Guge – Ages of Gold – The West-Tibetan Masterpieces

Autor/en: Peter van Ham
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2016
Seiten: 390
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: 45,00
ISBN: 978-3-7774-2668-6
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2016

Besprechung:
„Das Buch schließt eine Lücke“, sagt und schreibt sich leicht und stimmt auch fast immer, denn jeder ernsthafte Autor bemüht sich um eine Bereicherung des vorhandenen Wissens. Doch nur selten ist diese Feststellung so berechtigt wie bei Peter van Hams neuem Buch über die Kunst des westtibetischen Königreichs Guge. Dass sich dort in entlegenen und schwer erreichbaren Regionen, wo Himalaya, Karakorum und Pamir aufeinandertreffen, einzigartige Kunstwerke, Statuen und vor allem Wandmalerei, aus der Zeit der so genannten „zweiten Bekehrung Tibets zum Buddhismus“, also aus dem 11. und 12. Jahrhundert, erhalten haben, ist weithin bekannt, doch nur wenige haben sie gesehen und Literatur ist außer zwei schmalen Bänden aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und verstreuten Aufsätzen in Fachmagazinen nicht vorhanden. Peter van Hams Publikationen über die frühen Wandmalereien von Mangyu und anderer bedeutender Tempel in Ladakh (2010), vor allem aber sein wichtiges Buch über das Juwel früher buddhistischer Kunst, das Kloster Tabo in Kinnaur (2014), haben diese Lücke einmal mehr fast schmerzlich bewusst gemacht. Das hat auch Peter van Ham so gesehen und sich mutig entschlossen, diese Lücke zu füllen. Doch wie, sind doch die politischen Verhältnisse in Tibet, vor allem im fernen Westen, wo der Grenzverlauf zwischen China und Indien bis heute ungeklärt ist, so beschaffen, dass ernsthaft forschende Tätigkeit vor Ort oder gar das Fotografieren von Kunst schlicht unmöglich ist. Peter van Ham hat den Königsweg gefunden und hat mit der Hilfe all jener, die zur rechten Zeit vor Ort, glücklich oder geschickt genug waren, dort Aufnahmen zu machen, innerhalb sensationell kurzer Zeit dieses Vorhaben verwirklicht. Lionel Fournier, Jaroslav Poncar, Hans Först, Thomas und David Pritzker, sollen hier stellvertretend für das gute Dutzend von Fotografen genannt sein, die spontan und uneigennützig dieses Projekt ermöglicht haben und deren photographische Leistung neben den Aufnahmen van Hams das Buch dominiert. Darüber hinaus sind die überaus sorgfältigen, ausführlichen und ikonographisch korrekten Bildbeschreibungen des Autors besonders hervorzuheben.

Das Buch beginnt mit einer äußerst detaillierten Geschichte des Königreichs Guge und der unmittelbar angrenzenden Gebiete, welche seit dem späten 10. Jahrhundert die Keimzelle der zweiten Bekehrung Tibets zum Buddhismus waren. König Yeshe Ö und der für seine Übersetzungen und Klostergründungen berühmte Rinchen Zangpo sind die dominierenden Gestalten dieser Zeit, deren visionäre Leistungen die spirituelle und künstlerische Präsenz der Region über Jahrhunderte prägten. Die eigentliche Dokumentation beginnt dann mit den in Kinnaur, in den nordwestlichen Gebirgsregionen Indiens versteckten kleineren Tempeln und den in ihnen erhaltenen Kunstwerken aus der ersten Blütezeit Guges, dem 11. und 12. Jahrhundert. Der Rangrig Tse Tempel in Charang mit einer bemerkenswert gut erhaltenen Skulptur aus Nußbaum, Ropa mit frühen Lehmskulpturen und Poo mit einem bedeutenden frühen Prajnaparamita-Manuskript, werden behandelt, bevor sich mit dem kleinen Tempelbezirk von Nako und seinen Wandmalereien, das sind vor allem monumentale Mandalas mit 5 Metern Durchmesser und hunderten von sorgfältig gemalten Gottheiten, ein wahres Kleinod früher tibetischer Kunst präsentiert. 60 Seiten sind Nako gewidmet und sie sind Anlass zu drei Kommentaren: Erstens ein eminent wichtiges Denkmal tibetischer Kunst, das, zweitens, dringenden Restaurierungsbedarf aufweist und, drittens, einer separaten Publikation wert gewesen wäre (was noch öfters anzumerken sein wird).

