A Time and a Place – Views and Perspectives on Chinese Export Art

Autor/en: Luisa Vinhais, Jorge Welsh (Hrsg)
Verlag: Jorge Welsh Research and Publishing
Erschienen: London 2016
Seiten: 364
Ausgabe: Hardcover
Preis: GBP 120,00
ISBN: 978-0-9557432-8-3
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2016

Besprechung:
In der Nacht des sechsten Oktober 1690 zerstörte eine aufgebrachte Schar Rotterdamer Bürger das Haus des Justizwachtmeisters Jacob von Zuylen. Man machte ihn verantwortlich für die Verurteilung und grausame Hinrichtung des Cornelis Kosterman, der sich nichts weiter hatte zuschulden kommen lassen als Wein in das Rathaus von Rotterdam zu schmuggeln. Dass diese Szene alsbald zum Motiv einer fein ziselierten Medaille wurde, die den Sinnspruch trägt „Wo es erlaubt ist zu töten, ist es auch erlaubt zu zerstören,“ mag noch naheliegen; dass sie aber wenig später in feiner kobaltblauer Unterglasurmalerei auf einem kleinen chinesischen Porzellanteller der Kangxi-Zeit (1662-1722) wiedergegeben wurde, ist verwunderlich und wirft Fragen auf. Antworten hierzu finden sich in einem ganz außergewöhnlichen Buch, das ein sehr spezielles Thema der Beziehungen zwischen Ost und West vom 17. bis zum 19. Jahrhundert behandelt. An ausgewählten Stücken chinesischen Export-Porzellans, aber auch an bemalten Stellschirmen und Fächern, Lack-Paneelen und in Öl gemalten Veduten wird gezeigt, wie sich in China, gefördert durch private kommerzielle Interessen, ein am westlichen Geschmack orientierter und doch zugleich in chinesischer und europäischer Tradition verhafteter Malstil entwickelte. Das sich wie ein roter Faden durch das Buch ziehende Sujet der Malerei, das sind Gebäude, Dörfer, Stadt- und Hafenansichten mit entsprechender Staffage, ist in besonderem Maße geeignet, die hohe Kunstfertigkeit und das technische Können der chinesischen Maler zu demonstrieren.

Das Buch über Ansichten und Perspektiven auf chinesischen Export-Waren erschien zum dreißigjährigen Bestehen der Galerie von Jorge Welsh und Luisa Vinhais mit Sitz in London und Lissabon. Diese Galerie, einer der gobal players des Kunstmarktes, bespielt seit vielen Jahren das Thema chinesisches Export-Porzellan in immer wieder neuen und überraschenden Varianten, mit seltenen Objekten, thematisch orientierten Ausstellungen und mit Publikationen, die quasi selbstverständlich zu Standardwerken avancieren. Die Publikationen über Kraak Porzellan (2008), über chinesisches Porzellan mit christlichen Motiven (2005) oder die monumentale Monographie zur R. Albuquerque Collection (2011) mögen hier als Meilensteine genannt sein. Die Galerie Jorge Welsh ist damit ein Parade-Beispiel für die Entwicklung und Globalisierung des Kunstmarktes in den vergangenen drei Jahrzehnten. Eine ständig zunehmende Flut von Publikationen, internationale Kunstmessen, das Informationsangebot des Internet, Konferenzen und Symposien sind eine Herausforderung, denen Jorge Welsh und Luisa Vinhais mit einem speziellen Team für Forschung und Publikation, vielbeachteten Ausstellungen und mittlerweile fast drei Dutzend Büchern grandios Rechnung getragen haben.

Die eingangs erwähnte Medaille mit einer Szene der „Riots of Rotterdam“ ist ein eher seltenes Beispiel für die Vorlagen, nach denen chinesische Künstler arbeiteten. Am häufigsten waren Graphiken aus Ansichtenwerken, die seit dem 17. Jahrhundert in Mode kamen und bis zur Erfindung der Fotografie in verschiedenen Techniken populär blieben. Man muss die unendliche Mühe – es vergingen 13 Jahre, bis das Material zu dem Buch zusammen getragen war – aber auch das dazugehörige Glück bewundern, dass in zahlreichen Fällen das Objekt auf chinesischem Porzellan seinem graphischen Vorbild und zusätzlich einer aktuellen Fotografie mit seinem heutigen Zustand gegenübergestellt werden kann wie etwa bei einem der bedeutendsten Beispiele Elizabethanischer Architektur des 16. Jahrhunderts, dem Burghley House in Lincolnshire auf einer Terrine mit ovaler Platte aus der Qianlong-Zeit (1736-1795). Oder die Oude Kerk in Amsterdam, die auf einem chinesischen Teller des 18 Jahrhunderts nach einem Stich aus dieser Zeit kaum anders aussieht als auf dem Foto von heute. Getreu diesen gestochenen und gedruckten Vorlagen arbeiteten die chinesischen Künstler hier meist in Grisaille-Technik. Daneben finden sich polychrome Malerei in Emaille-Farben, Malerei auf Glasur in den Farben der famille rose, Darstellungen in Sepia und die Verwendung von Gold, alle diese Techniken häufig auch miteinander kombiniert. Hier ist eine Gruppe von chinesischem Porzellan zu erwähnen, das von chinesischen Malern im Stil der Chinoiserien des für August den Starken in Meißen arbeitenden J. G. Höroldt bemalt wurde, ein Beispiel für die wechselseitige Beeinflussung von Ost und West. Man kann annehmen, dass sich ein geschäftstüchtiger Kapitän oder Supercargo angesichts der schon damals kaum erschwinglichen Preise für dekoriertes Porzellan aus Sachsen mit preiswerten Kopien aus China einen schönen Gewinn versprach. Weiter sehen wir auf großen punch-bowls, Schalen, Kannen und Tassen Schlösser und öffentliche Gebäude in den Niederlanden, England und Schweden, die Engelsburg in Rom, die Häfen von Macao und Kanton und sogar eine Vedute von Kapstadt mit dem Tafelberg. Und immer stehen nicht die Bildträger, also Teller, Tassen oder Fächer im Vordergrund, sondern das von diesen transportierte Bild etwa der Stadtwaage von Amsterdam oder des Eingangstors zum botanischen Garten von Oxford, stets versehen mit passender ländlicher oder städtischer Staffage. Erst die Details und die starke Vergrößerung zeigen die hohe Kunst der anonymen chinesischen Maler aus Jingdezhen und Kanton. So sehen wir auf einem Teller mit der Ansicht der Nieuwe Stadsherberg in Amsterdam zwei Männer in einem kleinen Boot. Was auf dem Teller nur wenige Zentimeter misst erweist sich in etwa zehnfacher Vergrößerung als meisterhaft beherrschte und schmissig gemalte Miniatur. 120 Stücke Export-Kunst aus China werden präsentiert und jedes einzelne erzählt eine Geschichte, die von den Autoren und Herausgebern, von Jorge Welsh und Luisa Vinhais, mit Begeisterung und Engagement recherchiert wurden und nun mit Liebe erzählt werden, so wie die „Kosterman Revolt“ des Jahres 1690, die erste Darstellung eines politischen Events in Europa auf chinesischem Porzellan.

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