Magie vom Dach der Welt – Der tibetische Kulturraum im Spiegel seiner Kunst

Magie vom Dach der Welt – Der tibetische Kulturraum im Spiegel seiner Kunst

Autor/en:        Hans Weihreter

Verlag:           Verlag Janos Stekovics

Erschienen:    Wettin-Löbejün 2018

Seiten:            256

Buchart:         Hardcover

Preis:              € 24,80

ISBN:            978-3-89934-389-6

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

Mit König Songtsen Gampo, einem Sproß der damals schon seit vielen Generationen herrschenden Yarlung-Dynastie, betrat Tibet im 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung erstmals die Bühne der Geschichte. Dass Songtsen Gampo, neben weiteren Frauen auch eine nepalische und eine chinesische Prinzessin heiraten konnte, darf als militärisches und machtpolitisches Meisterstück gewertet werden. Beide Königinnen waren Buddhistinnen und brachten dessen Ideen erstmals auf das Dach der Welt. Nur wenig ist über diese erste Begegnung der Tibeter mit den Lehren Buddhas bekannt und man darf wohl annehmen, dass sich diese modernen Gedanken auf den Umkreis des Hofes beschränkten und die breite Bevölkerung nicht erreichten. Das änderte sich erst als König Trisong Detsen gegen Ende des 8. Jahrhunderts den berühmten Magier Padmasambhava aus Kaschmir nach Tibet einlud, um dort die Unheil stiftenden Dämonen zu bannen. Padmasambhava gelang es, die bösartigen Dämonen zu Beschützern des neuen Glaubens umzupolen und er wurde damit zum Begründer des tibetischen Buddhismus, wie wir ihn bis heute kennen. Symbole und Rituale der vormaligen  Dämonenbeschwörung, Gebetsfahnen, Rauchopfer, Gebetsmühlen, mystische Tänze und vieles andere mehr wurden so zum Bestandteil des Buddhismus tibetischer Prägung. Ohne die Magie des bis heute hochverehrten Zauberers Padmasambhava, der vorbuddhistische Vorstellungen und Rituale in buddhistisches Handeln zur Erlösung vom irdischen Leid verwandelte, wäre die zweite und eigentliche buddhistische Bekehrung Tibets, die bis heute Bestand hat, nicht denkbar.

„Magie vom Dach der Welt“ ist der Name einer Ausstellung und des dazu erschienenen Katalogbuches, die diese Welt besänftigter Dämonen zum Gegenstand haben. Im Mittelpunkt von Ausstellung und Buch steht neben einem guten Dutzend früher, kleinformatiger Kultfiguren nicht Kunst im Sinne westlicher Vorstellungen – also Malerei und Skulptur, insoweit könnte der Untertitel in die Irre führen – sondern Gebrauchsgegenstände der Tibeter, Schmuck vor allem, die durch ihre Gestaltung, durch den symbolhaften Dekor und die ihnen dadurch zukommende Bedeutung über ihren Gebrauchszweck hinaus magische Funktion besitzen. Da wären etwa die Thog-lcags oder Thoktschaks, rätselhafte, kleine Metallgegenstände, die nach Auffassung der Tibeter von den Göttern stammen und vom Himmel gefallen sind. Und in der Tat sind Herkunft und Alter dieser geheimnisvollen und oft ästhetisch ungemein attraktiven Objekte bis heute nicht enträtselt. Für Tibeter sind die Thoktschaks, die alles Dämonische verjagen und vor Krankheiten und den vielfältigen Gefahren des täglichen Lebens zuverlässig schützen, nicht mehr zu übertreffende Glücksbringer. Eine Reitgarnitur, bestehend aus Sattel, Zaumzeug und Steigbügeln, wohl dem 15. Jahrhundert und einer Person von hohem Rang zuzuordnen, ist nicht nur ein museales Meisterwerk tibetischer Handwerkskunst, sondern in der Symbolik der in kompliziertem, vergoldeten Eisenschnitt oder als bemaltes Leder dargestellten Drachen, Phönixe, Pfauen und Gazellen ein Beispiel dafür, wie profanes Gebrauchsgerät zum Träger magischer Bedeutungen wird. Ähnliches gilt für die am Gürtel zu tragenden Haken für den Melkeimer oder für die Geldbörsen und die mit einem massiven Eisenbügel versehenen sogenannten Feuerschlägertäschchen, die Platz für Zunder und Feuerstein enthalten, mit denen der Tibeter im Nu ein Feuer entfacht. Fische, Insekten, Drachen, Löwen, Fledermäuse und Makaras, getrieben oder gegossen, aus Silber und Messing verzieren diese Lederobjekte und machen es schwer, zu entscheiden, ob es sich um hier um Gebrauchsgegenstände, um Schmuck oder letztlich doch um Objekte mit magischer Bedeutung handelt. Alles zugleich wird hier die richtige Antwort sein, ebenso wie auch bei den sogenannten Gaus, den Amulettbehältern, die in den bekannten, aber auch in ausgefallenen Formen, in Gold, Silber und in weniger edlen Metallen, verziert mit Türkisen und Korallen, einen wesentlichen Teil der vorgestellten Objekte ausmachen. Trinkschalen aus Jade und Silber, aufwändiger Kopfschmuck, Gewandfibeln aus Bhutan und Armreifen mit Löwenköpfen vervollständigen den Reigen, bevor ein gutes Dutzend kleinformatiger und früher Bronzen aus Indien, Kaschmir und Tibet doch noch etwas „Kunst“ vermitteln, obwohl gerade diese Kultfiguren in ihren Gesten, Attributen oder grimmigen Erscheinungsformen mit Magie nur so geladen sind. Mit diesen in der verlorenen Form bzw. im sogenannten Wachsausschmelzverfahren hergestellten Unikaten, mit frühen Zeremonialschals aus Seide und mit den kaum bekannten Münzen und Banknoten der Tibeter endet dieser Blick in diese von Magie geprägte tibetische Alltagskultur.

Hans Weihreter, dem seit nunmehr vier Jahrzehnten in den Ländern des Himalaya und in Indien reisenden Feldforscher, Händler und Schmuckexperten ist dieser tiefe Einblick in die materielle Kultur Tibets zu danken. Hans Weihreter ist nicht nur immer wieder dorthin gereist; er hat mit tibetischen Nomaden gelebt, ihre Wanderungen begleitet, ihre Sprache gelernt und die Mythen und Mysterien über die Bedeutung von Objekten aus erster Hand erfahren. So ist Hans Weihreter wie kein anderer in der Lage, in diese immaterielle Dimension der vorgestellten Artefakte einzuführen. Über deren handwerkliche Perfektion und Schönheit hinaus öffnen Weihreters Beschreibungen und Texte die Augen für die faszinierende Ikonographie und Bedeutung dieser magischen Objekte vom Dach der Welt.

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