The Sultans World – The Ottoman Orient in Renaissance Art

Autor/en: Robert Born, Michal Dziewulski, Guido Messling
Verlag: Hatje Canz Verlag
Erschienen: Ostfildern 2015
Seiten: 296
Ausgabe: Hardcvover
Preis: € 49,80
ISBN: 978-3-7737-3966-5
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2015

Besprechung:
Der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ist eines der großen politischen Themen Europas im frühen 21.Jahrhundert. Die wirtschaftliche Potenz der Türkei, ihr hervorragendes Wachstumspotenzial, ist unbestritten, und in der NATO ist sie ohnehin schon längst ein wichtiger und unverzichtbarer Partner der westlichen Welt. Doch passt ein islamischer Staat, dessen Staatsgebiet nur zu einem ganz kleinen Teil in Europa, sonst aber auf dem asiatischen Kontinent liegt, in die Europäische Union? Und wie ist es in diesem Land mit den Menschenrechten und mit der Demokratie bestellt? Andererseits kann die Rolle türkischer Gastarbeiter für die wirtschaftliche Entwicklung der Europäischen Union ebenso wie die Präsenz voll integrierter Türken in den Staaten der EU kaum überbewertet werden, auch ist die schiere Menge europäischer Touristen für beide Seiten ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Diese und viele andere mehr sind Fakten, Fragen und Probleme, über die man leicht vergisst, dass Europa und die Türkei, besser Europa und das Osmanische Reich eine mittlerweile 600 Jahre lange gemeinsame Geschichte miteinander verbindet. Es war im späten 14. Jahrhundert, als die Osmanen mit ihren raschen militärischen Erfolgen in Südosteuropa erstmals ins Bewusstsein Europas drangen. In rascher Folge fielen Thessalien, Bulgarien, Serbien, Bosnien und die Walachei, bevor die Osmanen mit der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1453 ein Fanal setzten. Der rasche Vormarsch ins Herz des Kontinents, die Invasion von Otranto (1480), die Auflösung des Königreichs Ungarn nach der Schlacht von Mohács (1526) und die Belagerung von Wien (1529) verunsicherten Europa und die „türkische Gefahr“ war in aller Munde. Doch das war nicht alles. In Europa war Renaissance, das von der Vormacht der Kirche und feudalen Ordnungen geprägte Mittelalter war Vergangenheit und man befand sich an der Schwelle zur Neuzeit. Humanistisches Gedankengut, eine Rückbesinnung auf das klassische Altertum und neuer Reichtum durch blühenden Handel ließen eine ganz neue, weltliche Kultur entstehen. Und es war auch das Zeitalter großer geographischer Entdeckungen und Bildungsreisen. Der Orient und die osmanische Kultur wurden aller kriegerischer Auseinandersetzung und Furcht zum Trotz zur Quelle der Faszination westlicher Denker, Wissenschaftler und Künstler. Diese Neugier war durchaus wechselseitig und trotz der militärischen Konflikte begann ein reicher Austausch von Ideen, von Waren und von Kunstobjekten. Dieser Annäherung von Ost und West zur Zeit der Renaissance ist eine von der Europäischen Union in Kooperation mit der Türkei organisierte Ausstellung mit großem Katalog gewidmet, die noch bis zum 31. Mai in Brüssel und von Juni bis September in Krakau zu sehen ist. Den Cover des Kataloges ziert das um 1575 von Paolo Veronese gemalte Portrait des osmanischen Sultans Bayezid I aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und es steht zugleich für ein kennzeichnendes und wichtiges Kapitel dieser Annäherung verschiedener Kulturkreise, das – man staune – zunächst von Malern geschrieben wurde. Den Anfang machte 1479 der Venezianer Gentile Bellini, der auf Wunsch von Sultan Mehmed II von der Serenissima nach Konstantinopel gesandt wurde und dort nicht nur das berühmte Portrait des Sultans malte – es hängt heute in der Londoner National Gallery – sondern mit weiteren Bildnissen und Ansichten unmittelbare Kunde aus der Türkei nach Europa brachte. Doch Bellini war nur der erste, dem weitere Künstler wie der Flame Pieter Coecke van Alst, der Deutsche Melchior Lorck und viele andere folgten. Die Faszination und Neugier war so groß, dass sich auch zu Hause gebliebene Künstler des hochaktuellen Themas annahmen und es mit Fantasie oder unter Verwendung von Vorbildern behandelten. Während die von Michael Wolgemut in Holz geschnittene Ansicht von Konstantinopel, die Hartmut Schedel 1493 in der seiner berühmten Weltchronik abdruckte, noch eine exotische Fantasiearchitektur darstellte, bemühten sich wenig später publizierte Ansichten schon um topographische Wahrheit. Ähnliches gilt für die Portraits der Sultane. Den ersten aus der Fantasie der Künstler entstandenen und die Neugier der Europäer befriedigenden Herrscherbildern folgten bald mehr oder weniger lebensechte Portraits im modernen Stil europäischer Hochrenaissance und dies nicht nur von den regierenden Häuptern und ihrer Entourage, sondern auch vom einfachen Volk in seiner Tracht bei allerlei Verrichtungen. Die Portraits von Bayezid I, Mehmed II und Süleyman dem Prächtigen von Paolo Veronese in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und Albrecht Dürers Zeichnungen und Holzschnitte von Orientalen, mögen hier als Beispiele für viele Dutzende Bilder und Graphik aus dem späten 15. und 16. Jahrhundert erwähnt werden, die einen der Schwerpunkte von Ausstellung und Katalog bilden. Ein weiterer Schwerpunkt sind die Produkte, die aus dem Orient nach Europa gelangten, wie Waffen, Keramik, kostbare Stoffe und natürlich Teppiche. Diese wurden rasch zu einem vielfach auf Bildern besonders hervorgehobenen Statussymbol von echtem und Geldadel und wurden gar mit religiösem Symbolismus aufgeladen, indem sie, wie auf Bildern von Hans Memling oder Jan van Eyck und anderen zu sehen ist, zur Abgrenzung des heiligen vom profanen Bereich dienten. Last not least haben die zur Zeit der Renaissance so reich nach Europa gelangten Informationen, Ideen und Waren nicht nur stilbildenden Einfluss auf das Kunsthandwerk gehabt, sondern vor allem auch auf die höfische Kultur, wie sie etwa am sächsischen oder polnischen Hofe beispielsweise mit aufwändigen Kostümfesten gepflegt wurde. Der ausführliche und reich illustrierte Katalog ist somit ein wichtiges Dokument für den Beginn kultureller Beziehungen zwischen dem osmanischen Reich und Europa, der den Boden bereitete für die Türken-, China- oder Japanmode späterer Zeiten.

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