Ancestral Realms of the Naxi – Quentin Roosevelt´s China

Autor/en: Christine Mathieu, Ciny Ho (Hrsg)
Verlag: Rubin Museum of Art, Arnoldsche Art Publishers
Erschienen: New York Stuttgart 2011
Seiten: 200
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 39.80
ISBN: 978-3-89790-343-2
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2011

Besprechung:
Das etwa 300.000 Seelen zählende Volk der Naxi ist eine der 55 von China anerkannten Minderheiten. Die Naxi leben im Nordosten der südchinesischen Provinz Yünnan im schwer zugänglichen Bergland der südöstlichen Ausläufer des Himalaya. Ihr Hauptort, die Stadt Lijiang, wurde 1997 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt und seither floriert dort der Tourismus, in jüngster Zeit vor allem der innerchinesische Massentourismus, der Jahr für Jahr ein Millionenpublikum in Stadt und Region spült. Sehenswürdigkeiten sind die von Kanälen durchzogene Altstadt von Lijiang, der Schwarze-Drachenteich-Park mit Steinbrücken aus der Mingzeit, die umgebende Natur mit dem über 5000 Meter hohen Jadedrachen-Schneeberg, sowie Folklore, Musik und Kunst der Dongba-Kultur. Aus heutiger chinesischer Sicht ist diese nach den Priestern der Naxi-Religion benannte Tradition, entsprechend dem Umgang Chinas mit seinen anderen Minderheiten, ein idealisiertes Erbe aus vergangener Zeit, das denTouristen in musealer Form als Urlaubsattraktion präsentiert wird. Gänzlich anders ist der westliche Blick auf die Naxi und ihre Kultur, wie er zur Zeit in einer Ausstellung des Rubin Museum of Art in New York (bis zum 19. September) und vor allem in dem begleitenden Buch wahrgenommen werden kann. Anlass und Ausgangspunkt sind Sammlungsgegenstände, Manuskripte vor allem, die der 19. Jahre alte Harvard-Student Quentin Roosevelt, Enkel des amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt, von einer Forschungsreise zu den Naxi im Jahre 1939 nach Hause brachte. Diese, in verschiedenen Museen verwahrte Sammlung und Roosevelts Aufzeichnungen wurden nie zuvor publiziert und auch die posthum von Giuseppe Tucci veröffentlichten Arbeiten eines anderen Naxi-Forschers, des Botanikers Joseph Rock (1884-1962), der 27 Jahre unter den Naxi in Lijiang gelebt hat, wurden bestenfalls einigen Anthropologen und Linguisten bekannt. So ist die vorliegende Publikation die erste umfassende Einführung in die Kultur und Religion der Naxi. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der einzigartigen, gänzlich aus Piktogrammen aufgebauten Schrift der Dongba, die ausschließlich für den religiösen Kult bestimmt ist. Dieses Bilderschriftsystem, die einzige, noch heute praktizierte piktographische Schrift der Welt, besteht aus ca. 1.400 Zeichen, ist trotz ihres naiv-plakativ wirkenden Erscheinungsbildes äußerst komplex und kann nur von den Dongba gelesen und geschrieben werden. Ähnlich geheimnisvoll wie diese Schrift, die nach heutigen Erkenntnissen im 13./14. Jahrhundert ohne erkennbare Vorläufer und Vorbilder entstanden ist, sind Herkunft und Ursprung des Volkes der Naxi und ihrer Religion. Die tibeto-burmesische Sprache der Naxi und ihr Siedlungsgebiet in der Grenzregion zwischen Burma, China und Tibet lässt an eine Einwanderung aus dem Nordwesten also an eine tibetisch-nomadische Herkunft denken. Das bestätigt auch die Religion, deren prägende Züge der vorbuddhistischen tibetischen Bön-Religion sehr ähnlich scheinen, die aber auch Bestandteile des zentralasiatischen Schamanismus aufweisen und Elemente sowohl des Buddhismus, wie des Konfuzianismus und Taoismus integriert haben. Es ist ein ganz einem ursprünglichen Animismus verhaftetes Glaubenssystem ohne philosophische oder metaphysische Dimensionen. Ihr Bezugspunkt ist die Welt mit ihren sichtbaren und unsichtbaren Aspekten. Die gesamte Umwelt und Natur, Berge, Gewässer, Felsen oder Bäume, ist belebt und die dort wirkenden Geister und Götter müssen verehrt oder gefürchtet, gerufen oder abgewehrt werden. Das alles geschieht in Form von unzähligen – man schätzt weit mehr als tausend – unterschiedlichen Ritualen und Zeremonien, die von den Dongba praktiziert werden. Diese Religion kennt keine formale Organisation, keine festen Plätze für Rituale und Verehrung und keine Tempel, sondern allein diese einzigartige Manifestation in Form der piktographischen Manuskripte. Diese Dongba-Schrift, neben der für weltliche Zwecke noch eine normale Schrift, die geba, gebraucht wird, ist ausschließlich der Aufzeichnung der spirituellen Welt der Naxi vorbehalten. Ausstellung und Katalogteil des Buches zeigen vor allem diese Piktogramme auf Manuskriptseiten, Ritualkarten, hölzernen Tafeln, wie sie zur Begrenzung von Ritualplätzen verwendet werden, und auf einem einzigartigen, 12 Meter langen Rollbild aus dem Bestattungsritual der Dongba, daneben eine Anzahl Thangkas, sowie Ritualobjekte wie Trommeln, Kronen, Schwerter und Zepter. In einem knappen Dutzend Essays können die neuesten Forschungsergebnisse zur Herkunft und Geschichte der Naxi und zur Entwicklung und den Inhalten der Religion und ihrer Rituale und Zeremonien ebenso nachgelesen werden wie die Rolle und Funktion der Dongba und die Stellung der Frau in der Naxi-Kultur. Ein Beitrag widmet sich der Daba Religion des oft den Naxi zugerechneten benachbarten Stammes der Mosuo, der vor allem dadurch bekannt wurde, dass dort die Ehe durch eine formlose Besuchsbeziehung ersetzt ist. Weitere Essays widmen sich dem leider kurzen Leben von Quentin Roosevelt – er starb im Alter von 29 Jahren bei einem Flugzeugabsturz – und der abenteuerlichen Karriere des in Wien geborenen, botanischen Autodidakten und Naxi-Enthusiasten Joseph Rock. Ein praktizierender Dongba berichtet über seine Sicht auf Religion und Kunst und Professor Yang Fuquan von der International Society of Naxi Studies erzählt in einem Interview über die Bemühungen und den Stand der Übersetzung von Naxi-Manuskripten und über Schwierigkeiten aber auch Erfolge bei der Wiederbelebung und Erhaltung der Dongba-Kultur. So wird schließlich deutlich, das die chinesisch-touristische Sichtweise auf die Naxi falsch ist und dass es sich bei der Naxi-Kultur vielmehr seit jeher um einen sich fortwährend ändernden Prozess kultureller und religiöser Entwicklung und nationaler Identität im Angesicht sich ändernder historischer Umstände und Möglichkeiten handelt, der auch heute nicht abgeschlossen ist. Ein Buch über eine kleine, aber ausgesprochen reiche Kultur im Südwesten Chinas, für Liebhaber asiatischer Kunst und Kultur eine echte Entdeckung.

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