Enzyclopedia of Embroidery from the Arab World

Enzyclopedia of Embroidery from the Arab World

Autor/en:        Gillian Vogelsang-Eastwood (Hrsg)

Verlag:           Bloomsbury Academic (Bloomsbury Publishing)

Erschienen:    London 2016 (Reprint 2017)

Seiten:            700

Buchart:         Hardcover

Preis:              GBP 160,00 (online)

ISBN:             978-0-8578-5397-4

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

 Die Goldmaske aus dem 1922 von Howard Carter entdeckten Grab des ägyptischen Pharao Tutanchamun (1332-1323 v.Chr.) gehört zweifellos zu den spektakulärsten und bekanntesten Kunstwerken der Welt. Kaum bekannt ist hingegen, dass sich unter den tausenden von Grabbeigaben Tutanchamuns neben kostbaren und speziell für eine Pharaonenbestattung hergestellten Objekten auch eine große Anzahl alltäglicher Gebrauchsgegenstände befand, Möbel, Gefäße, Jagdgerät, Musikinstrumente, Waffen und Kleidungsstücke wie Tuniken, Schals, Kopfbedeckungen, Socken, Handschuhe und dergleichen mehr. Unter diesen Textilien sind einige mit Stickereien verzierte Objekte besonders hervorzuheben, gehören sie doch mit einem Alter von über 3300 Jahren zu den ältesten bekannten Textilarbeiten dieser Art. Ihre kunst- und kulturhistorische Bedeutung steht daher derjenigen der berühmten Goldmaske in nichts nach. Es ist daher nur konsequent, dass eine Enzyklopädie der Stickerei aus der arabischen Welt, also aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika mit diesen altehrwürdigen Artefakten beginnt und damit klarstellt, dass die Kunst, ein Grundgewebe oder Trägermaterial mittels Nadel und Faden mit Mustern, anderen Stoffen oder auch mit Perlen, Muscheln oder Münzen zu verzieren, eine tausende Jahre zurückreichende Tradition besitzt.

Gillian Vogelsang-Eastwood, Direktorin des Textile Research Centre (TCR) in Leiden, Expertin vor allem für Ägypten und den Maghreb, hat zusammen mit einem Team erfahrener Textilwissenschaftler*innen in langjähriger Arbeit eine Enzyklopädie der Stickerei der arabischen Welt geschaffen, die nichts ihresgleichen hat. Nimmt man den opulenten Band zur Hand, geht es dem Leser genauso, wie der Herausgeberin bei der Idee zu diesem Werk – es fehlt jede Vorstellung, wie umfangreich und komplex Thema und Material sind. Die arabische Welt vom Atlantik im Westen bis zum Zweistromland im Osten, vom Mittelmeer bis zum Horn von Afrika und der arabischen Halbinsel im Süden ist keineswegs so homogen wie es der Titel Glauben machen könnte und auch keineswegs nur von muslimischen Arabern bevölkert. Völker und Stämme mit unterschiedlichen historischen Wurzeln und eine kaum überschaubare Anzahl ethnischer, kultureller und religiöser Minderheiten finden sich in der zitierten Region und fast ebenso vielfältig sind Technik und Ästhetik ihrer Stickereien. Diese Vielfalt anschaulich und begreifbar zu machen, war das Ziel des Teams und das ist in herausragender Art und Weise gelungen. Allein die nüchternen Zahlen, 700 Seiten und 800 Abbildungen, davon 750 in Farbe, Fotos von Trachten, Stickerinnen bei der Arbeit, Musterzeichnungen, Karten und natürlich Stickereien, vielfach auch im Detail und anschaulich vergrößert, lassen erahnen, dass das Thema wirklich enzyklopädisch mit großer Sorgfalt, wissenschaftlicher Gründlichkeit und dem Bemühen um Vollständigkeit dargestellt wird. Die abgebildeten Beispiele stammen aus der viele tausende Objekte umfassenden Sammlung des Textile Research Centre in Leiden, aus bedeutenden privaten Sammlungen in Jordanien, Ägypten und Saudi Arabien, aus der Nour Foundation und aus den großen internationalen Museen in London (British Museum und V&A), Oxford (Ashmolean), Leeds (International Textile Archive), Washington (Textile Museum); Indianapolis (Museum of Art) und New York (Metropolitan Museum).

Die Enzyklopädie der Stickerei aus der arabischen Welt ist ein Buch, das viele Einzelmonographien ersetzt. Es ist kein Buch, das man Seite für Seite oder Kapital für Kapitel liest oder lesen sollte. Es ist ein um Vollständigkeit bemühtes Nachschlage- und Informationswerk, das versucht, mit fundierten Texten und reichem Bildmaterial Antworten zu geben auf Fragen, und Hilfestellungen zu leisten für die oft schwierige Zuschreibung und Einordnung von Stickerien nach Alter und Herkunft. Jedes der insgesamt 45 Kapitel ist für sein Thema, die geographische Region oder eine besondere Textilgattung selbsterklärend und in sich abgeschlossen. Darüber hinaus aber sind die Kapitel durch ein System von Querverweisen miteinander verbunden und so ergibt es sich von ganz allein, dass der Leser, je nach seinem individuellen Schwerpunkt oder Interesse von einem Thema zum anderen gelangt, Zusammenhänge entdeckt, Überraschungen erlebt und sein Wissen bereichert.

Die 45 Kapitel sind in drei Abschnitte gegliedert. Ein erster einführender Abschnitt umfasst allgemeine Themen wie Materialien, Farben, die Entwicklung von der Hand-  zur maschinellen Stickerei und die im arabischen Raum wechselnden und vorherrschenden Einflüsse auf die stilistische Entwicklung der Stickerei von der Seidenstraße des Altertums bis zur industriellen Revolution  des 19. Jahrhunderts in Europa. Ein zweiter Abschnitt widmet sich der vorwiegend durch archäologische Entdeckungen und Funde bekannt gewordenen Stickereien aus der Antike und der Zeit des frühen und mittleren Mittelalters, um dann im dritten und zentralen Abschnitt mit einer „tour de force“ die Regionen der arabischen Welt von Marokko bis Kuwait und vom Libanon bis in den Jemen zu behandeln, wobei auch angrenzende Regionen wie Indien und die Türkei Beachtung finden. Einen vierten Abschnitt bildet der bemerkenswerte Anhang. Neben zwei Glossaren – getrennt nach Begriffen aus den Welten der Textilien und der Bekleidung -, einer umfassenden Bibliographie und einer Auflistung von Museen und Institutionen dieser Welt mit bedeutenden Sammlungen von Stickereien aus Nordafrika und dem Mittleren Osten, ist hier besonders die mit schematischen Zeichnungen und einer alphabetisch geordneten Tabelle versehene Aufstellung von nicht weniger als 214 verschiedenen Stickstichen zu erwähnen, ein eminent wichtiges Hilfsmittel bei der technischen und regionalen Bestimmung von Stickereien. All das macht das Buch zu einem Standardwerk, wie die Notwendigkeit eines Nachdruckes nur ein Jahr nach seinem Erscheinen überzeugend belegt.

 

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