Samurai – Pracht des japanischen Rittertums – Die Sammlung Ann und Gabriel Barbier-Mueller

Samurai – Pracht des japanischen Rittertums – Die Sammlung Ann und Gabriel Barbier-Mueller

 

Autor/en:        J. Gabriel Barbier-Mueller, Roger Diederen (Hrsg)

Verlag:           Hirmer Verlag

Erschienen:    München 2019

Seiten:            360

Buchart:         Hardcover

Preis:              € 49,90

ISBN:             978-3-7774-3258-8

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

 Gabriel Barbier-Mueller, aufgewachsen in einem familiären Schweizer Umfeld, in dem das Sammeln von Kunst seit Generationen Tradition, Verpflichtung und Lebensinhalt ist, war der Besuch von Museen und der Kontakt mit Kunsthändlern und Sammlerfreunden der Eltern quasi in die Wiege gelegt worden. Schon früh hatte er gelernt, Qualität, sei es auf einem Flohmarkt oder im Schaufenster einer Galerie, zu erkennen und schon früh war bei ihm ein Interesse für skulpturale Kunst erwacht. So war er als Junge beim Besuch eines Pariser Antiquars spontan von den ungewöhnlichen und komplexen Formen und der Materialvielfalt einer japanischen Rüstung fasziniert, musste sich aber von seinen Eltern sagen lassen, „solche Dinge sammeln wir nicht“. Heute, Jahrzehnte später, Gabriel Barbier-Mueller ist erfolgreicher Immobilieninvestor in Dallas und mit der Tochter eines texanischen Ranchers verheiratet, haben Ann und Gabriel Barbier-Mueller in 30-jähriger Sammlertätigkeit die wohl weltweit bedeutendste Sammlung japanischer Rüstungen außerhalb Japans zusammengetragen und für diese Sammlung ein eigenes Museum in Dallas errichtet. Eine Ausstellung von etwa 120 Objekten dieser außergewöhnlichen, heute weit über 300 Stücke umfassenden Sammlung in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München (bis zum 30. Juni 2019) beschert dem an japanischer Geschichte und Lebensart Interessierten und vor allem den Kennern und Sammlern der einzigartigen Kunstform japanischer Rüstungen einen opulenten Katalog, wie er besser und schöner kaum gemacht werden kann. Wie es sich bei einem Katalog einer privaten Sammlung gehört, kommen zunächst Ann und Gabriel Barbier-Mueller zu Wort und wir erfahren aus erster Hand von der Veranlagung, der Erziehung und der Motivation zum Sammeln, lesen über Josef Mueller aus Solothurn, den Begründer der Sammlerdynastie, über die vielen und oft ausgefallenen Sammelgebiete der Familie, über den Beginn und die allmähliche Konzentration auf diese ungewöhnlichen Objekte und über den unschätzbaren immateriellen Gewinn aus dieser Sammeltätigkeit, das Wissen und das Verständnis japanischer Geschichte und die Begegnungen mit anderen Menschen und Freundschaften. Der Katalogteil des Buches mit sorgfältigen Beschreibungen, hervorragenden Fotos und vielen Detailaufnahmen offenbart eine faszinierende Kunstform, wie sie keine andere Kultur auf dieser Welt hervorgebracht hat: Die Vielfalt der in einer japanischen Rüstung verarbeiteten Materialien, Eisen, Bronze, Edelmetalle, Leder, Textilien, Kordeln, Lack, Holz, Seide, Fell und Federn, um nur die häufigsten zu nennen und die mannigfachen Techniken, die erforderlich sind, um all dies zu einem Gesamtwerk zu verbinden, wird nur noch übertroffen von der schier unglaublichen Fantasie und Kreativität, mit der sich die Rüstungshandwerker immer neue Dekore und Details einfallen ließen. Die gilt vor allem für die Helme, mit weit über 40 Exemplaren ein Schwerpunktthema des Buches, bei denen die Notwendigkeit, den hinter Masken verborgenen Krieger von anderen Rüstungsträgern zu