Begegnungen mit Kunst

Begegnungen mit Kunst

Autor/en:        Wolfgang Felten, Hubertus Hamm

Verlag:           Hirmer Verlag

Erschienen:    München 2017

Seiten:            230

Buchart:         Leinen mit Schutzumschlag

Preis:              € 75,00

ISBN:            978-3-7774-2903-8

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

 

Wolfgang Feltens Buch „Begegnungen mit Kunst“ ist vor allem eine Begegnung mit der Kunst Südostasiens, hier in erster Linie mit der Kunst der Khmer aus Kambodscha. Das ist keine Überraschung, hat doch Felten bereits 1989 zusammen mit Roger Goepper die erste große Khmer-Ausstellung in Deutschland organisiert und im selben Jahr zusammen mit Martin Lerner vom Metropolitan Museum of Art das Standardwerk „Das Erbe Asiens – Skulpturen der Khmer und Thai vom 6. zum 14. Jahrhundert“ publiziert. Neu und überraschend ist der Blick des international renommierten Fotografen Hubertus Hamm auf diese Skulpturen, deren reduzierte Formensprache in aller Regel durch schlichtes Abbilden des vordergründig Sichtbaren am besten zum Ausdruck zu bringen zu sein scheint (vgl. für viele andere: „Adoration and Glory – The Golden Age of Khmer Art“ von Emma Bunker und Douglas Latchford, Chicago 2004). Durch effektvolles Licht, ausgefallene Blickwinkel, hervorgehobene Details und makrofotografische Ansichten machen uns Hamms Aufnahmen bewusst, dass die einzigartige Ästhetik dieser Skulpturen, das Nebeneinander von Klarheit, Strenge und Sinnlichkeit und die Ausstrahlung von unendlicher Ruhe und Gelassenheit mit gestalterischen Mitteln erreicht wird, die mit Worten kaum gesagt oder beschrieben werden können. Neu und überraschend ist auch die Gegenüberstellung dieser Meisterwerke südostasiatischer Kunst mit afrikanischen Skulpturen von der Elfenbeinküste, moderner Fotokunst, einem indischen Hinterglasbild des 18. Jahrhunderts, zeitgenössischer Kunst auf Papier und einem arg malträtierten italienischen Prozessionskopf des 17. Jahrhunderts. Die Affinität der Skulpturen der Khmer zu den minimalistischen und reduzierten Bildinhalten der Moderne ist offensichtlich. Doch Wolfgang Felten will mit seiner überraschenden, ganz persönlichen und so gegensätzlich erscheinenden Auswahl mehr. Eingedenk der Gefahr des Vorwurfs, dass es sich der Rezensent damit gar zu leicht gemacht hat, soll hier der Autor selbst mit seinem einführenden Text zu Wort kommen, denn entschiedener kann man es nicht ausdrücken:

Kunst hat ihre eigenen Gesetze, ihre Existenz ist nicht beweisbar, ihr Wesensinhalt nicht erklärbar. Man kann sie nur erfahren – oder auch nicht. Und diese Erfahrung zu erzwingen, ist ausgeschlossen; möglich allenfalls der Versuch, sie vorzubereiten. Und darum geht es hier. Kein Katalog, keine Kunstgeschichte, keine Sammlungspräsentation. Vielmehr eine kleine Anzahl von Kunstwerken, emotional und unabhängig von deren Bedeutung ausgesucht – und der Wunsch, weiterzugeben, was das Privileg der Begegnung oder gar des Lebens mit Kunst ermöglicht: Ein fast beglückendes Staunen darüber, wie es sein kann, dass aus toter Materie etwas entsteht, das lebt, anregt und belebt – und zu verstehen, warum dies geschieht. Mit weit offenen Augen, mit einem langen, ruhigen Blick und der Bereitschaft, sich auf die Werke einzulassen – von denen es manche über Tausende von Jahren vermocht haben, ihre Betrachter zu berühren, vielleicht sogar, sie an etwas glauben oder auf etwas hoffen zu lassen, das über das Funktionale und zeitlich Begrenzte ihrer Schöpfer und deren Schöpfungen hinausgeht. Wenn dieses Buch ein wenig zu einer solchen Erfahrung beitragen kann, hat es seinen Zweck erfüllt.

Mit seinen Begegnungen will uns Wolfgang Felten auf eine ganz besondere Art die Augen öffnen, Kunst wahrzunehmen und sich auf sie einzulassen. Bewusst fehlt daher auch jede kunstwissenschaftliche Begleitung; nur mit knappen und ganz persönlichen Kommentaren lädt uns der Autor dazu ein, an seinem beglückenden Staunen teilzuhaben, Parallelen zu entdecken, Kunst zu empfinden und deren Schönheit zu genießen. Dass er dabei die Skulptur der Khmer gleichsam als Maßstab ansetzt, ist seiner Liebe zu diesen Kunstwerken geschuldet und für den Leser/Betrachter des Buches ein Gewinn. Ist die Khmer-Kunst dem westlichen Kunstliebhaber mit abendländischer Prägung eher fremd, so erschließen die außergewöhnlichen Bilder von Hubertus Hamm die tiefgründige Schönheit dieser Skulpturen, ihre statuarische Würde und ihre Sinnlichkeit, die durch Abstraktion im Ebenmaß eher gesteigert als unterdrückt wird. Und so gelingt es, Vergleiche zu ziehen, Gemeinsamkeiten zu entdecken und verwandte Kreativität zu erkennen, etwa im Torso einer weiblichen Gottheit eines anonymen kambodschanischen Künstlers aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, dem Foto „Kim Nude“ von Saul Leiter aus dem Jahre 1947 und dem 1971 entstandenen Aquarell von Thomas Weczerek. Feltens Kommentar zu diesem zarten Aquarell „Anmut, Selbstvergessenheit, Natürlichkeit, keine Pose“ übergreift ein Jahrtausend künstlerischen Schaffens in Ost und West und steht für die Allgemeingültigkeit der Kunst. Und das ist nur ein Beispiel für viele weitere Momente beglückenden Staunens.

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