Wonders of Lo – The Artistic Heritage of Mustang

Autor/en: Erberto Lo Bue
Verlag: The Marg Foundation
Erschienen: Mumbai 2010
Seiten: 164
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: USD 68.–
ISBN: 978-93-80581-02-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Februar 2011

Besprechung:
Zuletzt mit der beeindruckenden Dokumentation der Wandmalereien von Mangyu in Ladakh durch Peter van Ham oder mit dem wunderbaren Buch von Amy Heller und Tom Pritzker über die Entdeckung einer einzigartigen tibetischen Bibliothek im entlegenen nepalischen Dolpo, aber auch mit Ausstellungen zu Ladakh in Stuttgart und München und nun erneut mit dem ersten Buch über das künstlerische Erbe von Mustang rücken tibetische Enklaven außerhalb des von China beherrschten Tibet in den Mittelpunkt des Interesses. Das ist kein Zufall, denn im tibetischen Kernland – das muss leider festgestellt werden – beginnt die jahrzehntelange Unterdrückung tibetischer Kultur durch China zu greifen. Die Aufstände der Tibeter im Vorfeld der olympischen Spiele von Peking und deren gewaltsame Niederschlagung nahmen die chinesischen Machthaber zum Anlass, die Repressionen in Tibet dramatisch zu verstärken. Das betrifft alle Bereiche des täglichen Lebens, vor allem aber das religiöse Leben in Klöstern und Tempeln. Rigorose Beschränkungen und Bespitzelung haben die einst so lebendige und andachtsvolle Atmosphäre an diesen Orten auf ein Minimum reduziert, ein Schritt von der gelebten Kultur zu dem von China angestrebten Ziel ihrer nur noch musealen Präsentation. Die wider manche Erwartungen reibungslos funktionierende Eisenbahnlinie nach Lhasa und der überbordende innerchinesische Tourismus, unterstützt durch eine omnipräsente Infrastruktur und gepflegte Asphaltstrassen zwischen zentraltibetischen Sehenswürdigkeiten tun ein übriges, dem Freund tibetisch-buddhistischer Kultur Reisen in das chinesische Tibet zu verleiden. Doch es gibt eben auch ein originales Tibet außerhalb von Tibet. Sieht man sich die Karte des Himalaya an, so ragt die kleine nepalische Provinz Mustang, nordwestlich von Kathmandu – die Einheimischen nennen ihr Land seit jeher Lo – weit hinein in das südwestliche Tibet. Und in der Tat beginnt nördlich des tiefsten Canyon dieser Erde, den sich der Kali Gandaki zwischen den beiden Achttausendern Annapurna und Dhaulagiri gegraben hat, bereits das tibetische Hochland. Der Oberlauf dieses Kali Gandaki und seine Nebenflüsse, vegetationslose Klippen und Erosionslandschaften, der nur durch künstliche Bewässerung mögliche Anbau von Gerste und Buchweizen und halbnomadische Viehzucht prägen das 2563 qkm kleine Lo und seine 3809 m hoch gelegene Hauptstadt Lo Monthang. Seit 1991 für einen reglementierten Trekkingtourismus geöffnet wurde zwar die grandiose Landschaft durch einige Bildbände bekannt, welche Schätze tibetischer Kunst dort verborgen sind, erschließt aber erst jetzt das von Erberto Lo Bue herausgegebene Buch, das insgesamt elf Beiträge kompetenter Autoren vereint. Erberto Lo Bue ist es auch, der in die Geschichte der Kultur von Lo einführt. Dabei bleibt ungewiss, wann der Buddhismus in diesem kleinen Land, schon immer an einem wichtigen Handelsweg zwischen Indien und Tibet gelegen, wirklich angekommen ist. Padmasambhava, der große indische Magier, und auch der Guru Atisha sollen schon in Lo gewesen sein, doch sichtbare buddhistische Spuren hat erst das 13. Jahrhundert hinterlassen. Dann, in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entwickelte sich in Lo ein kleines Königreich, das unter seinem ersten König Anapel und der nach ihm benannten Dynastie eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte von fast zweieinhalb Jahrhunderten