Through Distant Eyes – Portraiture in Chinese Export Art

Through Distant Eyes – Portraiture in Chinese Export Art

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Autor/en:        Luisa Vinhais, Jorge Welsh (Hrsg)

Verlag:           Jorge Welsh Resarch & Publishing

Erschienen:    London 2018

Seiten:            248

Buchart:         Hardcover

Preis:              GBP 100,00

ISBN:             978-0-9935068-4-0

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

Martin Luther auf chinesischem Porzellan – kann das sein? Und wer könnte es gewesen sein, der etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein chinesisches Teeservice mit Portraits des Reformators in Auftrag gegeben hat, in dem Bewusstsein, das Ergebnis bestenfalls ein Jahr später, nach glücklich verlaufenen Seereisen in Händen halten zu können?  Die Antwort bleibt offen, aber das erstaunliche Porzellan – Teetassen mit Untertassen, Teller, eine Anbietschale und eine Teedose mit Luther-Portraits, die vermutlich nach einer Kupferstichvorlage nach einem Gemälde von Lucas Cranach d.J. in China bemalt wurden – gibt es wirklich und kann im neuesten Katalogbuch der Galerie Jorge Welsh bewundert werden.

Chinesisches Porzellan ist ein schier unendliches Thema und die Druckwerke zu allen Spielarten dieser Spezies sind kaum zu überschauen. Eine Sonderstellung unter dieser Flut von Publikationen gebührt seit zwei Jahrzehnten den Büchern und Katalogen von Jorge Welsh, einem der weltweit renommiertesten Händler für chinesisches Porzellan, insbesondere Exportporzellan, mit Galerien in London und Lissabon. Die begleitenden Kataloge zu seinen jährlichen Ausstellungen, ergänzt um ein halbes Dutzend weiterer Bücher, avancierten schnell aufgrund ihrer wissenschaftlichen Akribie, der herausragenden Objekte und der sorgfältigen Gestaltung zu unverzichtbaren Standardwerken für Sammler, Liebhaber und Profis. Das Buch über Kraak-Porzellan (2008) oder die Publikation der legendären RA-Collection (2011 und 2016) sollen hier als herausragende Beispiele genannt sein. Eine ganz besondere Spezialität von Jorge Welsh aber sind seine speziellen Themen gewidmeten Ausstellungen und Kataloge. Den Anfang machte im Jahre 2002 „Flora & Fauna“, eine Kollektion chinesischen Exportporzellans, dekoriert mit Früchten und Gemüsen; der von John Carswell verfasste Katalog blieb bis heute die einzige und gesuchte Publikation zu diesem seltenen Sujet. Weitere Themen wie „European Decoration on Oriental Porcelain“ (2005) oder „Views and Perspectives on Chinese Export Art“ (2016), hier ging es um europäische Architektur auf chinesischem Porzellan, und andere mehr folgten.

„Through Distant Eyes – Portraiture in Chinese Export Art“ ist der Titel der Ausstellung von Jorge Welsh vom Herbst 2018 und des dazu erschienenen Kataloges. Die Idee zu diesem Thema – Europäische Portraits auf chinesischem Porzellan – liegt lange zurück; 2003 konnte das erste Stück für dieses ungewöhnliche Thema erworben werden und es dauerte nicht weniger als 15 Jahre intensiven Sammelns und Forschens, bis schließlich eine wissenschaftlich aufbereitete und repräsentative Sammlung zu diesem Thema vorgestellt werden konnte. Mehr als sechzig Portraits von europäischen Personen sind zu sehen, überwiegend auf Porzellan, einige auch auf Hinterglasbildern. Das ist für dieses ungewöhnliche Thema eine erstaunliche Anzahl, doch noch viel erstaunlicher ist, dass es dem Team um Jorge Welsh gelungen ist, die meisten dieser dargestellten Personen zu identifizieren und sogar die von den chinesischen Porzellan- und Glasmalern benutzten grafischen und anderen Vorlagen aufzuspüren. Im Vergleich mit diesen Vorlagen – meist Kupferstichen – ist es faszinierend, festzustellen, mit welcher Präzision die anonymen chinesischen Künstler die europäischen Vorlagen auf ihr Medium übertragen haben, wie sie sich aber auch Freiheiten herausnahmen oder wo sie schlicht scheiterten und den Europäern mehr oder weniger asiatische Physiognomien verliehen.

