Seidengewebe des 18. Jahrhunderts III – Spitzenmuster

Seidengewebe des 18. Jahrhunderts III – Spitzenmuster

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Autor/en:        Anna Jolly

Verlag:           Abegg-Stiftung

Erschienen:    Riggisberg (Schweiz) 2018

Seiten:            392

Buchart:         Leinen mit Schutzumschlag

Preis:              CHF 280,00

ISBN:             978-3-905014-67-9

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

Das letzte der insgesamt 111 vorgestellten Seidengewebe des 18. Jahrhunderts mit sogenanntem Spitzenmuster entspricht so ganz dem, was man sich unter einem Spitzenmuster vorstellt. Ein Stück feinster Nadelspitze vor dunkelrotem Samthintergrund könnte nicht prächtiger wirken. Doch der Anschein täuscht: Nicht das 18. Jahrhundert stand hier Pate sondern eine Zeit, die gerne den spielerischen Umgang mit Motiven anderer textiler Gattungen und Techniken pflegte. Die Auszeichnung dieses Seidensamtes mit einer Goldmedaille zur Weltausstellung in London 1851 weist das Textil mit Spitzenmuster ganz klar der Zeit des Historismus zu. Diese Nr. 111 ist ein treffender und wohl mit Bedacht gewählter Beleg für eines der zentralen Themen der Einführung zu dem Bestandskatalog der Abegg-Stiftung. Tatsächlich haben die typischen Spitzenmuster europäischer Seidengewebe aus der Zeit von 1720 bis 1730 wenig Ähnlichkeit mit zeitgenössischen europäischen Spitzen und lassen eher an exotisches Blüten- und Blattwerk denken. So stammt die Bezeichnung „Spitzenmuster“ auch nicht aus der Zeit, sondern aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, als sich Kunsthistoriker bemühten, die kaum überschaubare Vielfalt an Mustern der in Museen und Kirchenschätzen erhaltenen Seidengewebe des 18. Jahrhunderts zu sichten und schließlich in die Stilrichtungen „bizarr“ (ca. 1690 bis 1720), „Spitzenmuster“ (ca. 1720 bis 1730) und „naturalistisch“ (ca. 1730 bis 1750) einzuordnen. Nicht Spitzen waren Vorbild für diese Muster sondern vermutlich  persisches oder indisches Kunsthandwerk, war doch der Orient und ganz Asien im 17. und 18. Jahrhundert Projektionsfläche für europäische Fantasien exotischer Welten. Die schon zu ihrer Zeit verwendete Bezeichnung „persienne“ scheint daher viel besser zu passen.

Nach den „Bizarren Seiden“ (2000) und dem „Naturalismus“ (2002) behandelt der dritte Band der Bestandskataloge der Abegg-Stiftung zu den Seidengeweben des 18. Jahrhunderts mit dessen dritten Jahrzehnt nur einen knappen Zeitraum, der aber mit einer überwältigenden Vielfalt von Seidengeweben mit sogenannten Spitzenmustern glänzt. Die 110 dokumentierten Seiden, Fragmente, ganze Bahnen aber auch profane und liturgische Gewänder werden in chronologischer Ordnung in gewohnt wissenschaftlicher Tiefe besprochen und lassen so auch den Übergang von den bizarren Mustern am Anfang der kurzen Stilperiode und zu den naturalistischen Mustern an deren Ende deutlich werden. Im Gegensatz zu den Vor- und Nachläufern ist eine symmetrische Musterkomposition ein charakteristisches Merkmal dieser Gruppe. Ihr exotischer Stil, ausgehend wohl von den damals stilbildenden Manufakturen von Lyon, Venedig, Amsterdam und London, verbreitete sich rasch über ganz Europa und Beispiele sind in kaum überschaubarer Mustervielfalt und Anzahl erhalten. Da indessen Produktionsstätten und Herstellungsjahr so gut wie nie dokumentiert sind, liegt hier die eigentliche Herausforderung für einen wissenschaftlichen Bestandskatalog, der sich die Autorin Anna Jolly mit sorgfältigen Analysen der Muster und Farben, vor allem aber der technischen Besonderheiten der Gewebe widmet. Die oft amtlich vorgeschriebene Webbreite der Bahnen oder auch die Kettfadenzahl geben hier zwar Anhaltspunkte, erweisen sich jedoch als nicht wirklich verlässlich, ebensowenig wie die Breite und oft farblich differenzierte Gestaltung der Webkanten. Hier bleiben viele Fragen offen und die Ermittlung der Herkunft der erhaltenen Seidengewebe des 18. Jahrhunderts bleibt damit ein zentrales Anliegen der textilen Forschung.

Es ist nicht zuletzt diese Zuschreibungsproblematik, die die Autorin veranlasst, vertieft den überlieferten Bestand profaner und liturgischer Gewänder zu untersuchen. Gewänder aus ehemaligen fürstlichen Garderoben können oftmals aufgrund ihrer dynastischen Historie genau datiert werden und so über den Mangel ausreichender Dokumentation früher Mustersammlungen hinweghelfen. Das sogenannte „Rheingrafenkostüm“ aus der Dresdner Rüstkammer, das August der Starke, Kurfürst von Sachsen, zur Hochzeit seines Sohnes mit der Kaisertochter Maria Josepha von Österreich für sich anfertigen ließ und das er nachweislich am 14. September 1719 zu den Hochzeitsfeierlichkeiten trug, liefert einen terminus ante quem für das wohl aus Frankreich importierte Seidengewebe mit silberfarbenem Spitzenmuster auf hellblauem Grund. Auch der Justaucorps des Zaren Peter II mit einem klassisch cremefarbenen Spitzenmuster auf blauem Grund aus dem Kreml-Museum kann aufgrund der kurzen Regierungszeit Peters II (1727-1730) recht genau datiert werden. Ein Beispiel für ein liturgisches Gewand ist die Seide im Spitzenmusterstil für einen Ornat aus dem Bamberger Domschatz, die gemäß der erhaltenen Rechnung 1727 direkt aus der Fabrik in Lyon bezogen wurde. Datierte Portraits mit oft erstaunlich präziser Wiedergabe von Stoffmustern liefern weitere wertvolle Anhaltspunkte für deren zeitliche Einordnung und damit für eine Chronologie der Musterentwicklung.

Weitere Themen sind eine Übersicht von vergleichbaren Spitzenmustern in anderen textilen Gattungen von Leinendamasten über Stickereien bis zu Goldledertapeten, eine Auseinandersetzung mit der erst im frühen 20. Jahrhundert einsetzenden Literatur über diese Textil muster und eine Darstellung der Geschichte der Sammlung, die mit dem textilen Interesse von Werner und Margarete Abegg wohl schon in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts begann und nach Gründung der Abegg-Stiftung im Jahre 1961 bis heute fortgesetzt wurde. Ein ausführlicher Anhang mit Hinweisen und Zeichnungen zum Verständnis der komplizierten Webtechniken, mit Glossar, Register und Literaturverzeichnis vervollständigt den Bestandskatalog zu einem unverzichtbaren Referenzwerk zu den Seidengeweben des 18. Jahrhunderts mit Spitzenmuster.

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