unterscheiden, den Erfindungsreichtum fast grenzenlos erscheinen lässt. Gesichtsmasken, die einander an Grimmigkeit überbieten, knapp zwanzig komplette Rüstungen, nicht weniger als drei vollständige Garnituren für Pferd und Reiter, Sättel und Steigbügel, Untergewänder aus Brokat und Seide, Pfeil und Bogen, Lanzen und Schwerter, vermitteln ein bisher kaum bekanntes Bild des Samurai, des japanischen Ritters oder Kriegers. Die Objekte aus dem 12. bis zum 19. Jahrhundert stammen weit überwiegend aus europäischen Sammlungen, die im 19. Jahrhundert oder auch schon früher entstanden sind, als seit der Mitte des 16. Jahrhunderts portugiesische, italienische und holländische Kapitäne Exotisches aus Fernost nach Europa brachten. Ein besonders seltener und in einer westlichen Sammlung einzigartiger Schatz ist ein aus vielen Teilen bestehendes Rüstungsensemble aus dem Besitz des bedeutenden Mori-Clan, einer machtvollen alten Daimo-Familie, dessen einzelne Bestandteile einheitlich mit dem Familienwappen versehen sind. Die Einleitung von Morihiro Ogawa (Metropolitan Museum of Art) und acht weitere Essays von Historikern, Kunstwissenschaftlern und Sammlern bilden den notwendigen Kontext zu den Objekten und öffnen den Blick in die erstaunliche Welt der Samurai. Im 12. Jahrhundert riss eine Kriegerfamilie die Macht an sich, degradierte Kaiser und Hof auf rein repräsentative Funktionen und begründete eine Abfolge von Shogunaten, ein auf militärischer Organisation und Kriegsführung aufbauendes politisches System mit strenger Hierarchie, an dessen Spitze die Samurai, der Kriegeradel, standen. Es bescherte Japan bis in die Momoyama-Zeit (1573-1603) eine nicht enden wollende Dauerfehde unter dem Militäradel und damit einen permanenten inneren Kriegszustand. Dieser hatte eine enorme technologische Entwicklung der Waffen- und Kriegstechnik zur Folge, wie sie sich beispielsweise in den bis heute unerreichten und in zahllosen Arbeitsgängen geschmiedeten Schwertern, dem Symbol des Samurai schlechthin, manifestierte und natürlich in der sich immer weiter verfeinernden Herstellung von Rüstungen. Parallel entwickelte sich der Verhaltenskodex und die Philosophie des Bushido, der „Weg des Kriegers“, ein Kodex moralischer Grundsätze, die jeder Samurai zu beachten hatte. Die über hunderte kriegerischer Jahre verinnerlichten, auf Ethik, Moral und Disziplin gegründeten Tugenden der Samurai versetzten diesen Stand in die Lage, sich auf die mit dem Frieden von Tokugawa und der Edo-Zeit (1603-1868) beginnende, über 250-jährige Friedenszeit einzustellen und, jedenfalls zunächst, die führende Stellung im Staat beizubehalten. Dank Bushido wechselten die Samurai vom Schlachtfeld in die zivile Verwaltung und zogen von ihren befestigten Burgen in die neu gegründeten Städte. Anstelle militärischer Qualitäten waren nun No-Theater, Gartenkunst, Kalligraphie und Teezeremonie gefragt. Die Rüstungen, jetzt nicht mehr zum Gebrauch, sondern repräsentative Statussymbole wurden zu hoch verehrten Erbstücken, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Mit den fundierten Beiträgen auch zur Architektur der wenigen erhaltenen Samurai-Burgen, der Rolle der Frauen in jener Zeit bis zum Verlust von Reichtum, Macht und Ansehen einer Klasse, die sich im 19. Jahrhundert selbst überlebt hatte, verliert sich der skurril-exotische Eindruck dieser japanischen Rüstungen und macht Platz für die Bewunderung einer weltweit einzigartigen handwerklichen, künstlerischen und ästhetischen Tradition.

 

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