Turn of the Sea – Art from the Eastern Trade Routes

Turn of the Sea – Art from the Eastern Trade Routes

Autor/en:        Luisa Vinhais, Jorge Welsh

Verlag:           Jorge Welsh Research and Publishing

Erschienen:    London 2017

Seiten:            360

Buchart:         Hardcover/Paperback

Preis:              GBP 150,00/90,00

ISBN:            978-0-9935068-2-6 (Hc); 978-0-9935068-2-6 (Pb)

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

Mit einer Ausstellung und einem opulenten Katalog über europäische Ansichten auf chinesischem Export-Porzellan feierte die Galerie von Jorge Welsh und Louise Vinhais mit Sitz in London und Lissabon im Herbst 2016 ihr dreißigjähriges Bestehen. Sie gehört seit Jahren zu den global players des internationalen Kunstmarktes und bespielt seit jeher das Thema chinesisches Export-Porzellan in immer wieder neuen und überraschenden Varianten, stets mit ausgesuchten Objekten, thematisch orientierten Ausstellungen und begleitenden Katalogen, die aufgrund ihrer fundierten wissenschaftlichen Texte quasi selbstverständlich zu Standardwerken der jeweils gewählten Themen avancieren. Publikationen über christliche Motive auf chinesischem Porzellan (2003), über Kraak Porzellan (2008) oder die monumentale Monographie zur R. Albuquerque Collection mögen hier als Meilensteine des Galerie- und Verlagsprogramms genannt werden. Auch 2017 blieben Jorge Welsh und Louise Vinhais mit Ausstellung und Katalog ihrem Kerngebiet, dem chinesischen Export Porzellan treu, betrachten es aber unter Einbeziehung kunsthandwerklicher Objekte aus Japan, Indien, Ceylon und Afrika unter einem neuen Blickwinkel. Der Fokus liegt nun auf der Bedeutung der Kunstwerke als Teil des Dialoges zwischen Völkern und Kulturen, als Ergebnis der Begegnung unterschiedlicher Kulturen in der Zeit von der Errichtung des Seeweges zwischen Europa und Ostasien im frühen 16. Jahrhundert bis zur Industrialisierung der Welt im 19. Jahrhundert.

Ob es unter diesem Aspekt sehr glücklich war, den Reigen von Kunstwerken ausgerechnet mit einer Reliefplatte vom Königspalast in Benin-City – gewiss ein exzeptionelles Kunstwerk und eine Rarität allerersten Ranges – zu beginnen, mag man bezweifeln, stehen diese Benin-Bronzen doch gerade nicht für Dialog und Begegnung sondern für kolonialen Kunstraub in globalem Maßstab. Im Jahre 1897 plünderten britische Kolonialtruppen während einer aus nichtigen bzw. provozierten Anlass durchgeführten Strafexpedition den Königspalast von Benin-City und gliederten das bis dahin unabhängige Königreich Benin dem britischen Kolonialreich ein. Die Beute waren unter anderem tausende dieser äußerst kunstvollen, im Wachsausschmelzverfahren hergestellten Skulpturen und Reliefplatten, die in den der Plünderung folgenden Jahren im internationalen Kunstmarkt verteilt wurden. Bis zum Beweis des Gegenteils muss wohl auch das von Jorge Welsh angebotene Relief als aus diesem, bereits zu seiner Zeit als barbarisch verurteilten Akt kolonialer Gewalt herrührend angesehen werden.

