Court and Cosmos – The Great Age of the Seljuqs

Autor/en: Sheila R. Canby, Deniz Beyazit, Martina Rugiadi, A. C. S. Peacock
Verlag: The Metropolitan Museum of Art und Yale University Press
Erschienen: New York, New Haven und London 2016
Seiten: XIV/366
Ausgabe: Leinen mit Schutzumshlag
Preis: USD 65,00
ISBN: 978-1-58839-589-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 2016

Besprechung:
Die moderne Türkei sieht sich ganz klar in der Nachfolge des ersten seldschukischen Staates in Anatolien. So feiert die türkische Regierung bis heute den Sieg von Alp Arslan (1030-1072), Sultan der Großseldschuken, über das Byzantinische Reich im Jahre 1071. Und in der Tat markiert diese Schlacht von Manzikert einen Wendepunkt in der Geschichte des Nahen Ostens, begann doch mit diesem denkwürdigen Sieg die massive Landnahme Anatoliens durch die turkstämmigen Seldschuken. Es entstand ein machtvolles Reich, das von Zentralasien bis an das östliche Mittelmeer reichte und, wenn auch in wechselnder Gestalt, immerhin vom 11. bis zum 14. Jahrhundert Bestand hatte. In einer Zeit als die Welt des Islam an inneren und äußeren Krisen litt, stellten die Seldschuken die politische Einheit der islamischen Welt wieder her und sie prägten ganz entscheidend die islamische Kunst und Kultur. Dass dennoch die Seldschuken in der kunst- und kulturhistorischen Literatur eher stiefmütterlich behandelt wurden, mag wohl an ihrer etwas nebulösen schamanistisch-nomadischen Herkunft liegen. Ursprünglich waren sie einer der unzähligen und namenlosen Clans des eurasischen Steppengürtels, Teil des lockeren Stammesverbands der Oghusen. Einer dieser Oghusenhäuptlinge, Seldschuk mit Namen, Großvater von Alp Arslan und Ahnherr der Dynastie, vollzog mit seinem Stamm um das Jahr 970 die Wende zum Islam, gewann Macht und Einfluss und konnte nach der Eroberung Persiens die dort blühende Hochkultur assimilieren. Hauptsächlich im 11. Jahrhundert erreichten Kunst und Wissenschaft, Architektur, Medizin, Dichtkunst und Philosophie in Persien, Jazira, dem oberen Mesopotamien bis ins nördliche Syrien unter den Großseldschuken eine frühe Blüte. Parallel hierzu holten sich die von Awaren, Slawen und Arabern bedrohten Byzantiner Hilfe bei seldschukischen Nomadenkriegern. Als Söldner in Diensten von Byzanz eroberten sie Städte, die sie dann gleich behielten. Das war der Beginn der allmählichen Islamisierung und Turkisierung des zuvor stark christlich geprägten Anatolien, die sich vom 11. bis zum 13. Jahrhundert vollzog.

Die große Seldschukenausstellung im New Yorker Metropolitan Museum of Art (April bis Juli 2016) und der dazu erschienene opulente Katalog beenden ein für alle Mal das Dornröschendasein der Seldschuken. Mehr als fünfzig private und vor allem öffentliche Leihgeber, darunter die großen Museen dieser Welt in Europa und Amerika entfalten mit über 200 Exponaten höchster Qualität ein Feuerwerk islamischen Kunstschaffens des 11. bis 13. Jahrhunderts. Im Vordergrund stehen dabei Höhepunkte des islamischen Kunsthandwerks, geschaffen für die Hofhaltung der Sultane und der Eliten, Meisterwerke aus Keramik und Glas, seltene Roben und Textilfragmente aus Seide, Goldschmuck, plastische Kunst aus Stein und Stuck und immer wieder diese unvergleichlichen Metallgefäße aus Bronze oder Messing, Wasserkannen, Becken, Kerzenleuchter und viele andere mehr mit feinen Gravuren und mit in Gold und Silber eingelegten Inschriften und narrativen Szenen. Für viele soll hier die berühmte „Blacas-Kanne“ aus dem Britischen Museum erwähnt werden, ein datiertes und signiertes Meisterwerk, das im Jahre 1232 in Mossul, der Hochburg des islamischen Metallhandwerks geschaffen wurde und das mit seinen lebendigen Szenen vor einem an chinesische Textilien erinnernden Swastika-Muster den Beginn einer langen Tradition markiert. Ein weiteres Kapital befasst sich mit Wissenschaft, Medizin und Technologie und zeigt mit Mörsern, chirurgischen Instrumenten, Apothekergefäßen, Astrolabien, Globen und natürlich seltenen Manuskripten den hohen Wissensstand jener Zeit. All dieser Fortschritt ändert aber nichts daran, dass in der materiellen Kultur der Seldschuken vieles noch an ihre gar nicht so weit zurückliegende schamanistische Geisteswelt erinnert. Das Kapitel über Astrologie, Magie und die Welt der Dämonen und Tierwesen erinnert mit ausgesuchten Artefakten an diese immer noch präsente Vergangenheit. Eine gravierte Messingschale des 12. Jahrhunderts aus Khorassan oder Afghanistan mit drei mittig und kreisförmig angeordneten Hasen, die sich drei Ohren teilen, die wiederum in der Mitte des Objekt ein magisches Dreieck bilden, sei hier genannt. Religion und Literatur sind weitere Themen, die unter anderem mit Architekturfragmenten, Fliesen und prachtvollen Koranhandschriften illustriert sind, bevor die islamische Begräbniskultur mit seltenen und frühen Grabsteinen den Schlusspunkt setzt.

Besonders hervorzuheben ist neben all der Kunst und den kunsthandwerklichen Höhepunkten der einleitende Essay über das „Große Zeitalter der Seldschuken“. Ihre Herkunft aus dem Dunkel der Geschichte und die erstaunliche Wandlung von einer nomadischen Dynastie zu einer irano-islamischen Zivilisation von Dauer und Einfluss werden eingehend behandelt ebenso wie die verschiedenen Linien, geographischen Machtbereiche und einzelne Herrscherpersönlichkeiten. Die in diesem einführenden Kapitel mitbehandelte, reiche architektonische Hinterlassenschaft der Seldschuken steht hier beispielhaft für ihre herausragende Bedeutung. Die Seldschuken und die von ihnen geschaffene Kunst und Kultur stehen am Anfang einer langen Kette türkischer Dynastien, die den Mittleren Osten bis ins frühe 20. Jahrhundert dominierten. Timuriden (1370 bis ca. 1507), Safawiden (1501-1722), Quajaren (1785-1925) und natürlich die Osmanen (ca. 1300 bis 1923) haben in einer Synthese türkischer, iranischer und islamischer Traditionen teil am reichen Erbe der Seldschuken.

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