Armenia – Art, Religion, and Trade in the Middle Ages

Armenia – Art, Religion, and Trade in the Middle Ages

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 Autor/en:        Helen C. Evans (Hrsg)

Verlag:           The Metropolitan Museum of Art – Yale University Press

Erschienen:    New York, New Haven und London 2018

Seiten:            352

Buchart:         Leinen mit Schutzumschlag

Preis:              GBP 50,00

ISBN:             978-1-58839-660-0

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

 Es steht außer Frage, dass eine Rezension des Kataloges der epochalen Ausstellung des Metropolitan Museum in New York (bis 13. Januar 2019) über die mittelalterliche Kunst Armeniens großen Interesses sicher ist. Höchst unsicher ist indessen, in welche der unter dem Oberbegriff „Asien – Kunst – Kultur“ gebildeten Untergruppen für Rezensionen diese Besprechung einzureihen ist. Die Schwierigkeit beginnt schon mit der Frage, ob Armenien in Asien liegt oder in Europa? Und, siehe da, eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Der kleine, im südkaukasischen Bergland zwischen dem Schwarzen Meer und der Kaspischen See gelegene Binnenstaat am Fuße des Ararat befindet sich exakt dort, wo der Grenzverlauf zwischen Asien und Europa seit jeher ungeklärt ist. Die großen Themen von Ausstellung und Katalog: Kunst, Religion und Handel, liefern zwar Argumente für die Positionierung Armeniens in dem einen oder anderen Kontinent aber keine schlüssige Antwort auf die damit offen bleibende Frage.

Armenien liegt nun in der Tat in einer Region Eurasiens, wo immer schon die östliche und westliche Welt aufeinandertrafen, ein Kreuzungspunkt von Handelsrouten mit den Start- und Zielorten in China, Europa, Indien, Russland, Arabien und dem Nahen Osten. Kein Wunder also, dass Armenien in seiner langen Geschichte fast immer ein Zankapfel anliegender Großmächte war und sich je nach den Zeitläuften Römer und Perser, Byzantiner, Sassaniden, Seldschuken, Mongolen, Osmanen, Safawiden, Russen, Bolschewiken und Türken um die Macht über dieses Fleckchen Erde stritten. Umso erstaunlicher ist, dass sich das Bekenntnis dieses kleinen Landes zum christlichen Glauben wie ein roter Faden durch seine wechselvolle Geschichte zieht. Schon im frühen 4. Jahrhundert erhob der armenische König Trdat III das Christentum zur Staatsreligion und machte damit Armenien zum ersten christlichen Staat dieser Welt. Dies und die Entwicklung und Einführung eines eigenen Alphabets im Jahre 406 bewirkten eine einzigartige kulturelle Blüte an der Schwelle von der Antike zum frühen Mittelalter. Literatur und Buchkunst, Handwerk und Architektur florierten ebenso wie der Handel und mit ihm der Austausch mit nahen und fernen Kulturen. Dieser Höhenflug sollte mehr oder weniger das ganze Mittelalter hindurch anhalten.

Die Dualität der Armenier aus ihrem Dasein an einem Kreuzungspunkt zwischen West und Ost, die trotz politischer und militärischer Krisen stets blühenden Handelszentren, der Kontakt mit Menschen und Kulturen der umgebenden Länder und vor allem die identitätsstiftende Kraft von Glaube, Sprache und Schrift ließen eine der faszinierendsten Ausprägungen mittelalterlicher christlicher Kunst entstehen. Dieser orientalisch-christlich-orthodoxen Kunst ist das Katalogbuch gewidmet. Mehrere Dutzend knappe Essays von etwa 20 kompetenten Autoren, illustriert mit den Exponaten der Ausstellung ebenso wie mit großartigen Aufnahmen von Kirchen und Klöstern oder ihren heute noch existenten Ruinen führen chronologisch geordnet durch ein Jahrtausend armenischer Kunst und Kultur. Museen, Klöster und Kirchen, allen voran das Historische Museum Armeniens in Eriwan haben erstmalig ihre Schätze auf Reisen geschickt und so stehen Fragmente früher figürlicher Steinmetzarbeiten für den Dekor der Architektur, liturgische Objekte wie Räuchergefäße, Reliquiare, Kreuze und Paramente für die Ausstattung der Kirchen und Schmuck, Keramik und Glasobjekte aus Ausgrabungen der frühen Hauptorte Armeniens, Dvin und Ani, für säkulare Handwerkskunst.

Ein Höhepunkt mittelalterlicher armenischer Kunst und Schwerpunkt der Publikation ist ohne jeden Zweifel die Buchkunst, die mit der Einführung des armenischen Alphabets und den ersten Übersetzungen christlicher Texte ihre Geburtsstunde erlebte. Während die frühen Jahrhunderte nur mit wenigen Fragmenten präsent sind, ist die Zeit vom 11. bis zum 17. Jahrhundert mit einem wahren Kaleidoskop unterschiedlichster Manuskripte mit Miniaturen, Illustrationen und Illuminationen vertreten. Bibeln, liturgische Texte und vor allem Evangelienbücher dominieren neben historischen Chroniken und narrativen Texten etwa aus dem Leben Alexanders des Großen. Auch wenn dem Leser und Betrachter der vielen Dutzend Bücher immer nur eine Seite oder Doppelseite gezeigt werden kann, so erschließt sich dank deren Auswahl, der Qualität der Wiedergabe und der ausführlichen Beschreibungen die außergewöhnliche Kreativität armenischer Künstler-Mönche, die westliche, vor allem aber Einflüsse der sie umgebenden islamischen Kulturen zu einem ureigenen armenisch-christlich-orientalischen Stil formten.

Die fast ununterbrochene Abfolge der Fremdherrschaften hat schon früh dazu geführt, dass Armenier ihr Land verließen, um in der Diaspora zu leben. Etwa zwei Drittel der Armenier, so schätzt man, leben heute nicht in ihrem Heimatland, sondern in allen Teilen der Welt. Dieser Prozess begann bereits im frühen Mittelalter. Mit Armeniern in Kilikien, in Jerusalem oder in Aleppo, mit armenischer Handwerkskunst aus Kayseri oder Täbris oder mit der spektakulären orientalisch-armenischen Architektur und Ausstattung der Kathedrale im Stadtteil Dschulfa in Isfahan, findet das Thema der Diaspora auch in diesem Buch gebührende Beachtung. Und so ist es vielleicht ganz richtig, dass man Armenien keinem Kontinent zuordnen kann: Armenien ist überall!

 

 

 

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