Töchter der Steppe, Söhne des Windes – Gold und Silber der Turkmenen

Autor/en: Jürgen Wasim Frembgen
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2015
Seiten: 144
Ausgabe: Harcover
Preis: € 29,90
ISBN: 978-3-7774-2413-2 (Verlagsausgabe)
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2015

Besprechung:
Schmuck kann vieles zum Ausdruck bringen. Über seine Form und Schönheit hinaus, die das Gesicht oder den Körper der Person, die ihn trägt, betont und hervorhebt, ist er ein Zeichen von Rang, Status und Prestige. Er informiert über Wohlstand, über gesellschaftliche Zugehörigkeit, über religiöse Bindungen und er ist Träger von Botschaften. Die Funktionen von Schmuck erschöpfen sich also keineswegs in der Präsentation des Wertes von Edelmetall, schönen Steinen und handwerklicher Leistung. Aufgrund der Symbolik bestimmter Formen und Motive und der magischen Kraft bestimmter Zeichen kann Schmuck der Kommunikation mit übermenschlichen Wesen und Mächten dienen. Als Amulett soll er vor Unglück, Krankheit oder dem bösen Blick Dritter schützen und zu Fruchtbarkeit, Gesundheit und Glück verhelfen. Schmuck ist also eine Sprache, die in jeder Kultur ihre besondere Bedeutung hat und in eigener Weise überliefert und gelernt wird. Doch sind schon die Bedeutungen, Inhalte und Funktionen von Schmuck aus dem eigenen Kulturkreis und dessen Wandlungen über die Zeit nicht jedem und nicht ohne weiteres geläufig, so ist der Schmuck ferner Völker und Stämme wie eine Fremdsprache, deren Verständnis erst erlernt werden muss. So ist es auch mit dem Schmuck der Turkmenen, der sich, seit er erstmals in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in nennenswerten Mengen auf den Markt kam, aufgrund seiner Ästhetik, seiner eindrucksvollen Klarheit und strengen Schönheit, wie es ein Kenner formuliert hat, rasch zu einem beliebten Sammelobjekt entwickelte.

Die von Ursula und Kurt Rossmanith dem Museum Fünf Kontinente in München als Schenkung übereignete Sammlung von Turkmenenschmuck ist nach Umfang und Qualität von hohem Anspruch und kann mit ihren herausragenden Beispielen, ergänzt um Textilien und Teppiche, in einer Ausstellung im Museum Fünf Kontinente noch bis Januar 2016 besichtigt werden. Der von Jürgen Wasim Frembgen, dem Kurator der Orientabteilung geschriebene Katalog ist, um bei der Metapher des Schmuckes als Sprache zu bleiben, ein unentbehrliches Lexikon für das Verstehen der Sprache des Turkmenenschmuckes. Beginnend mit der Ästhetik gelangt der Autor über die Beschreibung und Erklärung der Symbole schließlich zu den überlieferten magischen Wirkungen von Schmuck. Was in den Augen des Sammlers und Connaisseurs in erster Linie Gefühle der Harmonie und Ästhetik anspricht, war in den Augen turkmenischer Silberschmiede und der Trägerinnen dieses Schmucks – turkmenische Mädchen und Frauen – vor allem Ausdruck der Verbundenheit mit ihren mythischen Ahnen, ihres Wunsches nach reicher Nachkommenschaft und ihres Vertrauens, mit Hilfe der Symbolkraft der Schmuckstücke vor allem vor bösen Mächten geschützt zu werden. Es ist faszinierend, durch die erklärenden Texte des Autors zu lernen und zu erfahren, wie sich trotz der Beschränkung auf das Material Silber und den Schmuckstein Karneol, mit einer Reduzierung auf strenge geometrische Formen und einem meist nur mittels Feuervergoldung vorgetragenen dekorativen Vokabular sowohl geometrischer wie floraler Muster oder zoomorpher Ornamente, ein ungeheurer Reichtum an Symbolik und magischer Bedeutung entfaltet. Die Arabeske als typische Zierform islamischer Ästhetik und Grundform dieses dekorativen Vokabulars, tiergestaltige Motive aus vorislamischer Zeit wie Vogelköpfe und Widderhörner oder auch die Tulpe als islamisches Symbol des Lebens sollen hier nur als einige Beispiele für die Vielfalt des bedeutungsvollen Dekors genannt werden.

Die Sprache des Schmucks erschließt sich für den Leser des Kataloges aber nicht nur durch diese objektbezogenen Ausführungen, sondern vor allem auch durch die Darstellung der Geschichte der Turkmenen, die Beschreibung ihres Lebensraumes und der ihnen möglichen Wirtschaftsformen in den zentralasiatischen Wüsten, Steppen und Oasen. Als freiheitsliebende Nomaden wurden sie spätestens seit dem 19. Jahrhundert ein Element der Unruhe zwischen den Machtblöcken der Russen und Perser und mussten ihre Unabhängigkeit und Freiheit in kriegerischen Auseinandersetzungen behaupten. Es ist dies der Zeitraum, aus der der Schmuck der Sammlung Rosmanith im Wesentlichen stammt und er hatte in dieser unruhigen Zeit eine weitere wichtige Funktion zu erfüllen. Schmuck war neben allem anderen auch die Familienversicherung für Notzeiten. Solche Notzeiten, verheerende Hungersnöte, diese nicht zuletzt als eine Folge der zwangsweisen Seßhaftmachung der Nomaden, waren es, die in den siebziger Jahren der 20. Jahrhunderts den Turkmenenschmuck von einem kaum bekannten ethnologischen Objekt zum beliebten Sammelgebiet machten. Der Katalog von Jürgen Wasim Frembgen ist für dieses Sammelgebiet und die fremde Welt, die er uns erschließt, ein ausgezeichneter Führer und er zeigt – last not least – neben dekorativen Frauenkleidern wie den reich bestickten Tschirpis und männlichen Accessoires wie Waffen und Pferdeschmuck auch noch einige schöne Exemplare aus der seit Jahrzehnten nicht mehr gezeigten bedeutenden Kollektion turkmenischer Teppiche des Sammlers Toni Woger. Über den Schmuck hinaus gewährt der Katalog damit einen Einblick in die materielle Welt der Turkmenen.

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