Begegnung – Spur – Karte – Das ethnografische Erbe von Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter

Begegnung – Spur – Karte  –  Das ethnografische Erbe von Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter

                                                        

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 Autor/en:        Mareile Flitsch, Maike Powroznik, Martina Wernsdörfer (Hrsg)

Verlag:           Arnoldsche Art Publishers und Völkerkundemuseum der Universität Zürich

Erschienen:    Stuttgart und Zürich 2018

Seiten:            208

Buchart:         illustrierter Halbleinenband

Preis:              € 44,00

ISBN:            978-3-89790-534-4

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

 Die allgegenwärtige Diskussion um die Restitution von Raubkunst hat nun auch die ethnologischen Museen erreicht. Die Forderung nach Rückgabe hunderter Beninbronzen aus westlichen Museen ist hier der prominenteste Fall. 1897 hatten britische Soldaten anlässlich einer Strafexpedition in der Hauptstadt des Königreichs Benin ein Massaker veranstaltet und den mit kunstvollen Bronzen verzierten Königspalast vor seiner vollständigen Zerstörung gründlich geplündert. Der Fall scheint einfach, ist es aber nicht, da zumindest einige Beninbronzen schon zuvor den Westen als diplomatische Geschenke oder als legale Handelsware erreicht hatten. Die Beweislage nach mehr als einhundert Jahren ist also schwierig. Tatsächlich dürften die Probleme der Provenienzforschung an ethnologischen Objekten aus kolonialen Sachverhalten diejenigen aus den nationalsozialistischen Raubzügen an Zahl und Komplexität sogar noch übertreffen; ein Ausverkauf ethnologischer Museen, wie ihn Journalisten schon an die Wand malten, ist also nicht zu befürchten. Immerhin hat die oftmals überhitzte Rückgabedebatte zu der Einsicht geführt, dass jedenfalls eine Bestandsaufnahme der Depotbestände ethnologischer Museen als Grundlage jeder weiteren Diskussion dringend notwendig ist, wissen doch manche Museen und ihre Kuratoren selbst nicht, was in Kisten und Kästen vor Jahrzehnten oder noch viel früher, in kolonialen Zeiten etwa, in die Depots gelangte und oft noch nicht einmal ausgepackt, geschweige denn dokumentiert ist.

Das ethnografische Erbe von Heinrich Harrer (1912-2006) und Peter Aufschnaiter (1899-1973) – Tagebücher, Aufzeichnungen, Fotografien, Pläne und gesammelte Objekte – ist mit Sicherheit über den Verdacht kolonialer Beute erhaben, doch wenn man in der soeben erschienenen Publikation des Völkerkundemuseums der Universität Zürich liest, dass allein die Tibet-Sammlung von Heinrich Harrer 1300 Artefakte umfasst, dann wird die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer Bearbeitung dieses Bestandes sehr deutlich. Das anhaltende Interesse der Öffentlichkeit an Heinrich Harrer, spätestens seit seinem 1952 erstmals erschienenen Weltbestseller „Sieben Jahre Tibet“, seiner langjährigen Fernsehpräsenz und seinen vielen weiteren Büchern eine Person der Öffentlichkeit, aber auch an Peter Aufschnaiter, der mehr und mehr aus dem Schatten Harrers auftaucht, nahm das Museum zum Anlass, Lebenswege und Weltverständnisse der beiden österreichischen Bergsteiger und Reisenden aus dem heutigen Stand des Wissens kritisch zu betrachten. Dabei geht der zeitgemäß verstandene Bildungsauftrag eines ethnologischen Museums und die Pflicht, Sammlungen der Öffentlichkeit bekannt zu machen über eine reine Bestandsaufnahme hinaus. Es geht vielmehr darum, vor langer Zeit zusammengetragene Sammlungen aus der heutigen Sicht ihrer Bewahrer aber auch der Nachfahren ihrer Schöpfer zu interpretieren, und zu erforschen, was die Objekte zu sagen haben. Welche anderen Geschichten als die von Harrer und Aufschnaiter lassen sich daran heute erkennen, vielleicht auch erstmals erzählen? Der Beitrag des aus Amdo stammenden tibetischen Historikers und Ethnologen Lobsang Yongdan über die tibetischen Schlagfeuerzeuge der Sammlung Harrer ist ein Beispiel für diese Herangehensweise – doch dazu später.

