Tibetan Dress in Amdo and Kham

Tibetan Dress in Amdo and Kham

Autor/en:        Gina Corrigan

Verlag:           HALI Publication Ltd.

Erschienen:    London 2017

Seiten:            288

Buchart:         Halbleinen

Preis:              € 40,00 bis 50,00

ISBN:            978-1-85149-810-9

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

 Es soll ja Leute geben, die von einem Buch immer zuerst die letzten Seiten lesen, um danach zu entscheiden, ob sie es auch ganz von vorne beginnen sollen. Im Falle von Gina Corrigans Buch ist das unbedingt zu empfehlen. Ihr abschließendes Kapitel über die Entwicklung Tibets seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gehört zum Besten, was über dieses Thema geschrieben wurde und es bereitet den Boden für das Verständnis der tibetischen Kleidung von heute. Gegenstand dieses Modeberichts sind zwar nur die im Osten des tibetischen Hochlandes gelegenen Landesteile Amdo und Kham, die zu den chinesischen Provinzen Qinhai, Sichuan und Gansu gehören, doch kann er mit kleinen Abwandlungen durchaus auch für die Autonome Region Tibet gelten. Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Tibet im Jahre 1951, vor allem aber mit dem radikalen Vorgehen der Kulturrevolution wurden die sozialen, ökonomischen und kulturellen Strukturen der tibetischen Gesellschaft gewaltsam zerstört. Die Verteufelung alles Alten führte nicht nur zum Ende jeglicher Religionsausübung; auch der Gebrauch traditioneller Kleidung und das Tragen von Schmuck und Amuletten war fast zwei Jahrzehnte verboten. Erst der Tod Mao Tse-tungs und die Entmachtung der Viererbande, die Öffnung Tibets und die neue chinesische Politik, Tibet zu entwickeln, brachte mit Beginn der 80er Jahre erneute Veränderung. Straßenbau, Stadtentwicklung, moderne Kommunikation, ein Netz kleiner Flughäfen, der Bau einer Eisenbahnlinie sind hier Eckpunkte ebenso wie die Einführung der Geldwirtschaft anstelle des Tauschhandels, das Verschwinden von Yak-Karawanen und das Hüten von Herden mit dem Motorrad anstelle des Pferdes. Dem Verlust uralter Lebensgewohnheiten vor allem der tibetischen Bauern und Nomaden stehen hoffnungvolle Umstände gegenüber wie der Wiederaufbau von Klöstern und Tempeln, ein boomender Tourismus und eine Renaissance tibetischer Traditionen. Gina Corrigan versteht es, sowohl die negativen wie die positiven Seiten der modernen Entwicklung Tibets nüchtern und objektiv offen zu legen.

Damit ist das Szenario geschaffen für einen faszinierenden Mix aus der Wiederbelebung alter, Bräuche, fremder Einflüsse und dem Suchen nach einer neuen Identität zwischen Nostalgie und Globalisierung. Die traditionelle Grundlage tibetischer Kleidung, das Weben der schusssichtigen, dichten Wollstoffe, von Tibetern Nambu genannt, auf dem eigenen Webstuhl oder Webgerät ist fast vollständig verloren gegangen. Importierte Stoffe und Fertigkleidung im vorwiegend international westlichen Stil bestimmen das Gesicht der schnell wachsenden Städte und lokalen Verwaltungszentren. Andererseits ist die altehrwürdige Chuba, die vor unvordenklicher Zeit mit der Einwanderung der Tibeter aus den zentralasiatischen Steppen mitgebracht und ideal dem rauhen und wechselhaften Klima des tibetischen Hochlandes angepasst wurde, niemals ganz verschwunden und feiert als tägliche Gebrauchskleidung oder, modisch aufgewertet durch Verbrämung mit Brokat und Pelz, ein unübersehbares Comeback. Dabei reichen die Varianten von der nomadischen, komplett aus Schaffellen zusammengenähten Chuba über deren Luxusversion aus Lammfell, solche aus schweren Nambustoffen oder aus Baumwolle oder gar Seidenbrokat bis zur eleganten ärmellosen Chuba im „Lhasa-Style“. Bunte Blusen und Hemden, ebenso wie Unterkleidung ein Accessoire der Neuzeit, aber auch Schürzen und Gürtel, Mützen und Hüte, vor allem aber Schmuck und Amulette als unentbehrlicher Bestandteil nicht nur weiblicher sondern auch männlicher tibetischer Kleidung vervollständigen das Outfit, das, wenn auch nicht immer im Alltag getragen, so doch bei besonderen Gelegenheiten wieder zum Ausdruck tibetischer Identität wurde. Mit den von der Autorin sorgfältig dokumentierten Beobachtungen aus allen, auch entlegenen Bereichen von Amdo und Kham, mit hunderten Fotografien und mit vielen Dutzend Interviews junger, alter und sehr alter Menschen, entsteht so ein Kaleidoskop einer bunten Vielfalt landestypischer Kleidung.

