Painted Images of Enlightenment – Early Tibetan Thangkas, 1050-1450

Autor/en: Steven Kossak
Verlag: Marg Publications
Erschienen: Mumbai 2010
Seiten: 220
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: US-$ 65.–
ISBN: 978-81-85026-95-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2010

Besprechung:
Die Archäologie des 20. Jahrhunderts ist reich an sensationellen Entdeckungen. Eine davon war die Auffindung von Khara Khoto durch den russischen Forschungsreisenden Peter Koslow. Man wusste zwar von Khara Khoto, der Schwarzen Stadt, der Hauptstadt des legendären tangutischen Reiches Xixia, und es gab Gerüchte über dort verborgene sagenhafte Schätze, doch ob man sie jemals finden würde, und wo, war höchst ungewiss. So war es eine Sensation als Koslow im März 1908 im unendlichen Sandmeer der Wüste Taklamakan die Ruinen von Khara Khoto erblickte, Reste von gewaltigen Stadtmauern, zerfallene Gebäude und Stupas. Rasch brachten Grabungen auch erste Funde, Manuskripte, einen vergoldeten Buddhakopf und ein kleines, auf Leinwand gemaltes buddhistisches Bild. Doch der erhoffte Schatzfund ließ auf sich warten. Erst als Koslow über ein Jahr später eine außerhalb der alten Stadtmauern gelegene Stupa öffnete war die Sensation perfekt: Bedeutende Statuen aus Holz und Bronze, Handschriften und Bücher in großer Zahl kamen zum Vorschein, vor allem aber Dutzende von Bildrollen mit Darstellungen aus dem buddhistischen Pantheon, wie man sie bis zu diesem Zeitpunkt kaum je gesehen hatte, waren doch bis dahin tibetische Thangkas, um die es sich hier handelte, nur in verschwindend geringer Anzahl von dem einen oder anderen Missionar oder Abenteurer aus Tibet mitgebracht worden. Die Datierung schien einfach, denn Dschingis Khan hatte Khara Khoto im Jahre 1227 erobert und zerstört: Die Thangkas mussten also vor 1227 entstanden sein. Die seither in der St. Petersburger Eremitage verwahrten Thankas galten denn auch über Jahrzehnte als eine wichtige Datierungshilfe für tibetische Malerei. Dass Khara Khoto auch nach der Zerstörung durch Dschingis Khan bis ins späte 14. Jahrhundert wieder zu einer lebendigen Stadt geworden war, wovon viele andere Funde zeugen, nahm die Wissenschaft nicht zur Kenntnis. Für Steven Kossak, den Autor des vorliegenden Bandes über frühe tibetische Thankas, sind die Rollbilder aus Khara Khoto nicht „vor 1227“, sondern anderthalb Jahrhunderte später, also erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden. Diese im achten und letzten Kapitel seines Buches aufgestellte These ist das Ergebnis einer unter zahlreichen Aspekten vorgenommenen, sorgfältigen kunsthistorischen Betrachtung der heute bekannten und inzwischen in die Hunderte gehenden Anzahl früher tibetischer Thangkas aus der Zeit von 1150 bis 1450. Anhand der in diesen Thangkas wiedergegebenen Textilmuster, der modischen Entwicklung in der Bekleidung tibetischer Äbte und Lehrer, vor allem aber des reichen Juwelenschmucks der friedlichen und zornvollen Gottheiten und Bodhisattvas zeigt der Autor eine Entwicklung auf, die seine These über die späte Entstehungszeit der Tangkas aus Khara Khoto glaubhaft stützt. Die stilistische Entwicklung der Thangka-Malerei von der seit dem 11. Jahrhundert mehr oder weniger getreuen Übernahme älterer indischer Traditionen, dem spätestens seit dem 13. Jahrhundert zunehmenden Einfluss newarischer Künstler aus Nepal bis hin zur Integration zentralasiatischer und vor allem mongolisch-chinesischer Elemente während der Yuan-Dynastie als Grundlage der Herausbildung eines spezifisch tibetischen Stils, der in der Wandmalerei des Kumbum von Gyantse dann seinen Höhepunkt findet, wird von Steven Kossak sehr detailliert und überzeugend vorgetragen. Am spannendsten aber ist ohne Zweifel das erste Kapitel, in dem Kossak versucht, frühe tibetische Thangkas mit Bildern zu vergleichen, die es nicht gibt. Das sind so genannte patas, indische Vorläufer tibetischer Thangkas aus der Pala-Zeit (750-1150 n.Chr.), über die man aus der frühen indischen Literatur zwar weiß aber von denen sich nicht eines erhalten hat. Im Vergleich mit indischer Skulptur aus der Pala-Zeit, vor allem aber im Vergleich mit Miniaturen aus indischen Palmblatt-Manuskripten und deren bemalten Buchdeckeln, die sich in geringer Anzahl in Nepal und in Tibet erhalten haben, entwickelt Kossak die These, dass Tibet im 11. Jahrhundert mit der tantrischen Form des Mahayana-Buddhismus auch die im nordöstlichen Indien, in Bihar und in Bengalen praktizierte Form der Malerei übernommen hat, wenn auch in einer sowohl ikonographisch wie malerisch vereinfachten Form. Und Kossak präsentiert Beispiele, die seine These belegen sollen. Das ist einmal die berühmte „Ford-Tara“, das vielleicht schönste aller Thangkas, eine Grüne Tara aus dem 11. Jahrhundert aus der „John and Berthe Ford Collection“ in Baltimore, für die Kossak Argumente anführt, dass dieses Kunstwerk zwar in Tibet aber gewiss von einem indischen Künstler der nordostindischen Tradition gemalt wurde. Die komplexe und für das Tibet jener Zeit eher ungewöhnliche Ikonographie, vor allem aber die Darstellung einer tropischen Umwelt mit Lotos, Panther und Elefant verweise mehr nach Indien als in das tibetische Hochland. Noch einen Schritt weiter geht Kossak dann mit der Zuschreibung eines nur fragmentarisch erhaltenen Thangkas aus Privatbesitz, das Maitreya und Manjushri in angeregter Debatte zeigt. Für Kossak ist dieses Thangka mit hoher Wahrscheinlichkeit eines derjenigen Bilder, die der indische Mönch Atisha nachweislich während seines Aufenthaltes in Zentraltibet um das Jahr 1050 in dem nordostindischen Kloster Vikramashila bestellt hat, und das einen von ihm selbst überlieferten Traum von einem Diskurs dieser beiden Gottheiten über Glaubensfragen zum Gegenstand hat. Es wäre, folgt man den Überlegungen von Kossak, das einzig bekannte Exemplar eines indischen pata und damit ein Vorläufer des gesamten Korpus früher tibetischer Thangkas. Kossaks Buch – eine überarbeitete Zusammenstellung verstreut erschienener Aufsätze – wird, und hier vor allem die These von der indischen Urheberschaft des schönsten aller tibetischen Thangkas, keine ungeteilte Zustimmung finden. Es ist dennoch eine hochinteressante, ungemein kenntnisreiche und fundamentale kunsthistorische Studie, die den Laien und Liebhaber tibetischer Kunst schon deshalb faszinieren wird, weil mit den 135 farbigen Illustrationen ein sehr wesentlicher Teil der bis heute bekannt gewordenen, frühen tibetischen Thangkas in Wort und Bild vorgestellt wird.

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