Der besondere Reiz dieses Buches liegt aber nicht nur im ästhetischen Erleben der Porzellanmalerei sondern in den sorgfältigen Beschreibungen samt Hinweisen auf Vergleichsstücke und Provenienz, vor allem aber in den Biographien der dargestellten Personen aus der Zeit vorwiegend um die Mitte des 18.Jahrhunderts – also aus der Regierungszeit des chinesischen Kaisers Qianglong – als sich solche Auftragsarbeiten besonderer Beliebtheit erfreuten. Der Kreis der Personen ist weit gespannt und reicht von regierenden Monarchen bis zu berühmten Kurtisanen ihrer Zeit. Wir begegnen einem bunten Gemisch aus Politikern, Militärs, Theologen, Philosophen, Adeligen, Dichtern, Händlern und Gestalten aus der Bibel, aus Satire und Legende. Da wäre etwa Elisabeth Petrowna Romanova, Tochter des Zaren Peter der Große, und von 1741 bis 1762 Kaiserin von Russland. Sie war bekannt für ihre außerordentliche Schönheit, von der indessen auf dem nach einer silbernen Rubelmünze von einem chinesischen Porzellanmaler auf eine Kaffeetasse übertragenen Portrait nicht mehr viel übrig geblieben ist. Hübsch anzusehen mit rosigen Wangen, lockiger Perücke und adrettem Barrett ist der Duke of Cumberland (1721-1765), dessen Abbild wegen seiner siegreich bestandenen Schlacht von Culloden am 16. April auf eine „punchbowl“, die traditionelle britische Punsch-Schale, gemalt wurde. Während das Portrait nach einem Mezzotinto-Blatt des Duke recht gut gelungen ist geriet dem Künstler die Übertragung des Titels des Schlachtenkupfers zum Fiasko. Der Niederländer Jan van Leiden (1509-1536) dürfte es wegen seines skandalösen Lebens und grausigen Todes zum Nachruhm auf zwei chinesischen Tellern gebracht haben. Der in Leiden geborene Schneider wurde zum radikalen Anhänger der Täufer genannten reformatorischen Fundamentalisten, errichtete in Münster eine Schreckensherrschaft, propagierte die Vielweiberei und lebte bis zu seiner Niederlage durch Truppen der Gegenreformation in Saus und Braus. Folter und gewaltsamer Tod beendeten sein Leben, und der Korb, in dem seine Leiche zur Abschreckung dem Volk zur Schau gestellt wurde, ist noch heute in St. Lamberti in Münster zu sehen. Fanny Murray (1729-1778) schließlich durfte eine literarisch mehrfach gewürdigte Karriere von einer kleinen Prostituierten aus der Provinz zur gefeierten Kurtisane der Londoner Halbwelt erleben. Ihr Konterfei auf einer punchbowl zeigt sie in einem bunten und nachlässig übergeworfenen Gewand beim Binden eines Strumpfbandes. Man spürt, dass dem Porzellanmaler die Wiedergabe der verführerischen Szene Freude gemacht hat; sie geriet deutlich besser als der als Vorlage dienende einfache Holzschnitt.

Diese kleinen Episoden aus einem Kaleidoskop von Geschichte und Geschichten können nur eine Kostprobe sein, ein Vorgeschmack auf ein exquisites und mit schönem chinesischen Exportporzellan garniertes Lesevergnügen.

 

 

 

 

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