Kailash – Eine Pilgerreise in das Herz der weißen Wolken

Kailash – Eine Pilgerreise in das Herz der weißen Wolken

 

Autor/en:        Olivier Föllmi, Jean-Marie Hulllot

Verlag:           Knesebeck

Erschienen:    München 2019

Seiten:            260

Buchart:         Hardcover mit Schutzumschlag

Preis:              € 40,00

ISBN:             978-3-95728-215-6

 

Kommentar: Michael Buddeberg

 

Der in Sachsen geborene Ernst Hoffmann, besser bekannt als Lama Anagarika Govinda, hat mit dem Weltbestseller „Der Weg der weißen Wolken“ das vielleicht schönste aller Tibetbücher geschrieben. In den späten vierziger Jahren, kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee in der osttibetischen Provinz Kham, reiste er in den fernen Westen Tibets, durchquerte die weiten Ebenen des Changthang, besuchte das untergegangene Königreich Guge und die Ruinen Tsaparangs mit ihren damals noch intakten Tempeln und umwandelte mit tibetischen Pilgern den Heiligen Berg Kailash. So wie Govinda in seinem Vorwort schrieb, dass noch nie jemand Tibet betreten hat, ohne seinem Zauber anheimzufallen, so wird auch niemand dieses Buch aus der Hand gelegt haben ohne den Wunsch, einmal auf den Spuren Govindas zu wandeln. Ganz in diesem Sinne und mit dem seit der Lektüre von Govindas Buch gehegten Wunsch, als Pilger den Heiligen Berg Kailash zu umwandeln, bestiegen im Herbst 2016 zwei ältere Herren in Xining die Lhasa-Bahn, die sie in weniger als einem Tag in die Hauptstadt der Autonomen Region Tibet tragen sollte. Die beiden Herren waren Olivier Föllmi, seit 40 Jahren der vielleicht bekannteste Fotochronist Tibets, und der Informatiker Jean-Marie Hullot, einer der Väter des iPhone und Gründer einer Stiftung zur Rettung der Schönheit dieser Welt. Was würde sie in Tibet erwarten?

Olivier Föllmi ist von diesem „überfallenen, industrialisierten, entweihten“ Tibet enttäuscht. Es hat, so empfindet er, seine Magie verloren. Die Götter sind verschwunden. Stattdessen begrüßen ihn auf der Fahrt nach Shigaze auf einem riesigen Parkplatz bis oben hin mit chinesischen Touristen vollgepfropfte Busse während die Hunde der sonntäglich gekleideten Hirten sowie die mit Betäubungsmitteln ruhiggestellten und mit Blumenkränzen geschmückten Yaks mit euphorischen Besuchern posieren. Der zentrale Hof des Klosters Tashilhünpo ist voller Selfie-Sticks, die von lärmenden Touristenhorden aus Chinas Ebenen wie drohend hin- und hergeschwenkt werden. Auch Jean-Marie Hullot beklagt den Sieg des Materialismus über die Spiritualität. Die Mönche wurden zum größten Teil aus den Klöstern verjagt, und die wenigen Pilger, die an den einst mythischen Orten eines heute verschwundenen Tibet vorbeikommen, ertrinken in einer Flut vor allem chinesischer Touristen, aus der ein Gewirr von Selfie-Sticks herausragt. All jene Gebäude, die eine jahrtausendealte Kultur beherbergen, sind zu Museen geworden.

Das ist – Originalton der beiden Autoren – die eine Seite des Tibet von heute. Das andere Tibet, fast ist man versucht, zu sagen „Govindas Tibet“, finden die beiden Pilger sobald sie Zentraltibet mit seinen heute überwiegend von Han-Chinesen bevölkerten Städten und den entweihten Tempeln und Klöstern und mit ihnen die überlaufenen touristischen Zentren verlassen und sich auf den Weg nach Westen machen. Und je weiter dieses lärmige und kommerzielle Tibet zurückbleibt, umso mehr fallen sie dem Zauber Tibets anheim, bewundern der Weg der weißen Wolken über die Unendlichkeit tibetischer Landschaften, spüren den Atem der Spiritualität in der unberührten Natur und finden dafür einfühlsame und poetische Worte, die mit dem zuvor Erlebten versöhnen. Begegnungen mit tibetischen Nomaden, ein Bad im fast 5000 Meter hoch gelegenen Heiligen See Manasarowar und schließlich die mehrtägige Kora, die Umwandlung des Kailash, des Heiligen Berges, der für die Buddhisten, Jain und Hindus das Zentrum der Welt ist, Weltenachse und Sitz von Shiva, für unsere westlichen Pilger ein Test für die Grenzen des physisch Machbaren, der nur durch das Beispiel der begleitenden tibetischen Pilger bestanden wird. Auf dem Scheitelpunkt der Kora, dem knapp 5700 Meter hohen Dolma La, fallen sich Olivier und Jean-Marie in die Arme; sie haben ihren Traum Wirklichkeit werden lassen.

Soweit also der knappe 20 Seiten einnehmende Text dieser Pilgerreise. Demgegenüber absolut dominierend sind die ca. einhundert, meist im großen Format und oft doppelseitig wiedergegebenen Fotos von Olivier Föllmi, durchweg großartige Aufnahmen, meisterhafte Portraits, grandiose Landschaften und faszinierende Eindrücke dieser Pilgerreise, die in Lhasa beginnt und mit der Kora um den Kailash endet. Man muss es dem Fotografen nachsehen, wenn er die weniger schönen Seiten der touristenüberlaufenen Sehenswürdigkeiten Tibets nicht abgelichtet hat und sich in Lhasa wesentlich auf Szenen mit betenden Pilgern beschränkt. Allein der Blick vom Jokhang-Tempel über den davor sich erstreckenden und in den letzten Jahrzehnten mehrfach umgestalteten großen Platz lässt die sicherheitstechnisch gewünschte Übersichtlichkeit und die mit gebetsmühlenartigen Lichtinstallationen verschönerte, museale Stadtgestaltung erahnen. Die sich auf dem Weg zum Kailash in ihrer Großartigkeit stets steigernden landschaftlichen Schönheiten, die oft unwirklichen Stimmungen, die durch die untergehende Sonne, ein lokales Hagelunwetter oder einfach durch die Höhenlage und die Nähe zum Himmel so nur in Tibet zu erleben sind, die unendliche Weite des Changthang mit namenlosen Schneebergen am Horizont und all das immer wieder belebt mit Yaks, Ziegen und Schafen und dann und wann garniert mit Gebetsfahnen oder Manisteinen und schließlich die beseligende Mühsal der Umwandlung des Heiligen Berges – da hat sich seit Govinda nicht viel geändert und so sind die bildbegleitenden Zitate von Lama Anagarika Govinda aus dem „Weg der weißen Wolken“ oder von anderen frühen Tibet-Reisenden wie Giuseppe Tucci oder Michel Peissel durchaus passend und poetischer als die in den Anhang verbannten Bildlegenden. Wären da nicht die nüchternen Feststellungen zu den jüngsten Änderungen im Erscheinungsbild Tibets, könnte man dem Buch vorwerfen, es bediene ein Klischee. So aber ist es ein ehrliches und empfehlenswertes Buch, das in weiten Teilen Govindas „Weg der weißen Wolken“  kongenial illustriert.

 

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