Liturgische Gewänder in der Schwarzen Kirche zu Kronstadt in Siebenbürgen

Autor/en: Evelin Wetter, Agnes Ziegler, Corinna Kienzler
Verlag: Abegg-Stiftung
Erschienen: Riggisberg 2015
Seiten: 484 und 160 in zwei Bänden
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: CHF 195,00
ISBN: 978-3-905014-63-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2015

Besprechung:
Die Kenntnis mittelalterlicher Textilkunst verdanken wir zu einem großen Teil der Überlieferung in norddeutschen Kirchenschätzen. Liturgische Gewänder der Pfarrkirchen zu Danzig und Stralsund, des Brandenburger Doms oder des Domstifts Halberstadt sind so etwas wie das textile Gedächtnis Europas und sie sind, oft von oder unter Mitwirkung der Abegg-Stiftung glänzend wissenschaftlich dokumentiert. Dass auch die Schwarze Kirche im siebenbürgischen Kronstadt, dem heutigen rumänischen Brasov, einen bedeutenden mittelalterlichen Paramentenschatz bewahrt, war bis in die jüngste Zeit nur wenigen Informierten und Insidern bekannt. Und wieder ist es der Abegg-Stiftung zu danken, hier vor allem ihrer Kuratorin und Autorin des nun vorliegenden Bandes, Evelin Wetter, dass dieser Schatz nun in einer – wie könnte es anders sein – beispielhaften Publikation vorgestellt wird, die das Wissen über die textilen Künste des Mittelalters um zahlreiche, bis jetzt unbekannte Facetten erweitert. Sechs Pluviale, ein Behang, der ein einstiges Pluviale erkennen lässt, zwölf Kaseln und schließlich zwei separate Kaselkreuze werden in dem Katalog nach ihren jeweiligen Bestandteilen, ihrer Konstruktion, den kunsthistorischen Zusammenhängen sowie den erkennbaren Umarbeitungen und Veränderungen, die bis in das 19. und 20. Jahrhundert hinein stattgefunden haben, untersucht, beschrieben und analysiert. Auch wenn Dalmatiken, Stolen, Manipel und andere Bestandteile vollständiger liturgischer Ausstattungen fehlen, ist der Quellenwert dieses Paramentenschatzes ganz außerordentlich. Alle Objekte weisen mittelalterliche Bestandteile auf, sei es in Gestalt der Oberstoffe oder der schmückenden Bildstickereien, und alle liturgischen Gewänder sind aus prächtigen, goldverzierten Samten des 15. und frühen 16. Jahrhunderts gefertigt. Kronstadt war in jener Zeit ein zentraler Handelsort am Schnittpunkt wichtiger Handelsrouten zwischen Ost und West und so kann es kaum erstaunen, dass viele der verwendeten Samte osmanischer Herkunft sind, auch wenn der rege Austausch und die wechselseitige Beeinflussung in Dekor und Technik zwischen den italienischen und den osmanischen Webzentren jener Zeit eine exakte Lokalisierung nach dem heutigen Erkenntnisstand kaum zulassen. Ein Highlight von besonderer Schönheit und Pracht ist das Kronstädter „Kaftan-Pluviale“, bei dem es sich um den einzigen bis heute nachweisbaren in einem westkirchlichen Parament aufgegangenen osmanischen Kaftan handelt.

Der Katalog, das textile Herz dieser Publikation, mit durchschnittlich 12 Seiten Dokumentation für jedes der vorgestellten Gewänder und mit zahlreichen Abbildungen in toto, im Detail und von Vergleichsstücken bedarf keines weiteren Kommentars; er ist einfach vollständig, perfekt, auf dem aktuellsten Stand der textilen Wissenschaft und für jeden Liebhaber, Sammler und sonst an mittelalterlichen Textilien Interessierten eine Fundgrube an Wissen, spannend und lesenswert. Was hier aber ganz besonders zu erwähnen ist und was dieses Buch weit über das textile Thema hinaus auszeichnet, ist die sorgfältige Schilderung des historischen Kontextes dieser liturgischen Gewänder. Eingebettet in die Darstellung der Geschichte Siebenbürgens lesen wir über die Bedeutung und Folgen der Reformation, über die weitere Verwendung mittelalterlicher Paramente im protestantischen Gottesdienst und vor allem über die überaus interessante und wechselhafte Geschichte der Schwarzen Kirche in Kronstadt. Errichtet als katholischer Dom ertrug er den reformatorischen Bildersturm des 15. Jahrhunderts, fiel im 17. Jahrhundert fast einer katastrophalen Feuersbrunst zum Opfer, wurde wieder aufgebaut und nach wechselnden Vorstellungen bis zur heutigen musealen Präsentation türkischer Teppiche ausgestattet.

Die Geschichte Siebenbürgens beginnt im 12. Jahrhundert als ungarische Könige Siedler in ihr Land holten, die „Saxones“ oder Sachsen, deren Nachkommen das Gebiet bis in die Gegenwart prägen. Sie erhielten weitreichende Privilegien und sie waren es, die im 15. Jahrhundert ihren Dom errichteten, das bedeutendste Bauwerk der Spätgotik in Südosteuropa. Die Reformation machte aus dem multiethnischen Kronstadt eine multikonfessionelle Gemeinde und aus dem Dom eine evangelische Stadtpfarrkirche. Ihre herausragende Bedeutung für die Entwicklung der rumänischen Identität und damit ihre Aufnahme in das nationale Kulturerbe wurde von diesem Funktionswandel jedoch nie berührt. Der reformatorische Bildersturm, vor allem aber der verheerende Stadtbrand von 1689, der nur die geschwärzten Mauern der Kirche übrig ließ – daher auch der Name „Schwarze Kirche“ – haben bis heute Einfluss auf die Ausstattung des Kirchenraums aber auch auf die liturgische Nutzung vorreformatorischer Gewänder. Im Gegensatz zu einer radikal reformatorischen Praxis wurde der Gebrauch von Messgewändern in Siebenbürgen als ein „Mittelweg“ toleriert, ermöglichte so deren weitere kirchliche Nutzung bis weit in das 19. Jahrhundert hinein und damit auch ihre Bewahrung bis heute. Dieselbe Toleranz war wohl im Spiel als die Kirche in den Jahren des Wiederaufbaus nach dem großen Brand in großer Zahl von Kaufleuten und Honoratioren gestiftete osmanische Teppiche annahm. Beides, die weitere Nutzung vorreformatorischer Messgewänder und die Aufnahme muslimischer Teppiche in den Kirchenschatz ist nicht nur Ausdruck konfessioneller Toleranz, sondern auch ein Zeichen der hohen Wertschätzung, die man ohne Rücksicht auf religiöse Symbolik kostbaren Textilien über Generationen und Jahrhunderte hinweg zollte. Die heutige Ausstattung des Kircheninnenraums mit Dutzenden dieser „Siebenbürger“ Teppiche ist, wie Evelin Wetter darlegt, allerdings keine historische Praxis, sondern Folge einer „Musealisierung“ der Schwarzen Kirche im 20. Jahrhundert. Sie sind gleichwohl ebenso wie die mittelalterlichen Paramente Ausdruck der wirtschaftlichen und kulturellen Vernetzung einer Stadtgemeinde zwischen Orient und Okzident.

Der 160 Seiten starke Begleitband enthält ausführliche Zusammenfassungen aller Essays in rumänischer, ungarischer und englischer Sprache.

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