Mirror of the Buddha – Early Portraits from Tibet

Autor/en: David P. Jackson
Verlag: Rubin Museum of Art
Erschienen: New York 2011
Seiten: 226
Ausgabe: Klappenbroschur
Preis: USD 54,00
ISBN: 978-0-9845190-3-3 (Broschur)
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2012

Besprechung:
„Die Dame mit dem Hermelin“, dieses berühmte Bild von Leonardo da Vinci war der Magnet, der von August bis November 2011 hunderttausende von Besuchern zu der Blockbuster-Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ ins Berliner Bode-Museum lockte. Das Lächeln dieser Dame ist ähnlich unergründlich wie das der Mona Lisa, doch weiß man bei dem Bild aus dem Besitz der polnischen Adelsfamilie Czartoryski immerhin, wen es darstellt, nämlich Cecilia Gallevani, die 17-jährige Geliebte des Mailänder Herzogs Lodovico Sforza, der den damals wohl bekanntesten italienischen Maler für dieses Portrait verpflichtete. Auch da Vincis Zeitgenossen Donatello, Botticelli, Bellini, Raffael, um nur die wichtigsten zu nennen, hatten sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts dem Portrait als einer ganz neuen und eigenständigen Gattung der Malerei zugewandt und meisterliche Bildnisse von den großen Persönlichkeiten der Epoche aber auch von unbekannten Schönheiten geschaffen. In Deutschland, nur wenige Jahre später, waren es Albrecht Dürer, Lucas Cranach und Hans Holbein, die erste Portraits malten. „Die Entdeckung des Menschen – das deutsche Portrait um 1500“ war denn auch der Titel der ebenfalls im Herbst 2011 gezeigten Ausstellung in der Münchner Hypo-Kunsthalle, mit der, im Duett mit den italienischen Renaissance-Malern in Berlin die Entdeckung der Portraitkunst im 15. Jahrhundert gefeiert wurde. Und, welch ein Zufall, ebenfalls im Herbst 2011 (bis Ende Februar 2012) hatte das Rubin Museum in New York unter dem Titel „Mirror of the Buddha“ frühe Portraits aus Tibet präsentiert, auch diese eine eigenständige Kunstform, die jedoch ihre Blütezeit bereits vom 12. bis zum 14. Jahrhundert hatte. Die Darstellung individueller Personen ist aber schon die einzige Gemeinsamkeit dieser Bilder, die im übrigen unterschiedlicher kaum sein könnten. Während das Portraits der Renaissance, das im übrigen so sensationell neu nicht war, wurzelt es doch in den Darstellungen der griechischen und römischen Antike, eine zutiefst weltliche Kunst ist, sind tibetische Portraits Teil einer rein sakralen, buddhistischen Kunst. Und auch wenn Umgebung, Dekoration und Accessoires der Renaissanceportraits ebenfalls eine symbolische, oft schwer erkennbare Bedeutung haben, so ist die Ikonographie tibetischer Portraits als Ausdruck der historisch spirituellen Bedeutung der Dargestellten der Schlüssel für das Verständnis des Bildes schlechthin. David P. Jackson, wohl unbestritten die größte Autorität für die tibetische Thangka-Malerei, unternimmt es, in dem sorgfältigen und reich mit Abbildungen versehenen Katalog anhand zahlreicher Beispiele nicht nur, mit den Portraits von Gurus oder Lehrern eines der wichtigsten Genres der tibetischen Kunst des 12.bis 15. Jahrhunderts vorzustellen, sondern auch einen besonderen Malstil, der sich durch Feinheit, Farbharmonie und gekonnten Bildaufbau auszeichnet und der neben seiner ästhetischen Anmutung ganz besondere historische Bedeutung besitzt. Jackson nennt ihn Sharri-Stil und deutet mit diesem tibetischen Wort seine Herkunft aus der Pala- und der Sena-Dynastie des nordöstlichen Indien an, aus dem der Vajrayana- oder tantrische Buddhismus nach Tibet kam. Diese buddhistische Kultur und mit ihr fast alle materiellen Zeugnisse wurden in Indien durch muslimische Eroberer vollkommen ausgelöscht und zerstört und so hat sich von diesem originär indischen Malstil mit Ausnahme von Illustrationen in einigen wenigen Manuskripten nichts erhalten, insbesondere nicht ein einziges Thangka. Es ist, schreibt Jackson, als blicke man mit diesen Portraits in die letzte Phase indisch-buddhistischer Kunst. Und so sind diese Portraits Ausdruck eines der wichtigsten Aspekte des Vajrayana, der Notwendigkeit der Weitergabe spiritueller Weisheit vom Lehrer an den Schüler und die damit einhergehende Entwicklung unterschiedlicher Lehrwege, die durch eine genealogische Abfolge von Gurus gekennzeichnet ist, in der auch durchaus Bodhisattvas und deren Inkarnationen bis hin zu Buddha Shakyamuni präsent sein können. Daraus folgt der typische Aufbau dieser Portraits: Der verehrte Guru als zentrale Figur, umgeben von seinen geistigen Vorläufern. Die ikonographische Konvention erlaubt dem Künstler die individuelle Darstellung der Gurus nur durch Gesicht und Haartracht, während Roben, Haltung und Attribute standardisierte spirituelle Inhalte vermitteln. Es ist faszinierend, wie es Jackson nicht nur gelingt, anhand von Inschriften, Stilanalysen und unter Heranziehung tibetisch historischer Quellen die einzelnen Gurus des 13. oder 14. Jahrhunderts zu identifizieren, sondern darüber hinaus auch die dargestellten Stammbäume von Lehrergenerationen zu entschlüsseln und in Diagrammen aufzulösen. Die sich natürlich aufdrängende Frage, ob es sich bei den Darstellungen wirklich um Portraits in dem Sinne handelt, in dem wir diesen Begriff verwenden, wird durch mehrere Thangkas derselben Gurus aus unterschiedlichen Zeiten beantwortet: Das Individuum, ein ganz bestimmter Mensch mit einer für ihn typischen Physiognomie, Bart- und Haartracht, bleibt stets erkennbar. Am Beispiel von Tsongkhapa (1357-1419), dem Gründer des Gelugpa-Ordens und des Klosters Ganden wird dies besonders deutlich. Die frühesten Portraits dieses wohl am häufigsten und bis heute immer wieder abgebildeten Lehrers wurden wohl noch zu seinen Lebzeiten oder kurz nach seinem Tod angefertigt. Auch wenn sein Abbild dann in späteren Portraits mehr und mehr maskenhaft erstarrt wirkt, so bleibt Tsongkhapa doch immer als individuelle Person erkennbar. Dieses Beispiel Tsongkhapa soll hier für viele weitere aus den verschiedenen Schulrichtungen des Buddhismus stehen, die Jackson in dem Buch behandelt. Ihnen allen liegt die Idee zugrunde, dass die dargestellten Gurus als spirituelle Wesen buddhistische Ideale in menschlicher Form verkörpern. In einem Schlusskapitel erläutert Christian Luczanits, wie es tibetische Portraits von Gurus unter Umständen ermöglichen oder erleichtern, tibetische Kunst zu datieren: Die Korrektur der Entstehung des berühmten Heiligtums von Alchi durch Roger Goepper anhand der Darstellung von identifizierbaren Lehrern in der Wandmalerei von Alchi vor etwa einem Jahrzehnt war dabei ein großartiger Anfang, den Christian Luczanits fortsetzt.

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