Paschmina – The Kashmir Shawl and Beyond

Paschmina – The Kashmir Shawl and Beyond

Autor/en: Janet Rizvi. Monisha Ahmed
Verlag: The Marg Foundation
Erschienen: Mumbai 2017  (zweite, überarbeitete Auflage)
Seiten: 336
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: USD 80.–
ISBN: 978-93-83243-21-1
Kommentar: Michael Buddeberg,

Besprechung:

Die nachfolgend nur mit kleinen Veränderungen abgedruckte Besprechung der ersten Auflage aus dem Jahre 2009 endete mit dem Kommentar: „… das beste und informativste Buch über den Kaschmirschal“. Verständlich also, dass das Buch rasch vergriffen war und schön, dass es nun die zweite Auflage gibt, für die der zitierte Kommentar noch immer gültig ist. Überarbeitung und leicht angewachsener Umfang des Buches sind den Entwicklungen des vergangenen Jahrzehnts bei Produktion, Herstellung und Handel geschuldet sowie dem Versuch einer Systematik der Stilentwicklung, die etwa bei der Altersbestimmung antiker Stücke helfen kann. Und eine gute Nachricht gibt es auch: Trotz weiterhin gegebener Nachfrage nach Tooth, die einige illegal tätige Schmuggler, Handwerker und Händler zu horrend gestiegenen Preisen auch zu befriedigen suchen, hat sich die Population des Chiru in Tibet weiter erholt.

Und hier nun der Text aus 2009:

Chiru (M.Buddberg, 2007)