Zunächst sind Sammlungen Spiegel der Sammlerpersönlichkeiten. Dem Leser wird daher eine in dieser Form bisher nicht geschriebene Vita der beiden Protagonisten geboten, ihre ganz unterschiedliche Ausbildung, das gemeinsame Bergsteigerhobby, ihre abenteuerliche Flucht aus einem indischen Internierungslager bis nach Lhasa und ihre so unterschiedliche Integration in die tibetische Welt und Gesellschaft. Und wie sich nach dem durch die chinesische Invasion erzwungenen Verlassen Tibets die Lebenswege beider entwickelte, wie Heinrich Harrer die Chance nutzte und sein Tibetabenteuer als Forschungsreisender und Schriftsteller in anderen Kontinenten erfolgreich fortsetzte, während Peter Aufschnaiter seiner ihm so teuer gewordenen neuen Heimat treu blieb und – zurückgezogen und introvertiert – als Ingenieur und Agrarexperte in Nepal zum Gemeinnutzen beitrug. Dass die so verschiedenen Charaktere ein sehr unterschiedliches ethnologisches Erbe hinterließen liegt auf der Hand. Peter Aufschnaiters Tibet war das eines Kartierers von Landschaften und Kultur und er hat als Ingenieur und Agronom in Tibet Spuren hinterlassen, die bis heute sichtbar sind. Das Tibet von Heinrich Harrer hingegen erscheint als das eines Augenzeugen, einer am Alltag der tibetischen Gesellschaft interessierten und an ihr teilnehmenden Person. Das ist bei beiden sowohl an den schriftlichen Aufzeichnungen ebenso wie an den gesammelten Objekten abzulesen und beschränkt sich natürlich nicht auf die Zeit in Tibet sondern prägt auch alle weiteren Lebensphasen.

Mehr als ein Dutzend Essays befassen sich unter den bereits zitierten Sichtweisen mit einzelnen Forschungsbereichen und Artefakten. So werden die Expeditionen Harrers nach Neuguinea, zu den Xingu-Indianern in den Urwäldern das Amazonas und nach Suriname anhand von gesammelten Objekten und Aufzeichnungen beleuchtet. Der von Peter Aufschnaiter gezeichnete, detaillierte Plan von Lhasa wird als ein einzigartiges und bis heute wichtiges Dokument gewürdigt, und ein so alltägliches Objekt wie die zum Hüten von Yaks und Schafen benutzte Steinschleuder eines tibetischen Hirten entpuppt sich in einer textiltechnischen Analyse als eine äußerst komplexe Kombination unterschiedlicher Flecht- und Webtechniken. Lobsang Yongdan schließlich schreibt mit seinem Beitrag über das tibetische Schlagfeuerzeug ein Kapitel aus der Kulturgeschichte des Feuermachens. Diese mit Liebe, Geschicklichkeit und feiner Handwerkskunst verzierten, profanen, einer kleinen Börse mit Stahlbügel ähnelnden Objekte hatten nicht nur einen zündenden Gebrauchszweck, sondern dienten auch als Schmuck alltäglicher Keidung, sie wurden mit dem Aufkommen von Streichhölzern im späten 19. Jahrhundert zum eigentlich überflüssigen Luxusgegenstand, waren während der Kulturrevolution ein Symbol der Rückständigkeit und sind heute wieder ein Accessoire traditioneller Kleidung bei festlichen und religiösen Anlässen, bei Familienfesten und Pilgerreisen – obwohl viele Tibeter heute nicht mehr wissen, wofür diese Objekt einst dienten. „Begegnung-Spur-Karte“ ist ein äußerst gelungenes Beispiel für zeitgemäße Sammlungsforschung aus dem Museumsdepot und deren Vermittlung an die Öffentlichkeit.

 

 

 

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