Gina Corrigan, erfahrene und engagierte Sammlerin südchinesischer Stammestextilien und Veranstalterin von Reisen in China und nach Amdo und Kham berichtet ausführlich über Entwicklungen in Tibet, die mittelbar Auswirkungen auch auf die Mode haben. Das ist zum Beispiel das von der Regierung geförderte Sesshaftwerden der Nomaden, das Verschwinden der schwarzen Yakhaar-Zelte zugunsten einfacher, aber mit Strom und Heizung ausgestatteter Reihenhäuser, die die urtümlichen Winter-Chubas entbehrlich machen, die boomende chinesische Nachfrage nach dem Raupenpilz (cordyceps sinensis), der in China mit Gold aufgewogen wird und für manche Regionen Tibets zur Quelle neuen Reichtums wurde. Und es ist vor allem die seit dem Beginn der neunziger Jahre wieder aufgenommene, seit Jahrhunderten bestehende Tradition der jährlichen Reiterfeste, zu denen sich Tibeter in diesem dünn besiedelten Land nicht nur zu Wettkämpfen sondern auch zum Austausch von Nachrichten und zur Knüpfung sozialer Kontakte trafen. Diese heute Festivals genannten und natürlich touristisch ausgeschlachteten Events, etwa in Yushu oder Litang, sind zu Medienspektakeln verkommen, in denen sich mit der Unterstützung chinesischen Fernsehens Tanzgruppen und Kostümwettbewerbe mit Exzessen von Kleidungsdekor und Schmucküberladung gegenseitig überbieten, gegen die der Trachtenwahn des Münchner Oktoberfestes als harmlose Übung verblasst. Der Appell des Dalai Lama aus dem Jahre 2006 gegen den Gebrauch von Fellen geschützter Tiere, wie Tiger, Leopard und Otter, soll inzwischen zur Mäßigung geführt haben und so bleibt zu hoffen, dass die Tibeter das Kapital ihrer textilen Tradition auch in der Zeit globaler Herausforderungen bewahren können.

Gina Corrigans Buch schließt eine Lücke. Zur textilen Tradition Tibets gab es bis jetzt – sieht man mal von der kleinen Zahl der Bücher über tibetische Teppiche ab – so gut wie keine Literatur. Auch wenn ernsthafte Feldforschung nach den Umwälzungen der vergangenen siebzig Jahre kaum noch wirkliche Ergebnisse zeitigen kann, so sind die Umfragen, Interviews und Beobachtungen der Autorin und die Verwertung der wenigen textilen Informationen von frühen Forschern, Reisenden und Missionaren wie William Rockhill, Evariste Huc, Joseph Rock, Albert Shelton und anderen ein erster und gelungener Ansatz, ein wichtiges Kapitel der materiellen Kultur Tibets zu erschließen. Schade nur, dass das reiche Fotomaterial der Autorin nicht noch durch historische Aufnahmen ergänzt wurde, wie sie etwa das Newark Museum oder das Pitt Rivers Museum in Oxford bewahren.

 

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