The Tale of Genji – A Japanese Classic Illuminated

The Tale of Genji – A Japanese Classic Illuminated

 

Autor/en:        John T. Carpenter, Melissa McCormick

Verlag:           Metropolitan Museum of Art und Yale University Press

Erschienen:    New York, New Haven und London

Seiten:            368

Buchart:         Leinen mit Schutzumschlag

Preis:              GBP 45,00

ISBN:             978-1-58839-665-5

 

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Der Plot könnte locker von Courths-Mahler sein: Ein von der Thronfolge ausgeschlossener Prinz genießt die Privilegien hoher Geburt und verbringt seine Zeit überwiegend mit amourösen Abenteuern. Dies und der damit einhergehende Einblick in die dem gemeinen Volk verschlossene Welt des kaiserlichen Hofes, eingeteilt in 54 Groschenheft-taugliche Kapitel, entspricht so ganz dem Konzept, das Hedwig Courths-Mahler (1867-1950) zur wohl erfolgreichsten deutschen Romanautorin aller Zeiten machte. Doch weit gefehlt: Die Geschichte vom Prinzen Genji wurde zu Beginn des 11. Jahrhunderts von einer Hofdame am japanischen Kaiserhof der Heian-Periode geschrieben und gilt in der Literaturgeschichte als der erste echte Roman. Und sein Erfolg kann sich mit dem der Bücher von Courths-Mahler durchaus messen: Er wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und hat den Status als Bestseller in seinem Ursprungsland ein ganzes Jahrtausend lang verteidigen können. Vor allem aber hat er – und hier wird das Epos wohl nur noch von der Bibel übertroffen – Generationen von Künstlern und Kunsthandwerkern zu immer neuen Kunstwerken angeregt. Inspiriert von dieser geheimnisvollen und exotischen Welt, die doch voller Menschlichkeit ist, die von den wechselhaften Beziehungen zwischen Mann und Frau erzählt, von Romanzen und Schmerz, von Freundschaft und Vertrauen aber auch von Intrige und Macht, von Politik und Religion, haben japanische Künstler alle Arten von Kunstobjekten geschaffen wie Alben, Hängerollen, Kalligraphie, Stellschirme, Lackgefäße, Wandmalerei, Weihrauchbrenner, edle Roben, Spiele, die Sänfte für eine Braut und immer wieder Grafik, Zeichnungen und Holzschnitte bis hin zu zeitgenössischen Mangas.

Es war eine großartige Idee des Metropolitan Museum of Art, diese von einer literarischen Vorlage inspirierte Kunst Japans zu einer Ausstellung zusammenzustellen, die wegen der erzählerischen Bildinhalte und der Präsentation von tausend Jahren stilistischer und technischer Entwicklung japanischer Kunst gleichermaßen gelungen und sehenswert ist. Aus den Beständen des Metropolitan Museum sowie aus Leihgaben weiterer US-amerikanischer Museen und privater Sammler, vor allem aber aus den Schätzen japanischer Tempel und Museen, die sich für die Zeit der Präsentation im MMA von zahlreichen ausgewiesenen „National Treasures“ und „Important Cultural Properties“ getrennt haben, wurde eine Ausstellung komponiert, die in dieser Form einmalig ist und kaum je wiederholbar erscheint (bis zum 16, Juni 2019).

Wenn all diese Schätze wieder in ihre Museen, Depots, Sammlungen und Tempel zurückgekehrt sind, bleibt nur der Katalog, den man schon wegen seiner noblen Gestaltung und Ausstattung auf edlem, schweren Papier und vorzüglichem Druck immer wieder gerne zur Hand nimmt. Und selbstverständlich wird der Leser zunächst in die Entstehungsgeschichte dieses Romans eingeführt, deren oft mysteriöse Einzelheiten bis heute Rätsel aufgeben und um die sich Legenden ranken. Die Geschichte der Prinzen Genji spielt am Kaiserlichen Hof der Heian-Periode (794-1185). Eine namentlich nicht bekannte, hochgestellte Hofdame und Tutorin der jungen Kaiserin begann wohl im Jahre 1001 in Form eines Tagesbuchs mit der Niederschrift des „Genji Monogatari“. Erst die Nachwelt hat ihr den Namen der weiblichen Hauptfigur ihres Epos, Murasaki Shikibu, verliehen, unter dem sie seither als Autorin geführt wird. Das intime Wissen einer Insiderin des geheimnisvollen Kaiserhofes zur mittleren Heian-Periode und die feminine und private Sprache eines von einer Frau und für eine Frau, denn die junge Kaiserin war gewiss die erste Leserin, geschriebene Tagebuch sind die Schlüssel für die tausendjährige Erfolgsgeschichte des Epos. Leserin und Leser werden hier zum Voyeur einer elitären und exotischen Welt.

Schon bald nach Fertigstellung und dem Beginn der Popularität des Genji erscheinen illuminierte Manuskripte. Die frühesten erhaltenen Arbeiten aus dem Anfang des 12. Jahrhundert, zauberhafte Bildrollen mit feiner Kalligraphie auf zart mit Gold- und Silberpuder getöntem Papier, das schemenhaft Landschaften erkennen lässt, setzen Maßstäbe und prägen einen Stil, der bis in die Momoyama-Periode (1573-1615) populär bleibt. Parallel entwickelt sich seit der Kamakura-Periode (1185-1333) ein narrativer Illustrationsstil, der auch für die frühe Edo-Periode bestimmend bleibt. In ausgewogener Buntheit vor angedeuteten Landschaften aber auch auf Goldgrund oder mit der Tuschefeder nur in Schwarz/Weiß werden Szenen aus dem Genji ins Bild gesetzt und häufig dominiert die Protagonistin Murasaki Shikibu das Bildprogramm. Mit langen Haaren und in ausladende, dekorative Roben gekleidet bleibt offen, ob der Künstler die weibliche Hauptperson des Genji oder seine Autorin dargestellt hat. Die Legende, wonach die Autorin als Reinkarnation des Kannon den Genji mit göttlicher Eingebung schrieb, verleiht der Bildsprache ein buddhistisches Flair, das mit dem oft moralisch zweifelhaften Inhalt des Genji nicht immer leicht in Einklang zu bringen  ist. Einen Höhepunkt der erzählerischen Illustration bilden die meist sechsteiligen, oft paarweise konzipierten Stellschirme, die etwa seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ein bevorzugtes Medium für die Bilderzählungen werden. Die Malerschulen der Tosa und später Kano sind hier führend und prägen einen Stil, der bis ins 20. Jahrhundert die traditionelle japanische Malerei bestimmt. Daneben gewinnt seit dem frühen 17. Jahrhundert gedruckte Graphik mehr und mehr an Boden, Ukiyo-e-Künstler nehmen sich des Genji an, Farbholzschnitte parodieren den Stoff und immer neue Manga-Versionen belegen die Aktualität und Beliebtheit des Romans bis in die Gegenwart. Prachtvolle Roben und Noh-Kostüme, Lackarbeiten, Teekeramik und eine kunstvoll mit Szenen aus dem Genji ausgemalte Brautsänfte belegen schließlich, dass die Anregungen aus der Geschichte vom Prinzen Genji auch vor der angewandten Kunst nicht Halt machten. Der allen Objekten gemeinsame literarische Rahmen ließ eines der schönsten Bücher über japanische Kunst entstehen.

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