Und so stehen auch alle anderen Objekte, etwa Truhen, Kabinette und Kasetten aus Indien und Ceylon, Lackarbeiten und Feuerwaffen aus Japan und all die herausragenden Exportwaren aus Porzellan der chinesischen Ming- und Qing-Dynastie nicht immer zwingend und primär für einen Dialog der Kulturen, wohl aber für die stets funktionierenden Prinzipien von Kommerz und Gewinn. Die gegenseitige Beeinflussung von Handwerk und Kunst aus Ost und West, jener Dialog also, den die Objekte vermitteln, das Entstehen einer transkulturellen Kunst, ergab sich aus den beiderseitigen kommerziellen Interessen quasi von selbst oder nebenbei. Diese eher kritische Anmerkung zum Bedeutungsgewicht der einleitenden Essays soll und muss aber verblassen vor der Qualität und Aussage der Objekte, vor deren Darstellung in perfekten Ansichten in toto und in Details und vor den sorgfältigen Beschreibungen, die jedes einzelne Objekt in seinen zeitlichen und kunsthistorischen Kontext platziert. Und auch wenn das Thema, also die durch die Entdeckung, Etablierung und zunehmende Professionalisierung des Seeweges zwischen West und Ost entstandene Spezies einer transkulturellen Kunst mit den 69 Objekten nur beispielhaft behandelt werden kann: Das Ergebnis ist gleichwohl eindrucksvoll und überzeugend.

Da ist etwa eine kleine, nur 10 x 7,5 cm messende Elfenbeinschnitzerei, ein Halbrelief, das den heiligen Hieronymus zeigt, ein Kruzifix in der Hand, Löwe und Totenkopf als Attribute und Gottvater, der aus Wolken auf das Geschehen herabsieht. Sie gehört zu einer Gruppe von ähnlichen Arbeiten mit spezifisch christlichen Motiven, die jesuitische Missionare alsbald nach ihrer Ankunft in Macao im späten 16. Jahrhundert bei chinesischen Handwerkern in Auftrag gaben. Was auf den ersten Blick die Anmutung einer alpenländischen Klosterarbeit hat, erweist sich durch die chinesischen Physiognomien der Dargestellten als ein solches Objekt transkultureller Kunst. Auch die so genannten „first orders“, Porzellanobjekte aus dem 16. Jahrhundert, nach Form und Stil noch ganz und gar chinesisch und doch schon mit europäischen Motiven, etwa einer Armillarsphäre oder Adelswappen versehen, gehören zu dieser spezifisch aus dem Handel zwischen Ost und West enstandenen Kunstform. Unter den mandschurischen Kaisern der Qing-Dynastie, vor allem unter Kangxi (1662-1722) und Qianlong (1736-1795), zugleich die Blütezeit der niederländischen VOC (Vereenigte Oostindische Kompagnie) wurde diese transkulturelle Kunst schließlich zur Massenware. Man schätzt, dass die VOC im 17. und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts etwa 43 Millionen Stück chinesischen Porzellans auf den europäischen Markt gebracht hat. Exzellente Einzelstücke mit den Wappen  bedeutender portugiesischer Familien oder ein komplettes Speiseservice, Stück für Stück mit der mythologischen Szene des „Urteils des Paris“ bemalt, sind hier faszinierende Beispiele, ebenso wie unbemaltes chinesisches Porzellan, das in Europa von niederländischen Malern mit chinoisen Szenen bemalt wurde. Nicht  nur trans-, sondern geradezu multikulturell sind zwei monumentale Ansichten von Rio de Janeiro, die dem in Macao blühenden Zweig chinesischer Malerei für westliche Auftraggeber aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zuzurechnen sind. Ein Luntenschlossgewehr aus japanischer Produktion des 17. Jahrhunderts mit einer im Gewehrlauf als Metallintarsie eingelegten Figur eines Europäers ist ein weiterer Beleg für transkulturelle Kunst aber auch dafür, dass die gegenseitige Beeinflussung und Übernahme  in gleicher Weise technische Lösungen erfasste – aber das ist ein anderes Thema.

Für diese interkulturelle Kunst konnten hier nur wenige Beispiele ausgewählt werden. Was an diesem jüngsten Buch von Jorge Welch Research and Publication besonders überzeugt, ist die extrem sorgfältige Beschreibung der einzelnen Objekte mit Hinweisen auf vergleichbare Objekte in öffentlichen und privaten Sammlungen rund um die Welt. Kompliment also für diese Recherchenarbeit und das daraus entstandene Buch über die Kunst des frühen Seehandelsweges zwischen Europa und Asien.

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