Götter aus Stein – Die Sammlung chinesischer Specksteinfiguren auf Schloss Friedenstein Gotha

Autor/en: Martin Eberle
Verlag: Morio Verlag
Erschienen: Heidelberg 2015
Seiten: 256
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 24,95
ISBN: 978-3-945424-10-0
Kommentar: Michael Buddeberg, Februar 2016

Besprechung:
Es fällt schwer zu glauben, dass ein in der Hochfrequenztechnik und der keramischen Industrie eingesetztes Mineral, das zudem auch in der Heilkunde und Medizin Anwendung findet, das Bestandteil von Kosmetikprodukten und Lebensmitteln und für manche Sportarten – Klettern etwa oder Geräteturnen – unentbehrlich ist und das als Streckmittel für Rauschgift einen zweifelhaften Ruf erlangt hat, auch als Werkstoff für Kunstwerke brauchbar ist. Doch wenn man weiß, dass aus diesem Stoff im Mittelalter sogar Kanonenkugeln geformt wurden, dann ist der Weg zur künstlerisch-skulpturalen Verwendung gar nicht mehr so weit. Freilich spricht man dann nicht mehr von Talk oder von Steatit und aus dem Mineral ist durch allerlei beigemischte Stoffe, die vielfache und reizvolle Farbvarianten bewirken, ein Gestein geworden, nämlich Speckstein. Aus diesem Material haben schon die Hethiter Rollsiegel gefertigt, die alten Ägypter und die Wikinger Gebrauchsgegenstände hergestellt und afrikanische Handwerker und die Inuit allerlei figürliche Kleinkunst geschaffen. Und damit sind wir beim Thema angekommen: In China diente der weiche und fast wie Holz zu bearbeitende Speckstein schon seit alten Zeiten als preiswerter Ersatz für die seltene, begehrte und kostbare Jade und damit als Rohstoff für reich verzierte Skulpturen und mancherlei Gebrauchsgegenstände.

Der Bestandskatalog von fast 500 chinesischen Specksteinfiguren aus den Sammlungen der Herzog von Sachsen und Gotha´schen Stiftung für Kunst und Wissenschaft ist nicht nur ein umfassendes Kompendium dieser in der ostasiatischen Kunstgeschichte nur selten behandelten Kunstform, sondern vor allem ein hoch interessantes Kapitel der europäischen Chinamode des 18. und 19. Jahrhunderts. Zwar enthielt die von Ernst dem Frommen, Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg, in seinem um die Mitte des 17. Jahrhunderts errichteten Residenzschloss Friedenstein eingerichtete Kunstkammer bereits ostasiatische Objekte, doch erst Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg (1772-1922) mit einer ausgeprägten Vorliebe für die Kunst Ostasiens baute die Sammlung durch Zukäufe aus Holland und London gezielt aus und schuf ein nicht weniger als sieben Räume in seinem Schloss umfassendes „chinesisches Kabinett“. Neben Kunst und Kunstgewerbe, also auch der Sammlung Specksteinfiguren, wurde dort auch Alltägliches wie Kleider, Möbel, Textilien, Tuschutenilien, Fächer,Teesorten und dergleichen gezeigt. Diese ethnographische Ausrichtung des chinesischen Kabinetts und seine Öffnung für die Allgemeinheit wurden damals weithin beachtet; es war, wenn man so will, eines der ersten ethnographischen Museen Europas. Die Entwicklung der Sammlungen, wiederholte Neuaufstellungen, die Errichtung eines eigenen Museumsgebäudes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Verluste im zweiten Weltkrieg und der schwierige und langwierige Neuaufbau der Sammlung nach 1945 sind sorgfältig aufbereitet und bilden eine spannende Lektüre.

Der Katalogteil ist thematisch geordnet, beginnt mit Figuren Buddhas und der in China so geschätzten Guanyin, des zur weiblichen Gottheit mutierten Avalokiteshvara. Mönche und Nonnen, die daoistische Gottheit des langen Lebens, die so genannten Unsterblichen mit ihren Attributen und ein Reigen männlicher und – seltener – weiblicher Figuren und vor allem Knaben setzen den Katalog fort, bevor er mit Tierfiguren, landschaftlichen Reliefschnitzereien, kleinen Stellschirmen für den Tisch des Gelehrten und allerlei Gebrauchsgerät den Überblick über eine der umfangreichsten Sammlungen dieser Art in Europa vervollständigt. Die in alten Inventaren erwähnten erotischen Darstellungen, fester Bestandteil chinesischer Kunst, sind allerdings in den Wirren der Zeit abhandengekommen. Es ist die ästhetische Vielfalt dieses Materials, seine Farben, die von weiß über violett, rosa, grau, grün oder schwarz bis blau und mehrfarbiger Marmorierung reichen, die kunstvolle Verarbeitung, die Ähnlichkeit mit der kostbaren Jade und nicht zuletzt die Lebendigkeit und der feine Humor, der diese weit überwiegend aus der Zeit der Qing-Dynastie stammenden Figuren auszeichnet.

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