Art of Southeast Asia

Autor/en: Maud Girard-Geslan
Verlag: Abrams
Erschienen: New York 1998
Seiten: 636 S, 841 Abb
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 125.– engl.Pfund
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Schon im Titel zeigen sich Problematik aber auch Vorzüge dieses Buches. Südostasien übertrifft mit einer Fläche von vielleicht 12 Mio qkm Europa bei weitem und wenn sich das Buch auch auf die Kunst beschränkt und wenn auch ein Großteil der Fläche von Meeren, Meerengen, Meerbusen und sonstigen Wassermassen eingenommen wird ist es noch immer ein großes, vielleicht vermessenes Unterfangen, einer solchen Vielfalt in einem Buch gerecht zu werden. Südostasien, das sind Vietnam, Laos, Kambodscha, Myanmar (das frühere Burma), Thailand, Malaysia, Indonesien und die Philippinen. Jedes dieser Länder hat eine eigene nationale und künstlerische Identität und ein eigenes, reiches kulturelles Erbe und die Kunst jedes dieser Länder verdient selbstverständlich eine eigene Monographie, die es natürlich mehr oder weniger umfangreich längst gibt. Dennoch vermittelt erst die Gesamtschau der Kunst Südostasiens die individuellen Besonderheiten, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die gegenseitigen Einflüsse und vor allem die starke Beeinflussung jeder dieser Kulturen durch die machtvollen Nachbarn im Norden und Westen, China und Indien. Stärke und Qualität dieses monumentalen Buches liegen daher weniger in der Tiefe der Darstellung – hier muß auf Fachmonographien etwa über Borobudur oder Angkor Vat zurückgegriffen werden -sondern in der Darlegung dieser Einflüsse aus China oder Indien, die, bei aller Vielfalt und Eigenständigkeit, jede der nationalen Kulturen unterschiedlich geprägt haben. Im Grunde kann man das ganz geographisch sehen: Die Kunst Burmas hat, entsprechend der Lage dieses Landes an der Grenze Indiens, die größte Nähe zur indischen Kunst, während Vietnam den stärksten Grad der Sinisierung aufweist. Das Inselreich Indonesien schließlich ist von den dominierenden Großkulturen am weitesten entfernt und besitzt daher die größte Eigenständigkeit. Aber so einfach sind die Dinge natürlich nicht, denn zum einen waren auch China und Indien, sowohl aus historischer wie kunsthistorischer Sicht niemals einheitliche Gebilde und zum anderen haben sich in allen südostasiatischen Kulturen individuelle Naturreligionen, Mythen und Praktiken, oft aus frühgeschichtlicher Zeit erhalten, die sich mit den Einflüssen aus Nord oder West zu ganz und gar eigenständigen Kulturen verschmolzen. So legen denn auch alle Beiträge – namhafte Wissenschaftler behandeln jeweils eines der Länder Südostasiens – großes Gewicht auf die Frühgeschichte dieser Länder, grob gesprochen auf das, was aus dem ersten Jahrtausend bekannt ist. Wenig genug ist es, was Archäologie, Überlieferung, minimale schriftliche Zeugnisse und Forschung von diesen frühen Zeiten zu Tage gebracht haben. Am interessantesten und ausgesprochen rätselhaft sind hier die großen Bronzetrommeln, deren Machart nach einer archäologischen Stätte im Norden von Hanoi mit dem Begriff „Dongson-Stil“ bezeichnet wird. Obwohl sie ihren Ursprung wohl im Norden Vietnams haben, wurden diese Trommeln nahezu im gesamten südostasiatischen Raum gefunden. Form und Dekor variieren je nach der Entwicklung lokaler Traditionen während des ersten Jahrtausends. Das zentrale Muster der vielleicht berühmtesten dieser Trommeln, der „Ngoc Lu“, heute im Museum in Hanoi, weckt Assoziationen zum Muster des Pazyryk-Teppichs: Um einen zentralen Stern reihen sich, von ornamentalen Nebenbordüren getrennt, konzentrische Kreise mit sich wiederholenden Tierdarstellungen, darunter der aus dem Pazyryk bekannte Hirsch. Entsprechend der Vergänglichkeit der Materialien, der klimatischen und geologischen Bedingungen Südostasiens und der Schwerpunkte eigentlich aller Kulturen in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends dominieren in der Darstellung Skulptur und Architektur. Pagan, Angkor und Borobudur sind hier die unbestreitbaren Höhepunkte, die auch heute noch Zeugnis von macht- und prachbewußten und doch ganz im Religiösen verwurzelten Herrscherdynastien geben. In Pagan etwa, der alten Hauptstadt Burmas, gelegen am Kreuzungspunkt der Wege zwischen Südostasien und Indien, enstanden zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert etwa zweitausend buddhistische Gebäude aus Backstein. Obwohl die Mehrzahl nur als Ruinen überlebten, hat Pagan sein äußeres Erscheinungsbild gewahrt und 900 Tempel, 500 Stupas, 400 Klöster prägen eines der Wunder der buddhistischen Welt. Auch Borobudur kann getrost zu diesen Wundern gerechnet werden, ein Stein gewordenes Mandala, ein riesiger Stupa, mit unglaublich reichem Figurenschmuck, der den Pilger auf seinem Weg zur Erleuchtung begleitet, noch heute von der Wissenschaft nicht vollkommen entschlüsselt. Angkor schließlich, die Hauptstadt des legendären Khmer-Reiches, eine der monumentalsten archäologischen Stätten überhaupt, mit seinen zahllosen Palästen und Tempelkomplexen vom Phnom Bakheng bis zum Bayon, dem Architektur gewordenen Antlitz Buddhas, einzigartig, ohne Vor- und Ebenbild in der indochinesischen Welt und der buddhistischen Kunst. Alle diese Stätten, Pagan erschüttert von Erdbeben, Borobodur ausgelaugt von der tropischen Feuchtigkeit der Regenwälder Javas, Angkor umschlungen von den Wurzeln mächtiger Maulbeerbäume, wurden schließlich vergessen und überwuchert von den Dschungeln Asiens und haben dennoch Dynastien und Königreiche überlebt und sind heute die faszinierendsten Zeugnisse der Vielfalt und Bedeutung südostasiatischer Kunst. Sie mögen hier als Beispiele für den gelungenen Versuch des großen Werkes über die südostasiatische Kunst stehen, eine übergreifende Gesamtsicht über eine aus westlicher Sicht oft als verwirrend und uneinheitlich erscheinende Ansammlung wenig bekannter und abseits liegender Länder zu vermitteln. (- mb -)

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