Mit kaum einer Textilkennzeichnung wird so viel Schindluder getrieben wie mit “Pashmina”. Kein Wunder, der Begriff ist nicht geschützt, weder als Name noch als Herkunftsbezeichnung und jeder kann ihn gebrauchen wofür auch immer er möchte. So sind denn die heute für billiges Geld in allen Shopping-Zentren, im Versandhandel und im Internet unter „Pashmina“ angebotenen Schals und Stolen aus allen möglichen Materialien gefertigt, aus verschiedenster Wolle, aus Viskose, aus Kunstfasern, meist aus einem Materialmix, hinter dem sich alles mögliche verbirgt, nur eines nicht: Pashmina. Ethymologisch und textilhistorisch ist Pashmina ausschließlich der aus „pashm“ in Kaschmir hergestellte feinste aller Wollfäden. „Pashm“ (Farsi) ist das von Händlern nach Kaschmir gebrachte Wollvlies der Unterwolle einer besonderen Ziegenrasse, die von Hirtennomaden im unwirtlichen Hochland von Ladakh und im westlichen Tibet gehalten wird. Aber auch auf die Bezeichnung „Kaschmir“ ist kein Verlass, denn der Löwenanteil der so bezeichneten Wolle kommt heute aus China und aus der Mongolei und die Pullover und Schals mit entsprechender Kennzeichnung haben Kaschmir nie gesehen. Das ist das aktuelle Ende einer Geschichte, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich und in Schottland begann, die mit der Liebe der europäischen High Society zum Kaschmir-Schal zu tun hat und die von Monisha Ahmed kenntnisreich erzählt wird – am Ende eines Buches, das wie kein anderes die 400-jährige Geschichte des Kaschmirschals aufblättert, vom Material, der Herstellung, den Mustern und dem Handel bis zur heutigen durch Globalisierung und Wohlstand hervorgerufenen Verwirrung der Begriffe. Janet Rizvi, die lange in Kaschmir und Ladakh gelebt und geforscht hat, beginnt ganz am Ursprung des Materials, mit der tierischen Faser, mit dem dichten, unendlich feinen Wollvlies, das sich bei den in 4000 bis 5000 Meter stets im Freien lebenden Ziegen Jahr für Jahr im Herbst ausbildet und sie befähigt, im tibetischen Winter bei Temperaturen bis minus 50 Grad und stürmischen Winden zu überleben. Im darauffogenden Juni, ausgelöst durch hormonelle Vorgänge, beginnt sich dieses Wollvlies von der Haut zu lösen und kann von den Hirten vorsichtig ausgekämmt werden. Wie schon seit Hunderten von Jahren besorgen dann Händler den Transport der Wolle nach Kaschmir, wo sie gewaschen und mit traditioneller Kunstfertigkeit zu Pashmina versponnen und zu den begehrten Schals verwoben wird. Es ist die feinste Wolle, die jemals auf einen Webstuhl kam – mit einer Ausnahme: Das Wollvlies („toosh“) der vor allem im Norden Tibets lebenden tibetischen Antilope, des Chirú, ist nochmals einige Mikron feiner. Ein Schal aus diesem Material („shahtoosh“, weil traditionell für den Schah bestimmt) ist leicht und weich wie ein Hauch – es ist der legendäre Schal, der mühelos durch einen Damenring gezogen werden kann – und wärmt doch unvergleichlich. So ein shahtoosh kann dann 10.000 Dollar oder sogar noch mehr kosten. Doch das eigentliche Problem ist ein anderes: Das Chiru ist ein wildes Tier und der einzige Weg, an sein Wollvlies zu kommen ist, es zu töten. Alle anderen Geschichten über diese Wolle, etwa dass es die Barthaare der tibetischen Ziege sind oder dass sich die vom Wind über die tibetische Hochebene getriebenen Wollbüschel in Sträuchern verfangen und dort gepflückt werden können, sind Märchen, um den Tod der Chiru zu vertuschen. Früher war das kein Problem. Die wenigen Tibeter, die in längst vergangenen Zeiten das Chiru seines wohlschmeckenden Fleisches wegen mit ihren vorsintflutlichen Vorderladern jagten, verdienten sich mit der Wolle ein Zubrot und konnten dem Millionenbestand nichts anhaben. Das änderte sich ab etwa 1970 als Indien und der Westen diese Optimierung des Kaschmir-Schals entdeckt hatte. Kommerzielle Wildererbanden mähten mit Maschinengewehren des Nachts im Scheinwerferkegel ihrer Jeeps ganze Herden nieder, tausende und abertausende von Chirus. Bis in die 1990er war der Bestand auf weniger als 100.000 geschrumpft und das Chiru gehört heute zu den höchst gefährdeten Tieren dieser Erde. Seither haben Verbote und die Einrichtung riesiger Reservate die Wilderei reduziert und die Bestände der Chiru beginnen sich zu erholen. Wirklichen Erfolg aber kann nur die weltweite Ächtung des shahtoosh bringen, und es ist gut, dass Janet Rizvi diesem Thema breiten Raum gibt. Monisha Ahmed erzählt dann von dem harten und kargen Leben der Hirtennomaden, bei denen sie Monate gelebt hat, und von dem Jahrhunderte alten Wollhandel zwischen Tibet und Srinagar, den schon der jesuitische Priester Ippolito Desideri 1715 erwähnt. Ein weiteres Kapitel widmet Rizvi dem Spinnen, Färben und Weben und der speziellen „kani“ genannten Nadeltechnik, mit der die Schals mehr gewirkt als gewebt werden. Der zentrale Teil des Buches gilt den Mustern und ihrer Entwicklung, vor allem natürlich dem Boteh, das als Paisley-Muster zum modischen Evergreen wurde. Anhand reichen Abbildungsmaterials aus zahlreichen internationalen Museen und Sammlungen können wir die Entwicklung der Muster aus den Blumendarstellungen der Mogulzeit im 16. und 17. Jahrhundert verfolgen. Wichtig sind hier vor allem die so genannten „Tipu-Fragmente“ aus dem Besitz des V&A. Der indische Sultan Tipu fiel 1799 in der Schlacht von Seringapatam und so gelangte seine überaus prachtvolle Kriegsjacke in britischen Besitz. Als sie 1972 konserviert wurde, fand man nicht weniger als 24 Fragmente von Kaschmirschals, die bei der Herstellung der Jacke im späten 18. Jahrhundert schon sehr alt gewesen sein müssen. Manche ihrer Muster sind erste Hinweise auf eine schon lange gehegte Vermutung, dass der Kaschmirschal sehr viel älter ist als die wenigen Exemplare und Fragmente, die aus dem 17. Jahrhundert erhalten sind. Die Idee, dass der lockere und feine Faltenwurf so mancher Gandhara-Buddhas nur ein so leichtes und feines Material wie das aus Kaschmir wiedergeben kann, ist nicht von der Hand zu weisen – Beweise dafür wird man aber wohl nie finden. Gute Beweise für den Gebrauch und die Muster von Schals sind dann aber die zahlreichen erhaltenen Miniaturen von Hofmalern der Mogulkaiser, die bis ins späte 16. Jahrhundert zurückreichen. Auch der Weg dieser Textilien von Indien nach Persien, in das osmanische Reich und schließlich nach Europa wird mit reichem Bildmaterial, großer Akribie und einer bewundernswerten Fülle sorgfältig belegter Informationen lebendig erzählt. Nach „Shawls of the East“ von Parviz Namati (2003) und „The Kashmiri Shawl“ von Sherry Rehman und Naheed Jafri (2005) ein weiteres, wichtiges und von allen dreien das beste und informativste Buch über den Kaschmirschal.

Print Friendly, PDF & Email