Threads from Misty Lands – Tribal Textiles from Southwest China

Threads from Misty Lands – Tribal Textiles from Southwest China

Autor/en:       Catherine Bourzat

Verlag:           River Books

Erschienen:    Bangkok 2016

Seiten:            260

Buchart:         Hardcover mit Schutzumschlag

Preis:              2.500,00 bath

ISBN:              978-616-7339-71-9

 

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

 Jeder kennt sie, die Große Mauer, das größte Bauwerk der Erde, Weltkulturerbe im Norden Chinas seit 1987, das das Reich der Mitte gegen die gefürchteten Raubzüge der nomadischen Reitervölker aus den zentralasiatischen Steppen schützen sollte. Weniger bekannt ist, dass die Große Mauer im südlichen China ein Pendant besitzt. Diese Südliche Große Mauer erreicht mit knapp 200 Kilometern Länge zwar nur einen kleinen Bruchteil der Länge ihres nördlichen großen Bruders, hat aber eine ähnliche Schutzfunktion. Von den Kaisern der Ming-Dynastie im 16. und 17. Jahrhundert errichtet, sollte sie das chinesische Kernland vor dem rebellischen Barbarenvolk der Miao schützen. Geographisch grenzt die Südliche Mauer die fruchtbare Provinz Hunan von der Provinz Guizhou ab, die als karstiges, bizarr gegliedertes und schwer zugängliches Bergland neben den Miao zahlreiche weitere autochthone Stämme und Völker beherbergt. Spätestens mit dem Sturz des Kaiserreichs versank die entlegene Region im Südwesten Chinas im Chaos kriegerischer Auseinandersetzungen von Warlords, um nach 1949 lange Zeit als die ärmste Provinz der Volksrepublik zu gelten. Die Völker der Miao, Dong, Buyi und andere erhielten den Minderheitenstatus und konnten so ihre traditionellen Sprachen, Religionen und Gebräuche bewahren und pflegen. Insbesondere waren sie nicht auf die blaue Einheitskleidung der Han-Chinesen verpflichtet, sondern durften ihre prächtigen bunten Trachten und Festtagskleider weiter benutzen.

Das war die Situation als der leidenschaftliche Reisende, Fotograf und Sammler Philippe Fatin 1986 das soeben für Touristen geöffnete Land der Miao, die Provinz Guizhou, erreichte und als einer der ersten eine textile Tradition entdeckte, die ihresgleichen sucht. In mehr als zwanzig Jahren ist seither eine einzigartige Sammlung von Zeremonialkostümen, Festtagstrachten und Accessoires aus dieser multi-ethnischen Region entstanden, und aus dem neugierigen und faszinierten Beobachter Philippe Fatin wurde ein Experte für Stammestextilien aus dem Südwesten Chinas.

Das nun bei River Books erschienene Buch über Fatins „Thread Songs Collection“ ist nicht die erste Publikation über die Textilien der Miao aber es ist wohl das Buch, das wie keines zuvor einen Überblick über die unglaubliche Vielfalt der Trachten, der Dekortechniken und der Muster vermittelt und darüber hinaus auch noch den Versuch unternimmt, diese nicht enden wollende Vielfalt den Regionen und den Stämmen und Unterstämmen dieses zerklüfteten Berglandes zuzuschreiben. In vier Abschnitten und nicht weniger als 45 Kapiteln sind alle gezeigten Trachten ganz bestimmten Stämmen, meist der Miao aber auch der Dong, Buyi, Yao und Yi zugeordnet und stets auch einer geografischen Region. Diese ist auch immer kurz beschrieben, oft von Fotos der Landschaften und der dort lebenden Menschen begleitet und so entsteht ein anschauliches Bild einer überaus vielfältigen Geographie aus Hügeln, Bergen und Tälern und damit ein Verständnis für die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Menschen und ihrer Kleidung.

Im Zentrum der Betrachtung stehen natürlich die prachtvollen Kostüme der Sammlung Fatin, von dem Fotografen Thierry Arensma in seinem Pariser Atelier kunstvoll und technisch perfekt inszeniert und mit vielen Detailansichten garniert. Überwiegend sind es Kostüme für besondere Anlässe, Zeremonialkleidung für Geburt, Hochzeit und Begräbnis, vor allem aber für die jahreszeitlich wiederkehrenden Feste und Rituale, Höhepunkte im Ablauf des Jahres. Die Gegenüberstellung der etwas steril vor einem neutralen Hintergrund schwebenden aber so die Kombination der fantasievollen Kostüme ideal wiedergebenden Studiofotos mit Aufnahmen der Menschen, die ihre Trachten bei den Festen und Feierlichkeiten oder auch im Alltag, zu Hause oder beim Marktbesuch tragen, verleiht dem Buch neben seinem Informationsgehalt eine außerordentliche Lebendigkeit und Aktualität. Der Grundstoff fast aller Kostüme ist ein mit hoher handwerklicher Fertigkeit mit Indigo gefärbter Baumwollstoff. In vielen Regionen ist dieser Grundstoff darüber hinaus aufwändig mit gebatikten Mustern versehen. Neben Applikationen als weiteres Dekorelement sind es dann aber die überreichen, in Feinheit und Sorgfalt kaum zu übertreffenden Seidenstickereien, die den Reiz und Charakter der Miao-Kostüme ausmachen. Immer wieder neue geometrische oder florale Muster zeugen von der unbegrenzten Fantasie der Stickerinnen. Vor allem aber sind es gegenständliche, der Tierwelt entliehene Motive, Drachen, Elefanten, Fledermäuse und viele andere mehr, die ein Fenster in das reiche Universum der Miao-Spiritualität öffnen und von den zahlreichen Mythen, Sagen und Märchen künden.

Die Sammlung Fatin und der einfühlsame Text von Catherine Bourzat gewähren einen Blick in eine textile Welt, die es nicht mehr gibt. Die Provinz Guizhou ist heute durch ausgeklügeltes System von Autobahnen und High Speed Bahnlinien erobert und ein Netzwerk neuer Technologien hat die letzten Winkel des Berglandes erreicht. Der Tourismus boomt und die Festivals, Märkte und bunten Kostüme sind zu Folklore und Imitation entartet.  Das 21. Jahrhundert hat Fortschritt und Wohlstand gebracht. Der Preis ist das Verschwinden des textilen Erbes von Guizhou. Dieses zu bewahren ist der Zweck der Sammlung Fatin und dieses Buches.

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