Bhutan – Buddhistische Kultur und spiritueller Alltag im Reich der Könige

Autor/en: Matthieu Ricard
Verlag: Knesebeck Verlag
Erschienen: München 2009
Seiten: 232
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 39.95
ISBN: 978-3-86873045-6
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2009

Besprechung:
Nur selten wurde einem buddhistisch-spirituellen Meister und Lehrer so viel literarische und fotografische Aufmerksamkeit zuteil wie Dilgo Khyentse Rinpoche (1919-1991), einem der Lehrer des 14. Dalai Lama. Das ist einem seiner Schüler zu verdanken. Matthieu Ricard, Franzose, promovierter Arzt, Wissenschaftler, seit Jahren der offizielle französische Dolmetscher und Übersetzer des Dalai Lama, ist ein Mann der Feder und ein begnadeter Fotograf. Und er ist seit einem halben Menschenleben buddhistischer Mönch und hat als solcher seinen großen Lehrmeister Khyentse Rinpoche auf vielen Reisen im Westen, bei seinem spektakulären Besuch in seinem osttibetischen Stammkloster und immer wieder nach Bhutan begleitet. Khyentse Rinpoche lebte seit seiner Flucht aus Tibet ab 1959 lange Jahre in Bhutan und so hat Matthieu Ricard dieses kleine, über Jahrhunderte kaum zugängliche und von der Außenwelt fast vergessene buddhistische Königreich im Himalaya schon früh und ganz von innen kennen gelernt. An der Seite seines Lehrers hat Ricard religiöse Zeremonien und Rituale erlebt, an denen teilzunehmen noch heute den meisten Besuchern des Landes verwehrt ist, und er hat mehrfach und längere Zeit in bhutanischen Dörfern gelebt und den Alltag mit den Menschen aus Bhutan geteilt. Die Kamera war stets dabei und so zeigt uns Ricard mit seinem Buch über Bhutan das, was in den immer zahlreicher werdenden Publikationen über dieses Land fast immer fehlt, der Blick in die Klöster, der Blick auf eine intakte traditionelle buddhistische Kultur und ihre Akteure, Feste und Rituale. In prächtig mit Malerei und reichem textilen Schmuck ausgestatteten Tempeln, durch die bhutan-typischen „Kleeblattbogenfenster“ in geheimnisvolles Licht getaucht, dürfen wir an der mehrtägigen Gebetszeremonie der Großen Vervollkommnung teilnehmen, erleben eine Lichtopferfeier, ein von Khyentse Rinpoche zelebriertes Feuerritual und sind beim Werden und Vergehen eines Sandmandala dabei, wie es mit großer Sorgfalt und Kunstfertigkeit aus buntem Sand „gemalt“ und zum Gegenstand der „drupchen“-Zeremonie wird, um schließlich, Zeichen der Vergänglichkeit alles Irdischen, zerstört und in feierlicher Prozession brokatgewandeter Mönche in die Strömung des nahe gelegenen Flusses gestreut zu werden. Vor allem die Aufnahmen aus den frühen 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als Khyentse Rinpoche diese Feiern vornahm, sind eindrucksvolle Dokumente aus dem spirituellen Leben Bhutans. Dazu gehören die öffentlichen Klosterfeste „tsechu“, zu denen sich Hunderte von Gläubigen und Pilgern einfinden, wenn Mönche die traditionellen Cham-Tänze vorführen. Einst zur Tradition aller dem Mahayana-Buddhismus anhängenden Gesellschaften gehörig, sind ihre Inhalte und Formen in der Mongolei und in Tibet zum Teil vergessen, zum Teil mit moderner Folklore verfremdet und werden nur noch in Bhutan in ihrer traditionellen Choreographie gepflegt und gezeigt. Die phantastischen Masken und Kostüme der Tänzer – stets Mönche des Klosters – ihre Sprünge, Pirouetten und tänzerischen Aktionen haben symbolische Bedeutung, sind Mittel der Meditation und des spirituellen Austausches mit der Gemeinschaft der Gläubigen. Sie dienen der Befreiung im Sinne der Reinigung von den Geistesgiften Hass, Begehrlichkeit, Unwissenheit, Hochmut und Neid, die den inneren Frieden verhindern. Innerer Frieden, eine allgegenwärtige Harmonie und Schönheit dominiert auch in allen anderen Kapiteln des Buches, ob sie nun von der Architektur, der Landschaft, den Menschen oder ihrem Kunsthandwerk berichten. Da sind die eindrucksvollen Klosterburgen, fast alle von dem Einiger und Gründer Bhutans, Shabdrung, Ngawang Namgyel (1594-1651), als Klöster und Verwaltungszentren und fast immer an geomantisch und strategisch herausragender landschaftlicher Position errichtet. Mit diesen einzigartigen Klosterfestungen entwickelte sich der durch Harmonie und Schönheit ausgezeichnete und auf Bhutan beschränkte Baustil, der bis heute das einfache Bauernhaus ebenso prägt wie Hotel- und Verwaltungsbauten in der Hauptstadt Thimpu. Da ist die atemberaubende klimatische und landschaftliche Vielfalt eines kleinen Gebirgslandes, dessen Höhenlage sich von 80 Metern bis zum Gipfel des Kula Kangri mit seinen 7554 Metern erstreckt und dessen Wäldern voller Heilkräuter, Orchideen und Rhododendren stehen. Und da ist die heitere Gelassenheit der Menschen in Bhutan, die Spiritualität und Alltagsleben zu einer untrennbaren Einheit verbunden haben und denen es bis heute gelungen ist, die buddhistische Kultur mit den Errungenschaften der modernen Welt zu verbinden. Schließlich besuchen wir das berühmte Tigernest, ein spektakulär in eine Felswand hineinkomponiertes Kloster hoch über dem Paro-Tal, Zentrum eines heiligen Bezirkes mit weiteren Tempeln, Einsiedeleien und Heiligen Grotten, die nur durch mehr oder weniger ausgesetzte Steige erreichbar sind. Matthieu Ricards Buch über die buddhistische Kultur und den spirituellen Alltag im Königreich Bhutan ist das zur Zeit am meisten zu empfehlende Buch über dieses ungewöhnliche Land, das auch aktuelle Informationen über die Dynastie der Wangchuk und die Erfolge eines bewusst in Bildung, Gesundheitswesen und Ökologie investierenden Landes enthält.

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