Living Hands – Tibetan Arts and Artisans

Autor/en: Chris Buckley
Verlag: Torana Asian Art
Erschienen: Hong Kong 2011
Seiten: 100
Ausgabe: Softcover
Preis: USD 30,00 (bei Amazon)
ISBN: 988-98526-1-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Mai 2012

Besprechung:
Textilien aus Tibet – dieser Begriff lässt vor allem an die phantastischen Seidengewebe und Stickereien denken, die sich in Klöstern und Tempeln auf dem Dach der Welt dank der trockenen, reinen und dünnen Luft über Jahrhunderte erhalten haben und die seit der Öffnung Tibets am Ende des 20. Jahrhunderts in beachtlichen Mengen und oft exzellenter Erhaltung in den Westen gelangten. Diese Seiden sind so spektakulär, dass die Geschichte der sassanidischen, sogdischen und frühen chinesischen Seidenweberei neu geschrieben werden musste und dass Museen und Sammlungen – wie etwa die Abegg-Stiftung in Riggisberg bei Bern – um Exponate von außergewöhnlicher Schönheit bereichert wurden. Dass Tibet darüber hinaus – neben seinen Teppichen – eine eigene, reiche und unverwechselbare Textilproduktion besitzt, blieb hinter der Attraktion der Seidengewebe weitgehend vorborgen, wurde nur Wenigen bekannt und bisher so gut wie gar nicht publiziert. Chris Buckley aus Beijing, ein anerkannter Kenner und Liebhaber tibetischen Kunsthandwerks – sein Buch über tibetische Möbel, das bisher einzige seiner Art, ist 2005 bei Thames & Hudson erschienen – hat nun einen schmalen Band über traditionelles tibetisches Kunsthandwerk veröffentlicht, dessen Schwerpunkt neben Malerei, Metallhandwerk, Schmuck und Arbeiten aus Holz vor allem den Textilien und den textilen Techniken wie Färben, Weben, Knüpfen und Applizieren gewidmet ist. Erfreulicher Anlass für dieses Buch ist die Feststellung des Autors, dass diese traditionellen und oft Jahrhunderte zurückreichenden kunsthandwerklichen Kenntnisse und Fertigkeiten trotz der Globalisierung, trotz der Importe von billigen Imitaten aus Nepal, Indien und China und vor allem trotz der nun über ein halbes Jahrhundert währenden Versuche der chinesischen Machthaber, tibetische Traditionen auf reine Folklore und Touristenattraktion zu reduzieren, nach wie vor Bestand haben, ja sogar verstärkt eine Wiederbelebung erfahren. Die von ausdrucksstarken Portraits begleitete Vorstellung von heute tätigen Handwerkern und ihren schönen und typischen Produkten ist eine überaus positive Nachricht aus einem Land, aus dem sonst fast nur noch negative Schlagzeilen in die Zeitungen kommen. Doch zurück zu den Textilien: Das Material dieser bäuerlichen und nomadischen Arbeiten ist hier freilich keine Seide, sondern Wolle und Haar von Schaf, Yak und Ziege, die dank der rauen klimatischen Bedingungen von unübertroffener Qualität sind. Gewebt wird in der Regel mit dem Rückengurtwebstuhl; dabei entstehen in unterschiedlichen Webtechniken mehr oder weniger schmale Bänder mit einfachen oder in sich gemusterten Quer- oder Längsstreifen, die dann zu den traditionellen Schürzen der Frauentracht oder zu Decken zusammengenäht werden. Es ist der ausgeprägte Sinn der Tibeter für Proportionen, Farben und Farbzusammenstellungen, der diesen Arbeiten ihr unverwechselbares tibetisches Gepräge gibt. Bestes Beispiel sind die bunten Schürzen der Frauen aus diesen Bändern mit Querstreifen in vielen Farben und unterschiedlicher Breite, wobei drei oder auch vier Teilstücke versetzt und so aneinander genäht werden, dass sich ein harmonischer und lebendiger Gesamteindruck ergibt. Die Farbkombinationen spiegeln häufig lokale und familiäre Traditionen und wären ein reizvolles und wichtiges Thema für weitere Feldforschung. Ohne Webstuhl entstehen brettchengewebte Bänder, oft mit Mustern und Symbolen, deren Deutung ein weiteres interessantes Thema sein könnten, und Decken für Pferde und Yaks in einer speziellen Flechttechnik, deren typische Zick-Zack-Muster sich auch zu Rauten und Doppelrauten und so zu dem traditionellen Vajra- oder Donnerkeilmotiv formen. Beliebt für Reittextilien, Sitzpolster und als Saumstoff für die tibetische Chuba, das traditionelle Kleidungsstück für Männer und Frauen, sind in Abbindetechnik gefärbte Stoffe, vorzugsweise mit dem in Tibet so beliebten Kreuzchen- oder Tigma-Muster. Applikationstechniken für Sommerzelte, für Türvorhänge und für die Kostüme der Cham-Tänzer vervollständigen die dekorative Vielfalt tibetischer Flachgewebe und Stoffe. Auch tibetische Teppiche zeichnen sich nicht nur in ihren Mustern durch Phantasie und Variationsreichtum aus, sondern durch eine Vielfalt unterschiedlicher Knüpftechniken, die vom Autor, der selbst seit 2005 den Tibet Tanva Workshop in Lhasa für traditionelle Textilien und Teppiche betreibt, detailliert beschrieben werden. Neben den normalen Teppichen – wenn man bei der seltenen und auf frühen zentralasiatischen Ursprung weisenden Schlingentechnik überhaupt von „normal“ sprechen kann – gibt es die so genannten „Wangden-Dromtse“, die wegen ihrer groben und einen sehr dicken und gut isolierenden Teppich ergebenden Struktur nicht nur eine für stundenlange Pujas im ungeheizten Tempel geeignete Sitzunterlage bilden, sondern auch stets einfache und archaische Muster aufweisen. Ebenfalls in mehreren Bahnen und mit wiederum anderer, sehr lockerer Struktur werden die weichen, oft unifarbigen oder mit abstrakten Mustern versehenen nomadischen Schlafteppiche geknüpft. Da neben den neuen stets auch alte Beispiele für die im Buch vorgestellten kunstgewerblichen Produkte abgebildet werden, ergibt sich ein eindrucksvolles Bild alter und bis heute fortbestehender handwerklicher Tradition.

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