The Chasuble of Thomas Becket – A Biography

The Chasuble of Thomas Becket – A Biography

Autor/en: Avinoam Shalem (Hrsg)
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2017
Seiten: 304.
Buchart: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 98,00
ISBN: 978-3-7774-2519-1

Kommentar:  Michael Buddeberg, September 2017

Besprechung:

Thomas Becket (1118-1170) war Freund, Berater und Lordkanzler des englischen Königs Heinrich II (1133-1189). Er teilte dessen Hang zu Pomp und Luxus und unterstützte die Bemühungen der Krone, Macht über die Kirche zu erlangen. Mit der Ernennung Beckets zum Erzbischof von Canterbury glaubte Heinrich, diesem Ziel näher zu kommen. Doch Thomas Becket nahm diese Berufung ernst, entsagte allen weltlichen Versuchungen, führte ein asketisches Leben und wurde zum glühenden Verfechter der Freiheit der Kirche. Die Freundschaft mit Heinrich II ging in die Brüche und nicht nur das: sie wurden erbitterte Gegner und eine verbale Schmähung interpretierten vier Ritter Heinrichs als Mordbefehl. Sie erschlugen Thomas Becket am 29. Dezember 1170 auf den Stufen des Altars seiner Kathedrale. Die Tat empörte die Gläubigen Europas, schon drei Jahre später wurde Thomas Becket von Papst Alexander II als Märtyrer heiliggesprochen und sein Kult verbreitete sich rasch über ganz Europa. Das Grab Thomas Beckets wurde zu einem der größten und bedeutendsten Wallfahrtsorte des Abendlandes; echte oder vermeintliche Reliquien Thomas Beckets werden vielerorts verwahrt und verehrt. Eine dieser Reliquien, das Pluviale des Thomas Beckets befindet sich in der Kathedrale Maria Santissima Assunta in Cielo in dem Städtchen Fermo in den italienischen Marken. Es war dort, abseits der Touristenströme bisher nur wenig beachtet und nur einem kleinen Kreis von Textilkennern bekannt.

Der Dornröschenschlaf dieses bedeutenden Chormantels hat mit der bei Hirmer publizierten textilhistorischen Monographie sein Ende gefunden. Zu danken ist dies der Initiative des großen italienischen Sammlers und Liebhabers islamischer Kunst, Alessandro Bruschettini, und dem an der Columbia Universität lehrenden Professor für Islamische Kunst, Avinoam Shalem, der die Herausgeberschaft übernommen und die zentralen Beiträge geschrieben hat. Neben diesen kunsthistorischen und textilwissenschaftlichen Untersuchungen kommen auch weitere spannende Themen nicht zu kurz. Der Kult um Thomas Becket im 12. und 13. Jahrhundert, sein blutrünstiger Anlass und mögliche Verbindungen des Bischof Presbyter von Fermo mit Canterbury werden von Ursula Nilgen behandelt und lassen es immerhin als möglich erscheinen, dass dieses Pluviale tatsächlich das ist, wofür es gilt, auch wenn sich seine Existenz in Fermo nicht weiter als bis ins Jahr 1686 zurückverfolgen lasst. Germano Liberati beschreibt die Geschichte, Architektur und bedeutende Details der Kathedrale von Fermo und von Birgitt Borkopp-Restle erfahren wir aus Akten im Archiv des Bayerischen Nationalmuseums über eine in den späten 50er Jahren des 20. Jahrhunderts von David Storm Rice und Sigrid Müller-Christensen vorgenommene Analyse und Konservierung dieses textilen Denkmals. Miriam Ali-de-Unzaga und Ariane Dor besprechen zwei weitere  Seidentextilien andalusisch-umayyadischer bzw. spanisch-maurischer Herkunft, die sich im Kloster San Salvador de Oña in Burgos und in der Kathedrale Saint Lazare in Autun erhalten haben. Diese und der Essay von David Jacoby über die Produktion und Wertschätzung andalusischer Seidenstoffe vom achten bis zum dreizehnten Jahrhundert leiten über zum zentralen Thema: Die Verbreitung mittelalterlicher islamischer Textilien im Westen, ihr Einfluss auf Stil, Dekor und Technik und ihre Verwendung vor allem in Verbindung mit Kirche und Religion.

Islamische Textilien in all ihrer Vielfalt und einer im Westen nicht bekannten Qualität erreichten Europa schon früh in großer Zahl. Sie haben sich in einigen königlichen Sammlungen, vor allem aber in Kirchenschätzen erhalten, meist im Zusammenhang mit der kostbaren Aufbewahrung von Reliquien aber auch als Paramente. Das Pluviale von Thomas Becket repräsentiert in besonderem Maße den Gebrauch und die Wiederverwendung dieser islamischen Textilien. Es besteht aus fast 40 Teilstücken einer einzigen Stickerei. Regula Schorta versucht eine zeichnerische Rekonstruktion des Originals und führt vor Augen, mit welcher Sorgfalt und ästhetischem Geschick aus einem kostbaren und schönen Material ein repräsentatives Parament, hier das halbkreisförmige Pluviale, komponiert wurde. Auf dunkelblauem Seidengrund sind in Goldfadenstickerei Herrscherfiguren und berittene Jäger auf der Falkenjagd, vor allem aber reale und mythische Tiere dargestellt, ein Adler beim Reißen eines Zickleins, Greifen und Sphinxe, Elefanten und Gazellen, geflügelte Löwen, schöne Hähne, Pfauen und gegenständige Vögel. Dazwischen ein Netz von kleinen Medaillons und sechsstrahligen Sternen, wiederum mit Tierfiguren geschmückt. In der Mitte des Chormantels, die beim Tragen auf dem Rücken des Priesters zu liegen kommt, ist ein floral verziertes Schriftband mit kufischen Schriftzeichen zu sehen, das Rätsel aufgibt. Der seinerzeit von David Storm Rice vermutete Hinweis auf eine Entstehung im Jahre 510 (1116 AD) im südspanischen Almeria ist nicht zu verifizieren. Nach aktuellem Stand namhafter Kenner des alten Arabisch, darunter Sheila Blair, bleibt die Inschrift neben der floskelhaften Anrufung Allahs unleserlich und rätselhaft. Umso interessanter, wenn auch spekulativ sind Avinoam Shalems an der Geschichte des Kalifats von Córdoba und Vergleichsobjekten islamischen Kunsthandwerks orientierten Überlegungen, wonach es sich beim ursprünglichen Original um den Stoff für ein Prunkzelt für den pseudoumayyadischen Kalifen Hischam II gehandelt haben könnte, hergestellt in einer andalusischen Werkstatt, vielleicht in Córdoba im 11. Jahrhundert. Wie dem auch immer sei, die kostbare Goldstickerei illustriert das hohe Niveau der Textilhandwerker des Kalifats von Córdoba, ebenso wie derjenigen, die es zum christlichen Gewand verwandelten. Avinoam Shalem stellt sich in seinem zentralen Beitrag, mit dem er das Objekt der Untersuchung in den großen Zusammenhang jener Zeit setzt, die Frage, ob der Verwandlung vom Zelt zum Chormantel vielleicht sogar ein identischer Grundgedanke zugrunde liegt: Der Schutz des Kalifen durch das Zelt und der Schutz der gläubigen Christen, wie er in der Schutzmantelmadonna bildlichen Ausdruck gefunden hat. Es ist die Kombination eines umfassenden kunsthistorischen Wissens mit konstruktiver Fantasie und begründeter Spekulation, die Avinoam Shalem und sein neuestes Buch über das Pluviale von Thomas Becket auszeichnen.

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