Japan in Early Photographs – The Aimé Humbert Collection at the Museum of Ethnography, Neuchâtel

Japan in Early Photographs – The Aimé Humbert Collection at the Museum of Ethnography, Neuchâtel

Autor/en:       Grégoire Mayor, Akiyoshi Tani (Hrsg)

Verlag:           Arnoldsche Art Publishers

Erschienen:    Stuttgart 2018

Seiten:            292

Buchart:         Hardcover

Preis:              € 58,00

ISBN:             978-3-89790-027-1

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

Es war eine geschickt abgestimmte Mischung aus Diplomatie und  einer Demonstration militärischer Macht, die am 4. Juli 1853 die damals schon mehr als 200 Jahre währende, selbst gewählte Isolation Japans abrupt beendete. Der amerikanische Commander Matthew Calbraith Perry hatte sich mit vier schwer bewaffneten Kriegsschiffen der Bucht von Japans Hauptstadt Edo genähert, Kanonen und Gewehre waren schussbereit und auch die Japaner brachten sich in Stellung. Eine Seeschlacht schien unvermeidlich doch letztlich genügte wohl der drohende Anblick der Rauch ausstoßenden schwarzen Schiffe, um die Japaner in Schach zu halten und den Weg für eine diplomatische Lösung zu eröffnen. Der die Expedition als Berichterstatter und Zeichner begleitende Dresdner Maler Wilhelm Heine nannte sein Bild von der denkwürdigen Szene später „Die Überquerung des Rubikon“, und es war wie in der Antike tatsächlich ein Moment, in dem eine Scheidelinie überschritten wurde und die Geschichte einen neuen Verlauf nahm, auch wenn es damals den Beteiligten noch nicht bewusst war. Wer konnte schon ahnen, dass dies der Beginn des kometenhaften japanischen Aufstiegs vom abgeschotteten ländlichen Feudalstaat zum weltweit umworbenen Handelspartner und zur Industriemacht war?

Nur neun Jahre später, 1862, hielt es sogar ein kleiner europäischer Binnenstaat, die schweizerische Eidgenossenschaft, für ratsam, mit Japan ein „Treaty of Amity and Commerce“ abzuschließen. Mit dieser diplomatischen Mission wurde der Präsident des Schweizerischen Verbandes der Uhrenfabrikanten, Aimé Humbert, beauftragt, der sich im November 1862 in Marseille einschiffte und vier Monate später Nagasaki erreichte. Im Gegensatz zur Perry-Expedition – und damit befand er sich ganz auf der Höhe seiner Zeit – wurde Humberts Delegation nicht in gewohnter Manier von einem Zeichner, sondern von einem Fotografen, Jämes Favre-Brandt aus Le Locle, begleitet. Humbert brachte dann nicht nur das Abkommen unter Dach und Fach sondern sah sich darüber hinaus als Botschafter für die Vermittlung von Information und Wissen über eine ferne neue Welt. Dabei war die erst junge aber sich rasant entwickelnde Fotografie für ihn ein wichtiges Werkzeug der Dokumentation des damaligen Japan. Das 1870 bei Hachette in Paris erschienene Werk von Aimé Humbert, „Le Japon illustré“, das mehrere Auflagen und Übersetzungen in die russische, englische und spanische Sprache erlebte und das entscheidend für die Formung des damaligen  Japanbildes in der westlichen Welt beigetragen hat, beruht ganz wesentlich auf den Fotografien, die er aus Japan mitgebracht hat. Da allerdings damals die Wiedergabe von Fotografien in der für Bücher und Zeitschriften angewandten Drucktechnik noch nicht möglich war, illustrierte man das Werk mit Holzstichen (Xylographien), die die fotografischen Vorlagen mehr oder weniger getreu umsetzten.

Die nun vorliegende, erstmalige Publikation dieser wohl von 1863 bis 1865 von Aimé Humpert gesammelten Fotografien ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Sie ermöglicht im Vergleich mit dem vor anderthalb Jahrhunderten erschienenen Buch eine Wertung, wie die professionellen Stecher mit den Vorlagen umgegangen sind, wie sie den Kontext von Aufnahmen geändert oder Illustrationen phantasievoll aus mehreren Vorlagen komponiert haben. Viele der Illustrationen sind daher mehr dem Genre der Veduten zuzurechnen als der unbestechlich objektiven Wiedergabe der vom Kameraobjektiv abgebildeten Wirklichkeit. Darüber hinaus ist das Buch das Ergebnis einer eindrucksvollen und akribischen wissenschaftlichen Arbeit, mit der die 141 erhaltenen Fotografien anhand von Tagebüchern, Briefen und anderen Dokumenten nicht nur nach den Aufnahmeorten – vorwiegend Yokohama, Nagasaki, Kamakura und Edo, das heutige Tokio -, identifiziert, sondern auch der Zeitpunkt und die Umstände der Aufnahmen ermittelt wurden und natürlich die Person des Fotografen. Außer von dem bereits erwähnten, fotografierenden Delegationsmitglied Jämes Favre-Brandt stammen die Fotografien überwiegend von dem japanischen Fotografen Shimoka Renjō und vor allem von dem damals bereits bekannten, britischen Fotografen Felice Beato, der in Yokohama ein Fotoatelier unterhielt. Mit diesen umfänglich recherchierten und detailliert wiedergegebenen Fakten ist das Buch zugleich eine Geschichte der frühen Fotografie in Japan.

Vor allem aber gewähren die Fotos einen faszinierenden Blick in die letzten Jahre der Edo-Periode Japans, in eine Welt, die mit der Öffnung Japans, der raschen Modernisierung und dem westlichen Einfluss für immer verschwand. Neben Tempeln, Schreinen, großen Toren und buddhistischen Statuen beeindrucken vor allem die ausklappbaren Panoramaaufnahmen von Edo oder von Yokohama mit seinem, mit Zwei- und Dreimastern belebten Hafen und einem Meer gleichförmiger, ebenerdiger Holzhäuser. Romantische Fischerdörfer, die berühmte Eitai-Brücke in Yedo, Gärten und die vornehmen Quartiere westlicher Gesandtschaften vermitteln einen Eindruck der Architektur jener Zeit. Der Schwerpunkt aber liegt bei Fotos von Personen. Auch wenn es sich dabei, entsprechend den technischen Möglichkeiten fast ausschließlich um Studioaufnahmen handelt, so sind die Fischverkäufer, Feuerwehrmänner, Ringkämpfer, Bettelmönche oder Nachtwächter in ihren traditionellen Kostümen wertvolle Dokumente aus dem alten Japan. Häusliche Szenen, eine Familie beim Essen, ein japanisches Teehaus, ein Straßentheater, Krieger in gepanzerten Samurai-Uniformen, eine Gruppe von Musikanten und Vieles mehr bilden einen einzigartigen fotografischen Schatz, der nun nach einem Dornröschenschlaf von einhundertfünfzig Jahren geborgen wurde.

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