Die Tafelwäsche des Ordens vom Goldenen Vlies

Die Tafelwäsche des Ordens vom Goldenen Vlies

 

 Autor/en:       Mario Döberl

Verlag:            Abegg Stiftung

Erschienen:     Riggisberg 2018

Seiten:            168

Buchart:          Leinen mit Schutzumschlag

Preis:              CHF 120,00

ISBN:             978-3-905014-66-2

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

Dass in den Depots großer Museen gewaltige Schätze schlummern, die kaum je das Licht der Öffentlichkeit erblicken werden, ist eine bedauerliche Wahrheit. Bestenfalls finden sie ihren Weg in Bestandskataloge oder Monographien, die Herkunft, Alter Qualität und Bedeutung wissenschaftlich aufarbeiten. Dann gibt es noch den quasi umgekehrten Fall von historisch bedeutsamen Objekten, die in der wissenschaftlichen Literatur aufgrund der Quellenlage in allen Einzelheiten bekannt sind, während über den Verbleib der Originale niemand etwas weiß. Genau das war bis zum Jahre 2013 mit einem frühen Beleg niederländischer Leinendamastweberei der Fall, mit ungemein kostspieligen und aufwendig gestalteten Tafeltüchern und Servietten, die Kaiser Karl V um das Jahr 1520 für den Orden vom Goldenen Vlies in Auftrag gegeben hat. Vielfach in Fachpublikationen des 19. bis zum 21. Jahrhundert zitiert, ahnte keiner der Autoren, dass die im 16. Jahrhundert hergestellte Tafelwäsche tatsächlich noch existiesrte und wohlbehalten in einem der Waffensammlung des Wiener Kunsthistorischen Museum dienenden Depot lagerte. Deren Entdeckung oder Wiederentdeckung anlässlich ihrer Überführung in das im Süden Wiens neu errichtete Zentraldepot des KHM ist für den Forschungszweig, der sich historischen Textilien widmet, eine echte Sensation.

Und für jeden an historischen Textilien Interessierten ist es ein Glücksfall, dass der engagierte Entdecker und Autor Mario Döberl, Kurator der Sammlungen Wagenburg und Monturdepot am Wiener KHM, zusammen mit dem publikationserfahrenen Team der Abegg-Stiftung diesen Sensationsfund zum Anlass nahm, die Tafelwäsche des Ordens zum Goldenen Vlies mit einer Monographie vorzustellen, die nicht nur alle historischen und technischen Aspekte dieser einzigartigen Textilien behandelt sondern darüber hinaus richtig spannend zu lesen ist. Das beginnt mit der Gründung des Ritterordens vom Goldenen Vlies durch Philipp den Guten, Herzog von Burgund, im Jahre 1430. Zunächst nur eine von zahlreichen Rittergemeinschaften jener Zeit gewann der Orden durch seinen der Argonautensage entlehnten Namen, vor allem aber durch die Reputation und den Reichtum der Burgunderherzöge rasch internationale Bedeutung und wurde schließlich zu einem über Jahrhunderte funktionierenden Instrument, um verdiente Angehörige des europäischen Hochadels an das Herrscherhaus der Habsburger zu binden. Die im 15. und 16. Jahrhundert in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Zusammenkünfte der Ritter und Ordenssouveräne führen dann direkt zum Thema des Buches, denn zu den Höhepunkten dieser so genannten Ordenskapitel zählte die festliche Tafel, ein von Ritualen und kostbarem Tafelgerät bis hin zu Tischtüchern und Servietten geprägtes, öffentliches Bankett. Die von dem 1546 in Utrecht abgehaltenen Festbankett erhaltene opulente Speiseliste vermittelt, dass auch kulinarisch ein kaum vorstellbarer Aufwand betrieben wurde. Dass die Ritter dabei nicht an blanken Tischen saßen, dokumentieren Schatzinventare, die bereits 1477 große Tischtücher verzeichnen.

Die von Kaiser Karl V, dem fünften Ordenssouverän, um 1520 in Auftrag gegebene Tafelwäsche ist in den Archiven des Vliesordens in Belgien, den Niederlanden und in Wien, was ihre Anschaffung und Nutzungsgeschichte anlangt, bestens dokumentiert. Das 17,25 x 2,99 Meter große Tafeltuch für den Rittertisch, drei Dutzend Servietten für die Ordensritter, das Tuch für die Tafel der Ordensoffiziere mit einer Größe von 5,50 x 2,98 Metern und das Tafeltuch für das Buffet, 4,55 x 2,98, wurden von dem in Mecheln ansässigen Tafeltuchweber Jacob von Hoochboosch hergestellt und 1527 mit detaillierten Rechnungen geliefert. Es sind damit die frühesten dokumentierten Leinendamaste, die erhalten sind, eine annähernd vollständig erhaltene Garnitur Tafelwäsche – lediglich zwei Servietten sind nicht mehr vorhanden – aus dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts mit einer Provenienz von höchstem Rang und hinsichtlich Bildprogramm und technischer Ausführung von einer bisher kaum vorstellbaren Qualität. Die nahezu perfekte Erhaltung erklärt sich aus dem Umstand, dass die Garnitur vielleicht nur ein einziges Mail, zum Vliesordenskapitel 1531 in Utrecht zum Einsatz kam. Zwei oder drei weitere Verwendungen sind möglich aber urkundlich nicht gesichert. Sicher ist nur, dass die Tafelwäsche nach der Schlacht von Fleurus im Jahre 1794 und dem Verlust der Österreichischen Niederlande für das Haus Habsburg zusammen mit dem Schatz und dem Archiv des Ordens vom Goldenen Vlies in die Hauptstadt der Habsburgermonarchie in Sicherheit vor der Begehrlichkeit Napoleons gebracht wurde. Dort allerdings verloren sich  Kenntnis und Spur von diesem textilen Schatz einer Odyssee durch unterschiedliche Standorte und Depots bis zu seiner glücklichen Wiederentdeckung..

Die Präsentation dieses Schatzes  erfolgt auf dem gewohnten und höchsten Ansprüchen genügenden Abegg-Niveau. Die Bildwiedergabe der schwierig wiederzugebenden Leinendamaste ist optimal, das immerhin nahezu 50qm große Tafeltuch für den Rittertisch kann auf einer zweifach ausklappbaren Tafel bis in seine Details bewundert werden, die Struktur der Webarbeiten wird eingehend analysiert und daraus die überaus komplizierte Mechanik der Webstühle virtuell rekonstruiert. Der Vergleich mit andern erhaltenen Leinendamasten des frühen 16. Jahrhunderts gibt Anlass zu der These, dass das gestalterische und technische Niveau des Webers Jacob van Hoochboosch weder zu seiner Zeit noch später je wieder erreicht wurde. Der Tafelwäsche des Ordens vom Goldenen Vlies gebührt daher ein herausgehobener Platz in der Geschichte der Textilkunst und Weberei. Gleiches gilt für dieses Buch, denn ist kaum zu erwarten, dass dieser textile Schatz seiner Größe und Kostbarkeit wegen in einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert werden wird.

 

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