Patterns of Life – The Art of Tibetan Carpets

Autor/en: Thomas Cole
Verlag: Rubin Museum of Art
Erschienen: New York 2011
Seiten: 104
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: variabler Kaufpreis
ISBN: 978-0-9845190-0-2
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2011

Besprechung:
Es ist noch gar nicht so lange her, dass Reinhard Hubel, ein Experte auf dem Gebiet des Teppichs und selbst Sammler nomadischer und dörflicher Teppiche in seinem 1965 erschienenen „Ullstein-Teppichbuch“ schrieb, dass Beispiele tibetischer Knüpfteppichherstellung fehlen. Nur zwei Jahre später publizierte die Himalaya-Expertin Blanche Olschak in einer wenig bekannten Firmenbroschüre eines Schweizer Pharmakonzerns einen ersten Aufsatz über tibetische Teppiche mit Beispielen aus Schweizer Privatsammlungen und schon 1974 erschien Philip Denwoods „The Tibetan Carpet“, noch heute ein Standardwerk zum Thema. Die seinerzeit abgebildeten Teppiche waren für den an persischen, anatolischen und turkmenischen Exemplaren geschulten Teppichkenner recht fremdartig und die Farbpalette durch die häufig verwendeten synthetischen Farben eher abstoßend. Seither führt der tibetische Teppich in Experten- und Sammlerkreisen ein Außenseiterdasein, an dem auch das seit der Öffnung Tibets Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts bekannt gewordene Material nicht viel geändert hat. Sehr zu Unrecht, denn heute weiß man, dass in Tibet die Herstellung und der Gebrauch von Teppichen eine alte und selbstverständliche Tradition darstellt. Die zentralasiatisch-nomadische Herkunft der Tibeter, die klimatischen Verhältnisse des tibetischen Hochplateaus und die exzellente Wolle tibetischer Schafe bilden, soviel ist heute sicher, seit Jahrhunderten die Grundlage dafür, dass Teppiche ein wesentlicher Bestandteil der materiellen Kultur Tibets sind. In den vergangenen drei Jahrzehnten sind in Europa, den USA und in Asien Sammlungen tibetischer Teppiche entstanden, von denen einige bereits publiziert wurden. Diese Bücher ebenso wie einige Händlerkataloge und illustrierte Aufsätze in Fachzeitschriften überraschen immer wieder durch die Vielfalt der in tibetischen Teppichen vorkommenden Muster, die Vielfalt ganz unterschiedlicher Gestaltungsprinzipien und die Vielfalt der Formen und damit den vielseitigen Gebrauch von Knüpferzeugnissen, kurz die kreative Freiheit, mit der tibetische Handwerker von der Knüpftechnik Gebrauch machen. Die Ausstellung tibetischer Teppiche des amerikanischen Sammlers Robert M. Baylis im New Yorker Rubin Museum of Art (bis zum 22.08.2011) und der dazu erschienene Katalog aus der Feder von Thomas Cole sind ein weiterer und wichtiger Beleg für diese schier unendliche Vielfalt und für die immer wieder überraschenden Einfälle, für den Humor und für den Sinn für formale und farbliche Ästhetik tibetischer Knüpfer. Der Untertitel des Kataloges „The Art of Tibetan Carpet“ läßt schließlich hoffen, dass der tibetische Teppich dort angekommen ist, wo er lange nicht vermutet wurde, nämlich als ein anerkanntes Produkt unverfälschter und kreativer Volkskunst einer Nation. Natürlich ist – wie in allen anderen Knüpfregionen dieser Welt – nicht jeder tibetische Teppich ein Kunstwerk, doch unter den 57 in dem Katalog großflächig und farblich brillant abgebildeten Exemplaren sind es viele, die aufgrund ihrer Komposition und ihrer formalen und farblichen Harmonie den Rang eines Kunstwerkes einnehmen dürfen. Dies gilt gleichermaßen für die mehr oder weniger realistische Darstellung von allerlei Tieren, wie Tigern, Kranichen und Pferden oder auch von mythischen Wesen wie Drachen, Phönix und Garuda, wie für abstrakte Floralmuster oder streng geometrische Gestaltungen wie etwa das in Tibet sehr beliebte Schachbrettdesign. Es gilt für Sitz- und Schlafteppiche für den täglichen Gebrauch ebenso wie für die in Klöstern und Tempeln verwendeten Sitzmatten und für die große Gruppe der für den Schmuck des Pferdes dienenden Knüpfarbeiten, trapezförmige Pferdedecken und meist als Paar gefertigte Teppiche in unterschiedlichen Formen zum Gebrauch unter und über dem Sattel. Hervorzuheben unter diesem künstlerischen Aspekt sind etwa der in drei Bahnen geknüpfte tsu-druk mit einer äußerst spannungsvollen Komposition farblich unterschiedlicher Quadrate und Rechtecke, ein Paradestück nomadischer Kunst, und der kleine Sitzteppich, dessen drei durch verschiedene Farben symbolisierte Ebenen mit dem in Tibet so beliebten tigma-Muster – einem bei Textilien durch Abbindetechnik erreichten Kreuz-Motiv – in diagonaler Reihung und interessantem Farbwechsel versehen sind, ein in seiner Aussage vieldeutiges und in seiner Wirkung frappierendes Kunstwerk. Die Teppiche der Sammlung Baylis demonstrieren auch die Vielfalt der Bordürengestaltung tibetischer Teppiche. Von der in Tibet überraschend häufig anzutreffenden, einen unendlichen Raum symbolisierenden Bordürenlosigkeit über einfache Linien, Farbstreifen und Perlenbordüren bis zu der aus China übernommenen Wellen-Berg-Symbolik und buddhistischen, von bunten Wolkenbändern umflatterten Glückssymbolen, mit Perlen spielenden Drachen und Reihen von Vajras und Swastikas gibt es kaum ein Gestaltungsmotiv, das nicht auch in den Bordüren tibetischer Teppiche anzutreffen ist. Das vielleicht traditionellste Bordürenmotiv aber sind mäandernde „T“s oder auch Swastikas, denen gelegentlich durch geschickte farbliche Gestaltung eine dreidimensionale Wirkung verliehen wird. Die fast immer bewusst und meist perfekt gestaltete Ecklösung von Bordüre und Feld ist eine weitere, bei anderen Nomaden- und Dorfarbeiten sonst kaum anzutreffende Besonderheit. Ganzseitige Detailwiedergaben machen schließlich deutlich, wie tibetische Knüpfer es trotz der meist groben Struktur des tibetischen Knotens vermögen, feinste Details und Rundungen darzustellen, eine Kunst, deren Untersuchung leider bis heute auf sich warten lässt. In der Einleitung von Diana Myers und im einführenden Text von Thomas Cole wird das gegenwärtige Wissen über den tibetischen Teppich zusammengefasst dargestellt. Der erst in den siebziger Jahres des 20. Jahrhunderts einsetzenden und nur von wenigen Enthusiasten betriebenen Feldforschung ist es dabei noch längst nicht gelungen, alle Geheimnisse des tibetischen Teppichs zu entschlüsseln. Kenntnisreich und ausführlich sind schließlich die Beschreibungen der einzelnen Stücke und ihrer Muster. Ein letztes Wort zum Preis des Buches, bei dem das Rubin Museum eine ganz neue Strategie verfolgt. Mit je hundert verkauften Exemplaren wird der noch verbleibende Rest der limitierten Auflage teurer. Es lohnt sich also, rasch zuzugreifen.

Print Friendly, PDF & Email