Mit dem nächsten Themenbereich, den Höhlen-Heiligtümern in der Region um Tholing mit den ältesten erhaltenen Wandmalereien in der von China annektierten „Autonomen Region Tibet“ (Tibet Autonomous Region – TAR) wird ein weiteres Kapitel eröffnet. Dort (TAR) haben die Roten Garden der chinesischen Kulturrevolution in den Jahren 1960 bis 1974 so gut wie alles zerstört und nur die in natürlichen oder von Menschenhand geschaffenen Höhlen vorhandenen Wandmalereien überlebten den Sturm, mal mehr, mal weniger gut. Bei den Dörfern Nyag, Khyunglung, Chiwang, Pedongpo finden sich sehenswerte, ausgemalte Höhlen doch der klare Höhepunkt sind zwei Höhlenheiligtümer bei dem Ort Dungkar. Die dort erhaltenen Wand- und Deckenmalereien sind von einer derart exzeptionellen Qualität, dass sich der Wunsch nach einer separaten Publikation dieses Ortes geradezu aufdrängt. Die wenigen Detailwiedergaben von Gottheiten aber auch von Nebenmotiven wie Musikanten, Apsaras und sich in Kreisen jagende Tiere machen geradezu süchtig auf mehr.

Und dann Tholing, die „Mutter“ aller westtibetischen Kunst, einst ein Areal mit 24 Tempeln. Was dort vor einem halben Jahrhundert zerstört wurde, ist unermesslich und ein trauriges Monument menschlicher Ignoranz der schlimmsten Art. Gerade mal drei Tempel, der „Weiße“, der „Goldene“ und der „Rote“, sind in Teilen erhalten und auch hier kündet nur die Wandmalerei von der einstigen Pracht. Von dem reichen Skulpturenschmuck, von dem noch Tucci und Lama Anagarika Govinda berichten konnten, blieb nichts. Die Wandmalerei von Tholing stammt aus dem 15. Jahrhundert, als sich aus den Anfängen des 11. und 12. Jahrhunderts und aus all den Einflüssen aus Indien, Kaschmir, Zentralasien und den weiter östlich gelegenen Regionen Tibets ein perfekter und eigenständiger Stil entwickelt hatte, der zu den eindrucksvollsten und schönsten Tibets gehört. Etwa 450 Quadratmeter Wandmalerei sind im Roten Tempel zu bewundern und selbst mit den Ausklapptafeln, die auf 1,4 Metern vollständige Tempelwände wiedergeben sowie mit den vielen Details, die nicht nur die Schönheit und spirituelle Ausstrahlung der dargestellten Gottheiten, sondern auch die Perfektion der Wiedergabe von Schmuck oder Textilien oder die Deckenmalerei bewundern lassen, entsteht der Wunsch nach mehr.

Tsaparang, die im 17. Jahrhundert verlassene königliche Residenz von Guge, deren Ruinen und fünf verbliebene Tempel, wieder mit reichen Wandmalereien, sich ebenso malerisch wie dramatisch an einem steilen Felsen staffeln, bildet das Finale, historisch ebenso wie künstlerisch und auch in van Hams Buch. Die Malerei aus der Spätphase von Guge gehört zum faszinierendsten, was die Kunst Tibets zu bieten hat. Das mit viel Gold gehöhte Abbild des dreiköpfigen und sechsarmigen Ratnasambhava, eines der fünf Tathagatas aus dem inmitten der Palastruinen auf dem Gipfelplateau stehenden kleinen Demchog Lhakhang gehört zu den schönsten Kunstwerken Tibets. Es ziert den Cover des Buches und verspricht einen Superlativ tibetischer Kunst, ein Versprechen, das Peter van Hams Buch von der ersten bis zur letzten Seite einlöst.

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