Myanmar – Birmas Lackkunst von der Beteldose bis zum Reisekoffer

Autor/en:        Georg-Rüdiger Traud

Verlag:           Eigenverlag des Autors

Erschienen:    Darmstadt 2016

Seiten:            864, 1 Leporello

Buchart:         Leinen mit Schutzumschlag

Preis:              € 265,00

ISBN:            978-3-00-053881-0

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

 

Neben dem bewunderten Porzellan haben schon sehr früh auch chinesische Lackarbeiten europäische Abnehmer fasziniert, waren doch die nahezu dreidimensionalen, roten Schnitzlackobjekte fast so begehrenswert und geheimnisvoll wie das weiße Gold. Etwa um 1700 unter Kaiser Kangxi waren Lackerzeugnisse neben Porzellan sogar Chinas zweitwichtigstes Exportgut, wovon fürstliche Wunderkammern und Lackkabinette noch heute Zeugnis geben. Im Gegensatz zum Porzellan wurden Geheimnis und Herkunft dieses Materials, das Baumharz des ostasiatischen Lackbaums, schon im Laufe des 17. Jahrhunderts gelüftet, doch Versuche, dieses Gewächs in Europa heimisch zu machen, schlugen fehl. So sind echte Lackarbeiten bis heute eine Domäne asiatischen Kunsthandwerks. Ihr besonderes Merkmal ist ihre außerordentliche chemische und mechanische Dauerhaftigkeit, wie man an den etwa 2000 Jahre alten, bei Chang-sha in China ausgegrabenen Funden oder an den 1200 Jahre alten Lack-Gegenständen aus dem japanischen Kronschatz im Shoso-in, der Schatzkammer des Todai-ji in Nara sehen kann. Die wissenschaftliche Untersuchung dieses  Phänomens blieb dann der chemischen Forschung des 20. Jahrhunderts vorbehalten. Dazu hier nur so viel, dass es sich bei dem Saft des Lackbaumes quasi um einen in der Natur vorkommenden „Kunststoff“ handelt, ein Biopolymer mit verschiedenen hochkomplexen Bestandteilen, die nach dem Trocknungs- und Härtungsvorgang der zahlreichen Lackschichten für die außergewöhnlichen Eigenschaften des Lacküberzugs verantwortlich sind.

 

Was die Wissenschaft für den in China und Japan verwendeten Urushi-Lack herausgefunden hat, gilt gleichermaßen für das Thitsitol des birmanischen, dort Thitsi genannten Lackbaumes. Mit der Öffnung Myanmars für einen inzwischen boomenden Tourismus wurden erstmals birmanische Lackarbeiten weiteren Kreisen bekannt; in Myanmar wurden sie damit auch zum beliebten Touristen-Souvenir und schnell zum Objekt billiger Massenimitationen aus Kunststoff. So kommt ein Buch über die traditionelle Lackkunst Birmas gerade recht. Und was für ein Buch, was für eine Sammlung! Auf 864 Seiten, ein mehrfach ausfaltbares Leporello nicht mitgerechnet, und mit mehr als 1400 Farbbildern und fast 400 Zeichnungen wird die in ca. 20 Jahren aufgebaute, gewiss weltweit einzigartige, private Sammlung von Alexander und Gerd-Rüdiger Traud vorgestellt. Die Darstellung lässt skulpturale Arbeiten, also etwa Buddhafiguren außer Acht und beschränkt sich auf die wichtigsten Gegenstände birmanischer Lackkunst, auf Dosen unterschiedlichster Art, Opfergefäße, Almosenschalen, Schatullen, Reistöpfe, Currybehälter und vor allem auf die aus einem Boden, mehreren, meist zwei Tellern und einem hohen Deckel bestehenden Beteldosen. Dieser hohe, zylindrische Deckel ist geradezu eine Spielwiese für eine kaum für möglich gehaltene Vielfalt an Dekortechniken und Dekoren, doch dazu später.

 

Der Autor erweist sich als der ideale Sammler, der die Devise „Sammeln, Wissen mehren, Verstehen, Kundtun“ in einer Art und Weise umgesetzt hat, die das Thema in jeder Hinsicht erschöpfend behandelt und keine Fragen offen lässt. Es beginnt mit der Rolle des Betelkauens in der birmanischen Gesellschaft, den benötigten Zutaten, der Bereitung des Betelpriems und dessen Aufbewahrung. Vor allem aber werden Aufbau und Herstellung der Lackarbeiten minutiös beschrieben woraus allein schon eine hohe Bewunderung dieser kunsthandwerklichen Arbeit und ihrer in Birma hochverehrten Lackmeister resultiert. Im Gegensatz zu anderen ostasiatischen Lackarbeiten besteht der Rohling einer birmanischen Lackarbeit aus einem flexiblen Bambusgeflecht. Auf dieses werden Spachtelmassen, teilweise schon mit Lack versetzt, in mehreren Schichten und schließlich der Lack wiederum in mehreren bis vielen Schichten aufgetragen. Da jede Schicht in besonders geeigneten Räumen unter kontrollierten Bedingungen trocknen muss, ist schon die Herstellung des Rohlings außerordentlich zeitaufwendig. Bis die dekorative Behandlung dieses schwarzen Lackrohlings beginnen kann, können Monate bis zu einem Jahr und mehr vergehen. Die sich anschließende Dekoration ist die hohe Kunst der Lackmeister, für die eine ganze Anzahl unterschiedlicher, traditioneller Techniken zur Verfügung stehen. Neben andern ist es vor allem eine Ritztechnik, bei der in den Lack gravierte linienförmige Vertiefungen zur Aufnahme verschiedener Farben dienen. Eine weitere Technik ist die Verwendung von Blattgold oder der Einsatz von pastösem Formlack, der einen reliefartigen Dekor ermöglichst. Es versteht sich, dass alle Rohstoffe und Färbedrogen, Arbeitsschritte, Geräte und Werkzeuge bis zu den Dekortechniken nicht nur genau beschrieben, sondern mit Fotos detailgenau erläutert werden.

 

Der Kern und umfangreichste Teil des Buches ist der Dekoration, den Mustern der Lackarbeiten gewidmet, deren unglaubliche Vielfalt nicht nur ausführlich erklärt und durch schematische Zeichnungen erläutert, sondern jeweils auch durch zahlreiche originale Beispiele, in erster Linie Beteldosen, in Gesamt- und Detailfotos anschaulich gemacht wird. Neben  geometrischen, floralen oder figürlichen Mustern, die dominierend oder auch nur als Hintergrund erscheinen, sind es vor allem die erzählenden Darstellungen vom Königshof, mythische oder historische Geschichten aus der birmanischen Vergangenheit oder Erzählungen aus dem Leben Buddhas, die durch ihren narrativen Inhalt und ihren Detailreichtum faszinieren. Schriftkartuschen verraten gelegentlich den Lackmeister, den Herstellungsort und in seltenen Fällen auch das Datum der Herstellung. Dosen aus dem 19. Jahrhundert sind hier exquisite Raritäten und herausragende Beispiele eines einzigartigen Kunsthandwerks.

 

Eine Übersicht über die Regionen und Zentren der Lackwarenherstellung in Myanmar mit Hinweisen auf bekannte Lackmeister und Manufakturen, Gedanken über Kopien und Fälschungen sowie über die Problematik zeitgenössischer Lackarbeiten und deren grassierenden Qualitätsverlust beschließen ein Buch, das ein unverzichtbares Kompendium für alle Kenner und Liebhaber nicht nur der birmanischen sondern der gesamten asiatischen Lackkunst ist.

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