, greift er zum Lexikon. Nehmen wir das Beispiel Frau in China. In Höllmans Kapitel „Frauenträume“ rätselt der Autor über die Herkunft einer kostbaren Goldkette, die im Grab einer im Jahre 609 n.Chr. verstorbenen Prinzessin gefunden wurde, erzählt über die Chancen und Risiken der hohen Geburt und die deutliche Benachteiligung der Mehrzahl der weiblichen Bevölkerung. Allein die privilegierte Herkunft konnte vor der gesetzlichen Diskriminierung, etwa dem in einem Tang-Kodex verankerten Scheidungsgrund der „weiblichen Schwatzhaftigkeit“ schützen. In der nüchternen Sprache des Lexikons liest man, dass die Frauen der Oberschicht ihren Handlungsspielraum in größerem Maße nutzen konnten, während das Los der Frauen der ländlichen und städtischen Unterschichten vom permanenten Kampf ums Überleben geprägt war und sich ihr familiärer Status nach dem Wert ihrer Arbeitskraft in der Familienökonomie und nach der Geburt männlicher Nachkommen bemaß. Entsprechend zitiert Höllmann zur Praxis der Tötung neugeborener Mädchen aus einem Familienratgeber aus dem Jahre 589 und im Lexikon lesen wir, dass vor allem die aktuelle Ein-Kind-Politik für die Geringschätzung und Vernachlässigung von Mädchen im modernen China verantwortlich ist. So bleibt es bei der Bewertung, dass sich die beiden Werke wunderbar ergänzen, auch wenn das eine seinen Platz auf dem Nachttisch haben wird und das andere im Bücherregal.

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