Re-envisioning Japan – Meiji Fine Art Textiles

Autor/en: John Vollmer (Hrsg)
Verlag: 5 Continents Editions
Erschienen: Mailand 2016
Seiten: 248
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 75,00
ISBN: 978-88-7439-739-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2016

Besprechung:
Als im Jahre 1853 ein Geschwader amerikanischer Kriegsschiffe unter dem Kommando des Commodore Matthew C. Perry in den japanischen Hafen Uraga einlief, bedeutete dies das Ende der jahrhundertelangen Abschottung Japans vom Rest der Welt. Es war zugleich der Beginn einer dunklen Zeit des Inselreiches, aus der es sich aber wie ein Phönix aus der Asche in eine neue, moderne Zukunft erheben sollte. Die durch die bloße Präsenz militärischer Übermacht erzwungene Öffnung Japans hatte eine schwere Krise von Staat und Gesellschaft und das Ende überkommener Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen zur Folge. 1867 übergab der letzte Shogun die politische Gewalt in die Hände des japanischen Kaisers. Die Meiji-Zeit hatte begonnen, die bis zum Tode des Tenno im Jahre 1912 Japan die gewaltigsten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen seiner Geschichte bringen sollte. In wenig mehr als vier Jahrzehnten schaffte Japan den Weg von einem isolierten Land mit einer antiquierten Feudalstruktur zu einer aufstrebenden Industrienation und Weltmacht. Einen wesentlichen Anteil daran hatten japanische Kunst, japanisches Kunsthandwerk und nicht zuletzt japanische Textilien. Schon auf der Weltausstellung 1862 in London hatten private Sammler mit der Ausstellung der bis dato im Westen vollkommen unbekannten japanischen Farbholzschnitte einen Akzent gesetzt, der den Anfang einer Jahrzehnte anhaltenden Japanmode, des Japonismus, bedeuten sollte. Die japanische Regierung und japanische Hersteller erkannten rasch die Bedeutung dieser internationalen Ausstellungen für die Vermarktung japanischer Waren und schon auf der Weltausstellung 1873 in Wien war das Japan der Meiji-Regierung offiziell vertreten. Aber noch war Japan alles andere als eine Industrienation und das einzige Pfund, mit dem sich wuchern ließ, war das traditionelle Kunsthandwerk. Nur durch den Export japanischer Handwerkserzeugnisse konnten die Devisen für den Aufbau und Anschluss japanischer Industrie und Gesellschaft an den Westen erwirtschaftet werden. Luxustextilien haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Rasch, schon Anfang der siebziger Jahre, hatte Japan moderne europäische Textiltechnik, hier vor allem den Jacquard-Webstuhl importiert und die Luxustextilien der Edo-Zeit zu einer für die westlichen Märkte bestimmten Ware verfeinert. Die Rechnung ging auf und diese von Japan selbst „Fine Art Textiles“ genannten, exquisiten und mit großer Kunstfertigkeit und innovativer Technik hergestellten Textilien mit großzügigem Design erregten großes Aufsehen auf internationalen Märkten. Ihren Höhepunkt an internationalem Ansehen, Zuspruch und wirtschaftlichem Erfolg erreichten sie im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, um mit dem Ende des Meiji-Ära (1912) und in den Wirren des ersten Weltkriegs wieder zu verschwinden und der Vergessenheit anheim zu fallen.

Diesen Fine Art Textiles der Meiji-Zeit ist das von dem weltbekannten Experten, Kurator und Autor für ostasiatische Textilkunst, John Vollmer, herausgegebene Buch gewidmet, das mit zahlreichen Beiträgen nicht nur des Herausgebers, sondern überwiegend japanischer Wissenschaftler, vor allem aber mit zahlreichen Illustrationen und einer Fülle von seitengroßen Detailaufnahmen den Zugang zu einem faszinierenden Produkt eröffnet, das irgendwo in dem Spannungsfeld zwischen Kunst, Handwerk und Kommerz angesiedelt ist. Kyoto, schon in der Edo-Periode das Zentrum der Herstellung von Luxus-Textilien, etwa der spektakulären Kostüme der Shogune und der Schauspieler des No- und des Kabuki-Theaters, war auch für die Fine Art Textiles führend. Drei Firmen, Takashimaya, Kawashima und Chiso dominierten den Markt, überboten sich gegenseitig mit immer neuen Entwürfen und Herstellungstechniken und beauftragten Künstler mit den Entwürfen ihrer textilen Bilder. Hergestellt wurden traditionelle fukusa, Einschlagtücher für Geschenke, aber auch Tischdecken, Bett-Cover, Stellschirme und große Wandbehänge. Über nationale und internationale Ausstellungen erfasste der Japonismus, die westliche Japan-Begeisterung, rasch auch diese Textilien, die einen wesentlichen Beitrag zu Japans Prestige in der Welt von Kunst und Kultur leisteten. Es ist das Verdienst des Herausgebers John Vollmer, diese fast vergessene Textilkunst der Meiji-Ära anhand einer privaten Sammlung, die im späten 20. Jahrhundert aufgebaut wurde, zu präsentieren, zu würdigen und in ihrer Schönheit und technischen Perfektion zu zeigen. Darüber hinaus erzählen die Essays, weit über die Fine Art Textiles hinausgreifend, ganz allgemein die Geschichte, wie sich Japan für die westliche Welt öffnete, wie das Japan-Bild des Westens zunächst von Klischees und falschen Vorstellungen geprägt wurde und wie dank der Bemühungen Japans und westlicher Enthusiasten, zumeist Händler, japanische Waren, japanische Kunst und japanisches Kunstgewerbe zu Ansehen und Erfolg gelangten.

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