Bhutan (Edition Panorama)

Autor/en: Harald N. Nestroy
Verlag: Edition Panorama
Erschienen: Mannheim 2012
Seiten: 160
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 48,00
ISBN: 978-3-89823-289-0
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2014

Besprechung:
Bücher über das kleine buddhistische Königreich Bhutan im Himalaya sind sich oft recht ähnlich. Das Land ist klein, nur ein wenig größer als die Schweiz und nur durch eine einzige von Ost nach West verlaufende Straße mit einigen Stichstraßen nach Süd und Nord für den modernen Verkehr erschlossen. Die vom tropischen und dschungelüberwucherten Tiefland bis in weit über 7000 Meter hohe Eisregionen des Himalaya reichenden Landschaften sind ebenso atemberaubend wie die meist aus dem 17. Jahrhundert stammenden, wehrhaften Klosterburgen – man nennt sie dzong – mit ihrer typisch bhutanischen Architektur. Doch deren Zahl und damit auch die Zahl der kulturell sehenswerten Plätze und Veranstaltungen ist begrenzt, und so sehen wir in allen Publikationen neben den faszinierenden Landschaften die mehr oder weniger identischen Ansichten dieser dzongs von Thimpu, Paro, Punakha, Gaza, Jakar und einigen weiteren, Fotos von den dort jährlich stattfindenden Tempelfesten mit den attraktiven rituellen cham-Tänzen mit traditionellen Masken und farbenprächtigen Kostümen aus schweren Brokaten, Aufnahmen von bhutanischen Bürgern in ihrer attraktiven traditionellen Tracht und von den überall im Land im einheitlichen bhutanischen Stil errichteten, reich bemalten Bauernhäusern. Und natürlich fehlt in keinem Buch das „Tigernest“, das in einer 800 Meter hohen Felswand im 17. Jahrhundert errichtete Kloster Taktshang, wohin nach der Legende der indische Magier Padmasambhava auf dem Rücken einer fliegenden Tigerin gelangte, um dort viele Monate in einer Höhle zu meditieren. All das, einschließlich Tigernest, findet sich auch im Bhutanbuch von Harald Nestroy, das sich dennoch von den anderen Bhutanbüchern deutlich abhebt. Das liegt nicht allein an dem von der Edition Panorama gewählten übergroßen Folio-Querformat und auch nicht nur daran, dass Harald Nestroy, wie er selbst schreibt, bei dem großartigen Himalaya-Fotografen Jaroslav Poncar in die Lehre gegangen ist, sondern vor allem daran, dass Nestroy das Land seit 1987 fast jedes Jahr besucht und sich zusammengerechnet weit länger als ein Jahr dort aufgehalten hat. Und so hat Nestroy nicht nur entlegene, mit langen Fußmärschen oder Yak-Karawanen erreichbare Plätze im Schatten der Eisriesen des Himalaya erreicht, sondern er hatte stets ausreichend Zeit, abzuwarten, bis sich das mit geschultem fotografischen Auge erwählte Motiv im besten Licht präsentierte. So entstanden Aufnahmen, die die besondere geographische Lage Bhutans südlich des Himalaya-Hauptkamms bis hinab in die indische Tiefebene und die dadurch gegebene Vielfalt unterschiedlicher und oft dramatischer Stimmungen in Perfektion wiedergeben. Das reicht von Bildern, in denen die untergehende Sonne das Motiv wie mit einem Scheinwerfer anstrahlt und die infolge der glasklaren Luft fast schwarzen Wolkenschatten extreme Kontraste bilden, bis zu pastellhaft im lichtdurchfluteten Morgennebel sichtbar werdenden Gebäudekomplexen. Ganz besonders aber wird deutlich, dass Bhutan ein Land ist, in dem sich der Monsun des indischen Tieflandes und das trockene Hochlandklima des tibetischen Plateaus einen ständigen Kampf liefern. Das Spiel mit Sonne und Wolken, das plötzlich einen Dzong im strahlenden Licht vor einem mit Wolkenfetzen verhangenen Bergwald aufleuchten lässt oder einen Wald von Gebetsfahnen durch besonnten Nebel erst sichtbar macht und viele andere, kaum beschreibbare Stimmungen, sind von dem Fotografen meisterhaft eingefangen und vermitteln ein Bild von der Schönheit Bhutans, wie es ein Bildband wohl nicht besser zu leisten vermag. Nestroys Buch ist aber nicht nur Bildband, sondern von einem Text begleitet, der sich vor allem auf die politische und religiöse Geschichte von Bhutan konzentriert. Es war die schon erwähnte Ankunft des indischen Magiers Padmasambhava im 9. Jahrhundert, mit der der Buddhismus den südlichen Himalaya erreichte. Während sich die frühen Jahrhunderte nur in Legenden und Märchen manifestieren beginnt mit der Ankunft des Tibeters Ngawang Namgyal (1594-1651) die historische Geschichte Bhutans. Ngawang Namgyal einte die zerstrittenen Landlords, errichtete eine einheitliche theokratische Regierung, baute die Kette von Dzongs in den Haupttälern des Landes und begründete das erbliche System der Shabdrungs, der religiösen und zugleich weltlichen Herrscher von Bhutan. Seit dem 17. Jahrhundert waren dann Politik und Entwicklung von Bhutan wesentlich von dem Machtanspruch Britisch-Indiens geprägt, dem Bhutan letztlich aber erfolgreich widerstand. 1907, das „Great Game“ zwischen Briten, Russen und Chinesen um die Vorherrschaft in Zentralasien befand sich auf seinem Höhepunkt, wurde Ugyen Wangchuk mit britischer Unterstützung zum ersten Druk Gyalpo – zum Drachenkönig von Bhutan – gewählt. Diese Dynastie der Wangchuk ist bis heute für die politische und ökonomische Entwicklung von Bhutan verantwortlich, für seine behutsame Öffnung für einen ökologischen Tourismus, für die Bildung und Ausbildung seiner Jugend und einen vorsichtigen Weg in den internationalen Globalismus. Harald Nestroy beschreibt in Wort und Bild vor allem den bislang letzten Akt dieser außergewöhnlichen politischen Klugheit der Wangchuks, wie Jigme Singye, der vierte Druk Gyalpo, sein Land von einer absoluten zu einer konstitutionellen Monarchie wandelt, eine parlamentarische Demokratie einführt und seinem Volk eine Verfassung gibt, die ihm sogar erlaubt, seinen König abzusetzen. Und – last not least – übergab Jigme Singye am 6. November 2008 die Rabenkrone an seinen Sohn Jigme Khesar Namgyel Wanchuk, den fünften Drachenkönig von Bhutan. Harald Nestroy war dabei und seine Fotos von der Krönungszeremonie und dem Krönungsfest sind einzigartige Dokumente aus einem Land, das einer anderen, besseren Welt anzugehören scheint.

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