erlebte. Lo gehörte damals zum Einflussbereich der mächtigen Fürsten von Gyantse und des Klosters von Sakya, die enge Beziehungen sowohl zu den Newari im Kathmandu-Tal wie auch zu den Herrschern der mongolischen Yuan-Dynastie unterhielten. Die Architektur der beiden aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammenden Tempel in Monthang – ein Essay von John Harrison widmet sich dieser Architektur – vor allem aber die bedeutenden Wandmalereien in diesen beiden, Maitreya und Mahamuni gewidmeten Tempeln, lassen diese Nähe zu Sakya und Gyantse erkennen. Dort hatte sich seit dem 13. Jahrhundert unter dem zunehmenden Einfluss newarischer Künstler aus Nepal und der Übernahme zentralasiatischer und mongolisch-chinesischer Elemente während der Yuan-Dynastie ein spezifisch tibetischer Stil herausgebildet, der in den Wandmalerei des Kumbum von Gyantse seinen Höhepunkt fand. In den Tempeln von Monthang, nur wenige Jahrzehnte nach der Vollendung des Kumbum in Gyantse errichtet, finden wir denselben Stil in ebenso meisterhafter Ausführung. Schließlich erinnert auch das ikonographische Programm im Tempel des Maitreya an Gyantse, denn ähnlich wie dort von Stockwerk zu Stockwerk und von Kapelle zu Kapelle soll der Gläubige und Pilger in der Abfolge der im Maitreya-Tempel dargestellten Gottheiten immer subtilere und geheimere Formen der Erleuchtung erfahren. Mit dem im 17. Jahrhundert einsetzenden Niedergang der Anapel-Dynastie begann dann aber der Verfall der Tempel, denen Giuseppe Tucci und später auch David Snellgrove keine Überlebenschance mehr gaben. Erst die 1999 begonnene und viele Jahre währende Restaurierungs- und Konservierungsinitiative der American Himalayan Foundation unter Luigi Fieni hat diesen Prozess beendet und der Besucher gewinnt heute wieder den Eindruck, den diese Wandmalereien im 15. Jahrhundert den Gläubigen vermittelt haben mögen. Zwei Beiträge von Luigi Fieni berichten über die immer wieder neuen Herausforderungen und Schwierigkeiten bei diesen Arbeiten und wie sie unter Heranbildung einheimischer weiblicher Hilfskräfte gelöst wurden. Thema weiterer Essays sind Malereien des 13. bis 15. Jahrhunderts in den Höhlen, die Bewohner von Lo seit prähistorischen Zeiten in die schroffen Konglomerat-Klippen gehauen habe, sei es als Wohnung, Grablege, Rückzugsort oder eben als Kultstätte. Durch fortschreitende Erosion waren viele dieser Höhlen seit langer Zeit nur noch für Schneeleoparden zugänglich und manche von ihnen waren überhaupt nur mit modernster Bergsteigertechnik und unter Gefahren zu erreichen. Die bedeutendsten und frühesten dieser Malereien befinden sich auf einem in einer solchen Höhle in Luri errichteten Tschörten östlich von Lo. Die sehr stark von indischen Traditionen geprägten Wandmalereien, insbesondere die Darstellung von Mahasiddhas werden in einem Essay von Heidi und Helmut Neumann sorgfältig beschrieben; ihre religiöse Bedeutung ist allerdings bis heute nicht endgültig entschlüsselt. Amy Heller schließlich stellt eine kleine Gruppe bedeutender und sehr schöner Bronzeskulpturen des 15. bis 17. Jahrhunderts vor, die aufgrund ihrer Inschriften und Signaturen dem Königreich von Lo zugeschrieben werden können. Dass alle diese Skulpturen inzwischen ihren Aufenthalt in westlichen Sammlungen und Museen gefunden haben, sei hier bloß am Rande vermerkt. Bleibt als Fazit: Ein gutes und wichtiges Buch, das mit seiner Dokumentation von Kunst und ihrer Konservierung informiert und Hoffnung macht und mit der Öffnung dieser fragilen Kunst für einen zunehmenden Tourismus – eine Straße nach Lo ist bereits im Bau – neue, erst in der Zukunft zu lösende Probleme aufzeigt.

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