Shangri-La – Entlang der Teestrasse von China nach Tibet

Autor/en: Michael Yamashita
Verlag: Frederking & Thaler Verlag
Erschienen: München 2012
Seiten: 272
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 49,95
ISBN: 978-3-89405-967-5
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2012

Besprechung:
Der amerikanische Fotograf Michael Yamashita arbeitet seit 32 Jahren erfolgreich für das Magazin National Geographic und weiß daher, worauf es ankommt: Die Aufgabe eines Fotografen und zugleich seine größte Herausforderung, so schreibt er, besteht darin, ein Motiv auf eine nie dagewesene Art und Weise zu fotografieren. Seit jeher konzentriert sich Yamashitas Arbeit vor allem auf den asiatischen Raum und doch hat er das einst so geheimnisvolle und bei allen Asienreisenden so begehrte Reiseziel Lhasa, die Hauptstadt Tibets, erstmals im Jahre 2009 erreicht. Enttäuscht, eine eher nichtssagende, chinesische Stadt des 21. Jahrhunderts vorgefunden zu haben, mit starkem Verkehr, Touristengruppen und Häusern wie überall in China, beklagt er sich, 20 Jahre zu spät gekommen zu sein – und begibt sich auf die Suche. Yamashita hat dann den Platz im Norden von Lhasa gefunden, jenseits eines Sumpfgebietes, wo sich die Rückseite des machtvollen Potala-Palastes vor einer Kulisse kahler besonnter Bergrücken in einem kleinen See spiegelt. Das stimmungsvolle Bild scheint einer ganz anderen Zeit als dem 21. Jahrhundert anzugehören. Und in der Tat, so hat man das meistfotografierte Motiv Tibets noch nie gesehen. Mit gutem Grund ziert dieses eindrucksvolle Foto daher den Umschlag des großen Bildbandes, der noch dazu den verheißungsvollen Titel „Shangri-La“ trägt. Damit ist aber nicht das mythische, irgendwo im Himalaya liegende Tal ewiger Jugend aus James Hiltons visionären Roman „Lost Horizon“ gemeint, sondern die Stadt Zhongdian in der südchinesischen Provinz Yünnan, die sich aufgrund einer brillanten und den Tourismus fördernden Marketingidee vor 11 Jahren in Shangri-La umbenannt hat. Hier beginnt die Reise Yamashitas auf der Chamagudoa, der Tee-Pferde-Strasse, über die tibetische und chinesische Händler Jahrhunderte lang chinesischen Ziegeltee gegen die robusten und zähen Hochlandpferde Tibets getauscht haben. Hier in Yünnan und im Westen von Sichuan, der Wiege der chinesischen Teekultur, finden sich nicht nur große Teeplantagen, sondern auch verschiedene, erst in den letzten Jahrzehnten ausgewiesene Nationalparks, etwa der zum Weltnaturerbe zählende Jiuzhaigou, eine wahrhaft paradiesische Landschaft mit türkisblauen Seen, gewaltigen Wasserfällen und schroffen Schnee- und Gletscherriesen. Auf fünf Reisen in den Jahren 2008 bis 2011 hat Yamashita die Chamagudoa bereist, die den Südwesten Chinas mit Zentraltibet verbindet, früher ein Geflecht von Fuß- und Saumpfaden, heute ein kaum weniger abenteuerliches Netz von schmalen und unbefestigten Strassen über hohe Pässe und durch die tiefen Flusstäler des Mekong und des Yangtse. Yamashita hat von diesen höchsten, wildesten, gefährlichsten, aber auch schönsten Strassen der Welt wunderbare Fotos mitgebracht. Auf den oft doppelblattgroßen Bildern erleben wir die eindrucksvollen, meist grünen Landschaften Osttibets, besuchen buddhistische Klöster, die, obwohl erst vor 10 oder 20 Jahren wieder aufgebaut, so aussehen, als wären sie hunderte von Jahren alt, sehen Felder mit Dutzenden von Stupas oder Chörten und eigenartig-architekturhafte, ganz aus Gebetsfahnen errichtete Kultobjekte. Osttibetische Bauernhausarchitektur, Mönchswohnungen in Blockbauweise und schwarze Nomadenzelte aus Yakhaar zeigen das breite Spektrum tibetischer Wohnkultur. Vor allem aber hat Yamashita Menschen fotografiert, Teebauern in China, tibetische Nomadenfrauen beim Melken der Dri, der weiblichen Yaks, oder bei der Bereitung von Buttertee im Zelt, Mönche beim Gebet im Tempel und beim Kochen in der Klosterküche, Pilger auf ihrem beschwerlichen und langen Weg nach Lhasa, den sie ganz mit Niederwerfungen zurücklegen, junge Mädchen und Frauen in Festtagstracht beim Pferdefest in Naqchu und phantasievoll gekleidete Mönche bei Gesar-Ling-Festival des Klosters Shechen. Eingestreut sind kleine Reportagen, beispielsweise über das Trocknen, Pressen und Verpacken des für Tibet bestimmten Ziegeltees, über das Drucken heiliger Schriften in der traditionellen Druckerei in Derge und schließlich über die Suche nach dem yartsa-gunbu, dem parasitären Pilz, der seine Wirtsraupe verzehrt und im Frühjahr in großer Höhe als unscheinbarer, knorriger Stiel wie ein versteinerter Wurm aus dem Boden spitzt. Selten und schwer zu finden ist er Grundlage der teuersten Kräutermedizin der Welt und erzielt in Shanghai oder Peking mit knapp 60,000 Euro pro Kilo deutlich mehr als Gold. Er hat in Teilen Tibets eine Art Goldrausch bewirkt und einen neuen Reichtum geschaffen, der das Pferd zugunsten des Motorrads verdrängt und Handy, i-phone und Fernseher in das nomadische Leben bringt. So ist das Buch trotz des auf das Schöne und Eindrucksvolle konzentrierten Blicks des Fotografen auch ein Zeugnis für eine sich verändernde tibetische Kultur. Und mit Yaks im Schneesturm, badenden Mönchen in einer heißen Quelle oder wehenden Gebetsfahnen am Namtso-See gelingt es Yamashito immer wieder, Motive auf eine nie gesehene Art und Weise zu fotografieren.

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