Tibet – Religion Kunst Mythos

Autor/en: Claudius Müller, Markus Mergenthaler
Verlag: Verlag J.H.Röll
Erschienen: Dettelbach 2010
Seiten: 232
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 29.90
ISBN: 978-3-898754-351-5
Kommentar: Michael Buddeberg, Mai 2010

Besprechung:
Vom Dalai Lama geweiht, einst vom Sturm zerstört und nun aufwändig restauriert, ist das 10 mal 14 Meter große Riesenthangka, 1982 von Werner Engelmann für die Münchner Tibet-Ausstellung „Der Weg zum Dach der Welt“ gemalt und 10 Jahre später an einer Felswand beim Heinrich Harrer-Museum in Hüttenberg erneut präsentiert, jetzt zum dritten Mal ein Werbebanner für Tibet. Das eindrucksvolle monumentale Rollbild von Padmasambhava in der Pose des Dämonenbezwingers Sakyasimha, des „Löwen aus dem Geschlecht der Sakya“, dominiert den Innenhof des Knauf-Museums, der den ehrwürdigen Barockbau des Museums mit einem modernen Erweiterungsbau verbindet. Es schmückt auch den Cover des Begleitbuches zur Ausstellung „Tibet – Religion Kunst Mythos“, mit der dieser Neubau des Knauf-Museums im idyllischen Weinort Iphofen im März dieses Jahres eröffnet wurde (bis zum 30. Oktober 2010). Als Leitmotiv für diese unbedingt sehenswerte Ausstellung ist Padmasambhava geradezu ideal, steht er doch gleichermaßen für die Begriffe Religion, Kunst und Mythos. Padmasambhava, eine historische Person des 8. Jahrhunderts durchlief eine ähnliche Entwicklung wie Buddha Shakyamuni viele Jahrhunderte vor ihm, lehnte sein höfisches Leben ab und wurde buddhistischer Mönch und Lehrer tantrischer Praktiken. Einem Ruf des tibetischen Königs Trisong Detsen folgend reiste Padmasambhava ins Schneeland, um dort die Dämonen zu bekämpfen. Das gelang ihm in kurzer Zeit und durch seine überlegene Zaubermacht zwang er sie in die Dienste des Buddhismus, der sie als Schützer der Lehre in sein Pantheon eingliederte. Die historischen Daten von Padmasambhava sind in den unzähligen Legenden, die sich um seine Person und Taten ranken, nicht mehr auszumachen; gewiss ist jedoch, dass er nicht nur das Pantheon tibetischer Gottheiten bereicherte, sondern ganz wesentlich die tantrische Ausrichtung des Mahayana-Buddhismus in Tibet und damit Religion und materielle Kultur prägte. Um die Geschichte und Religion Tibets, die innig ineinander verwoben sind, um Kunst, Kultur und tägliches Leben und um die Wahrnehmung Tibets im Rest der Welt ranken sich 16 Essays kompetenter Autoren, die das Buch zur Ausstellung zu einer interessanten, lesenswerten und durch das breite Spektrum der Beiträge manchmal überraschenden Lektüre machen. Detaillierte Informationen über die einzigartige Flora und Fauna des größten Hochlandes der Erde – die schönen Wildesel Kyang, die wegen der Nachfrage nach Shatoosh-Schals fast ausgerottete Tibet-Antilope Chiru und der berühmte blaue Mohn seien hier genannt – finden sich ebenso wie Berichte über das härene Eremitengewand aus dem 15. Jahrhundert, das bei der zeremonialen Öffnung einer geweihten Tara-Figur aus dem 17. Jahrhundert gefunden wurde und über die Himalaya-Scheinwelt, die sich der bayerische König Ludwig II in einem riesigen Dachgarten auf seiner Münchner Residenz bauen ließ (bereits 1897 wegen statischer Probleme wieder demontiert). Der tibetischen Literatur vom berühmten Nationalepos des König Gesar bis zu modernen Autoren von heute, dem Einsiedler und Poeten Milarepa, der Stilentwicklung in der tibetischen Kunst und den vier Weltenwächtern sind weitere Beiträge gewidmet. Während der Ausstellung schützen diese vier Dharmapalas in leibhaftiger Form auch die vier Stadttore von Iphofen. Diese Präsenz Tibets im heutigen, wenn auch mittelalterlich geprägten Stadtbild Iphofens wirft die Frage nach der Wahrnehmung Tibets im Westen auf, deren Beantwortung sich drei Aufsätze widmen. Das ist zum einen die falschen Zwecken dienende, propagandistische und schlicht verfälschende Wahrnehmung Tibets, das von Klischees, esoterischen Traumwelten bis zu rassistischen und pornographischen Scheinwelten besetzte Tibetbild, für das der Begriff Shangri La, der Roman „Lost Horizon“ von James Hilton und der erfundene Bestseller „Das dritte Auge“ stehen. Die wahre und durch die geographische Lage Tibets maßgeblich beeinflusste, Jahrhunderte währende, ja bis in die jüngste Zeit reichende Entdeckungsgeschichte Tibets, ist für der Entstehung dieser Trugbilder sicherlich mitverantwortlich. Die beiden Essays zur frühen Entdeckungsgeschichte Tibets und über Tibetreisen nach dem ersten Weltkrieg sind daher eine nicht nur spannende, sondern herausragend wichtige Lektüre für das Verständnis Tibets. Zwar dürfte schon Herodot Kenntnis von der Existenz Tibets gehabt haben, doch wird der erste Europäer Tibet nicht vor dem 14. Jahrhundert betreten haben. Franziskaner und Jesuiten waren die Vorreiter der Entdeckung Tibets, denen Missionare, Diplomaten und Kaufleute folgten, bis sich dann im 19. Jahrhundert auch Wissenschaftler, Bergsteiger, schiere Abenteurer und nicht zuletzt auch Krieg führende Militärs und Geheimagenten auf den Weg machten. Ihnen allen erschien dieses Tibet, die dort lebenden Menschen und ihre Kultur als etwas so außergewöhnliches und berichtenswertes, dass fast jeder Tibetreisende schriftliches Zeugnis ablegte. Allein dieser glänzend recherchierte und mit geschichtlichen und anekdotischen Ausblicken garnierte und locker geschriebene Leitfaden durch die Tibet-Literatur aller Zeiten lohnt den Erwerb des Buches.

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