Ladakh 1974-2008 – A Photographic Homage

Autor/en: Jaroslav Poncar
Verlag: Serindia Publications
Erschienen: Chicago 2010
Seiten: 304
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: USD 95.–
ISBN: 978-1-932476-49-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 2010

Besprechung:
• Ladakh, das ist zunächst einmal Himalaya pur, schroffe vegetationslose Gebirgsszenarien, tief eingeschnittene und von schneebedeckten Achttausendern gerahmte Schluchten, eine weglose Einöde, in der die tief stehende Sonne verlassene Kloster und Burgruinen wie verlorene Juwelen aus schwarzen Schatten hervorleuchten lässt. Erst bei genauem Hinsehen entdeckt man schmale Pfade, kleine grüne Inseln terrassenartig angelegter Felder, an steile Hänge geschmiegte Siedlungen, meist überragt von einem Kloster, kleine Spuren menschlicher Präsenz im fast unendlichen Raum. Nirgendwo auf der Erde sind die Berge höher, dichter, schroffer und zahlreicher als dort, wo die Gipfelketten des Himalaya, des Karakorum und des Hindukusch aufeinander treffen und Pakistan, Afghanistan, Indien und China gemeinsame Grenzen haben. Und ausgerechnet dort, wo Mensch und Menschenwerk angesichts der Größe und Gewalt der Natur winzig und unbedeutend erscheinen, hat etwa im 10. Jahrhundert der unaufhaltsame Aufstieg einer Hochkultur begonnen. Die kleinen westtibetischen Königreiche Guge, Purang und Margul, das heutige Ladakh, waren die Keimzelle für die Erneuerung und Wiederbelebung des tibetischen Buddhismus, dort wurden zahlreiche wichtige Klöster gegründet und die Grundlagen tibetischer Kunst gelegt. Die unweit von Leh, der Haupstadt von Ladakh, auf einer Schwemmterrasse des Indus im 11./12. Jahrhundert errichtete Klosteranlage von Alchi mit ihren einzigartigen Wandmalereien ist hierfür das vielleicht bekannteste und schönste Beispiel. Das von Roger Goepper und Jaroslav Poncar im Jahre 1996 nach langjähriger Forschungsarbeit herausgegebene Prachtwerk über die Malereien von Alchi – längst vergriffen und antiquarisch kaum zu finden – dokumentiert die Bedeutung dieser Region für Buddhismus und Kunst im Himalaya. Doch neben diesen kulturellen Höhepunkten waren es vor allem die Schönheit und Größe der Natur, die den in Prag geborenen und in Köln lebenden Fotografen Jaroslav Poncar 35 Jahre lang immer wieder nach Ladakh zurückkehren ließen und es war nicht zuletzt die faszinierende Erfahrung, wie es den dort lebenden Menschen gelungen ist, einer lebensfeindlichen Umwelt Inseln der Seligkeit abzuringen. Die nun von Serindia herausgegebene Hommage an Ladakh zeigt die schönsten und eindrucksvollsten Fotos von Poncar. Nur wenige Tage nach der Öffnung der zuvor wegen chinesisch-indischer Grenzkonflikte jahrzehntelang hermetisch verschlossener Grenzen erreichte Poncar im Sommer 1974 ein damals praktisch unbekanntes Land und wir haben teil an seinem Staunen über nie zuvor gesehene Landschaften und die kleinen aber eindrucksvollen Spuren, die Menschen dort geschaffen haben. Zwei Jahre später war Poncar wieder dort, diesmal mit seiner russischen Panoramakamera vom Typ FT-2, und es sind vor allem diese Aufnahmen, die ein Bild von dieser Welt vermitteln, die das Gefühl entstehen lassen als stünden wir inmitten dieser grandiosen Bergwelt. So, wie man auch an Ort und Stelle nicht alles auf einen Blick erfassen kann, so erfordern diese, jeweils doppelblattgroß, das Imperialquerfolioformat ausfüllenden Panoramabilder, ein Bewegen von Kopf und Augen, ein Durchwandern und Entdecken des Abgebildeten, wie es nur diese besondere, von wenigen professionellen Fotografen praktizierte und beherrschte Fototechnik ermöglicht. Folgt man den Angaben über die Entstehungszeiten der weit über 200 in dem Band abgedruckten Bilder, so hat Poncar fast 20 Reisen nach Ladakh unternommen. Die meisten Bilder stammen von den frühen Reisen. Sie zeigen ein Ladakh, das es in dieser Ursprünglichkeit heute nicht mehr gibt, eine Welt ohne Straßen, in der das Reisen oder der Warentransport nur zu Fuß und mit der Hilfe von Tieren erfolgte und in der sich das Leben und die Gebräuche über Jahrzehnte oder Jahrhunderte kaum veränderten. Brücken etwa waren eine Seltenheit und Flüsse waren gar nicht oder nur zu Fuß oder auf Yakrücken zu durchqueren. Im Winter war die Region über Monate nicht erreichbar und die Seitentäler des Indus, Zanskar zum Beispiel, gehörten zu den entlegensten Plätzen dieser Erde. Inzwischen sind außer der damals allein existierenden Militärstrasse weitere Straßen gebaut, Ladakh ist auf dem Luftwege erreichbar und eine immer größer werdende Zahl von Touristen findet Hotels und eine funktionierende Infrastruktur. Viele der von Poncar fotografierten Begebenheiten, die geheimnisvollen Rituale von Schamanen und Orakelpriestern, Klosterfeste, zu denen die ausschließlich einheimische Bevölkerung noch ihre traditionelle Tracht aus selbst gewebten und in Reservetechnik gefärbten Stoffen trug und die verheirateten Frauen noch stolz die kostbaren, mit Türkisen, Korallen und kleinen Amuletten verzierten Peraks besaßen, ursprüngliche Cham-Tänze mit kostbaren Kostümen aus alten chinesischen Brokaten und mit seit Jahrhunderten in den Klöstern bewahrten Masken von Göttern und Dämonen sind heute nicht mehr das, was sie einmal waren, verlieren mehr und mehr ihre spirituelle Grundlage und werden zu Elementen vorzeigbarer Folklore. Umso mehr ist die Hommage von Jaroslav Poncar an die Wunderwelt des alten Ladakh, an die berühmten buddhistischen Klöster wie Lamayuru, Tiksey, Phyrang und viele andere, an das großartige Hochtal von Zanskar mit den Dörfern Padum und Karsha, vor allem aber an die vielen, in wundervollen Portraits gezeigten Menschen, Nomaden, Bauern, Mönche und immer wieder fröhliche Kinder, ein wichtiges Dokument einer Welt im Wandel und Monument der Verbundenheit und Liebe von Jaroslav Poncar zu Ladakh und den Ladakhi. Und zuguterletzt läßt die Verlagsankündigung, dass sich ein zweibändiges Werk über Alchi in Vorbereitung befindet, hoffen, das wir von Jaroslav Poncars Fotokunst in naher Zukunft noch mehr sehen werden.

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