Kaiser und Sultan – Nachbarn in Europas Mitte, 1600-1700

Kaiser und Sultan – Nachbarn in Europas Mitte, 1600-1700

 

Autor/en:        Schoole Mostafawy als Hrsg. für das Badische Landesmuseum

Verlag:           Hirmer Verlag

Erschienen:    München 2019

Seiten:            416

Buchart:         Hardcover

Preis:              € 39,90 (Verlagsausgabe), € 29,90 (Museumsausgabe)

ISBN:             978-3-7774-3353-0 (Verlag), 978-3-937345-91-8 (Museum)

 

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Das 17. Jahrhundert kann man getrost als ein Jahrhundert der Kriege bezeichnen. Der Dreißigjährige Krieg verwüstete weite Teile Europas und fast alle Nationen und Staaten hatten irgendwann unter religiösen und dynastischen Auseinandersetzungen und unter Machtkämpfen zu Lande und zur See zu leiden. Der historisch bedeutsamste dieser Konflikte war gewiss die schon seit dem 16. Jahrhundert schwelende Auseinandersetzung zwischen dem habsburgischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich um die Vorherrschaft in Europa oder – anders gesagt – um die Verteidigung des Christentums gegen den Hegemonialanspruch des Islam. Der Kampf um Wien, dessen erneute Belagerung durch die Türken und die dank christlicher Entsatztruppen aus ganz Europa siegreich geschlagene Schlacht am Kahlenberg haben Symbolcharakter, lassen aber fast vergessen, dass es der Balkan war, konkreter Ostmittel- und Südosteuropa, das während des gesamten 17. Jahrhunderts als Transit- und Grenzland zwischen den kriegerischen Parteien in Ost und West die Hauptlast der „Türkengefahr“ zu tragen gehabt hatte.

Die Schlacht am Kahlenberg am 12. September 1683 befreite Wien, und der Sieg in der Schlacht in Slankamen bei Belgrad am 12. August 1691 erlöste dann auch Teile des Balkan, vor allem aber Ungarn und Siebenbürgen, endgültig vom osmanischen Joch und Europa von der Türkengefahr. In beiden Gefechten war es der in die Geschichte als „Türkenlouis“ eingegangene, geniale Feldherr Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, der entscheidend zur Niederlage des osmanischen Heeres beigetragen hatte. Die überstürzt geräumten und mit unvorstellbarem Luxus ausgestatteten Feldlager des Feindes brachten reiche Siegesbeute, aufgezäumte Pferde, Geschütze, Waffen, hunderte von Zelten und deren reiches Inventar. So lag es nahe, zum hundertsten Geburtstag des Badischen Landesmuseum diesen bedeutendsten Sammlungsteil des Museums, die berühmte Karlsruher Türkenbeute zu präsentieren. Noch bis zum 19. April 2020 ist im Karlsruher Schloss die Ausstellung „Kaiser und Sultan“ zu sehen, zu der ein reicher Katalog erschienen ist, der mit über 300 hochkarätigen Exponaten und mehr als 20 Essays die im „Großen Türkenkrieg“ von 1683 bis 1697 gipfelnde Auseinandersetzung zwischen den Habsburgern und der Hohen Pforte politisch, ökonomisch, historisch und kunstgeschichtlich erschöpfend behandelt. Eines der zentralen Themen ist hier nicht das Trennende dieses Konflikts, sondern die in dieser Transit- und Grenzregion nie abreißende, einzigartige Verbindung westlicher und osmanischer Einflüsse, der Austausch und die gegenseitige Beeinflussung. Als Beispiel mag hier Siebenbürgen erwähnt sein, im gesamten 17. Jahrhundert ein Vasallenstaat des Osmanischen Reiches, dessen herausragende Gold- und Silberschmiede gleichwohl nicht nur den Bedarf des Osmanischen Hofes befriedigten sondern in gleicher Weise für die Hofhaltung westlicher Fürsten und Adeliger tätig wurden, während die im Ost-West-Handel erfolgreichen Siebenbürger Kaufleute ihre von den Bilderstürmen der Reformation kahl zurückgelassenen reformierten Kirchen mit türkischen Gebetsteppichen schmückten.

Natürlich beschränken sich die Exponate nicht auf die Karlsruher Türkenbeute – die bereits 1991 durch einen wissenschaftlichen Bestandskatalog erfasst wurde -, sondern bilden mit wichtigen und einzigartigen Objekten anderer Herkunft ein bis heute noch nie geschautes und wohl auch kaum wiederholbares Panorama osmanischer Kultur und osmanischen Kunsthandwerks. Hier sind vor allem die nicht als Kriegsbeute sondern aufgrund der Turkomanie August des Starken durch seinen kaufmännischen Gesandten Johann Georg Spiegel in Konstantinopel erworbenen Objekte der Dresdener „Türckischen Cammer“ zu erwähnen, aber auch Beutestücke aus dem Königsschloss Wawel in Krakau, aus dem Kunsthistorischen  Museum in Wien, dem Historischen und dem Nationalmuseum in Budapest, dem Museum Fünf Kontinente in München, dem Bayerischen Armeemuseum in Ingolstadt, der Schatzkammer der Privatstiftung Esterhazy auf Burg Forchenstein sowie Objekte aus zahlreichen weiteren Häusern und Bibliotheken. So fällt es schwer, aus diesem edlen Sortiment einzelne Objekte hervorzuheben, doch sei dies immerhin versucht: Da ist etwa das prächtige Zweimastzelt aus dem Krakauer Wawel-Königsschloss, höchstwahrscheinlich ein Beutestück von König Johann III Sobieski  von Polen-Litauen vom 12. September 1683, das gewiss zu den schönsten und besterhaltenen Zelten jener Epoche zählt. Der konservatorische und logistische Aufwand, ein solches Objekt durch halb Europa zu schaffen, kann nur bewundert werden. Der dekorative, rote Reitmantel des Türkenlouis, vermutlich aus einem nordafrikanischen, mit vergoldetem Silberdraht dekorierten Seidenbrokat gefertigt, steht für die kaum ermessliche Beute an Textilien, von denen sich nur ein verschwindender Bruchteil bis heute erhalten hat. Das aus vernieteten Eisenringen bestehende und mit einer Tugra von Sultan Mehmed IV gekennzeichnete Panzerhemd soll dem Janitscharenkommandeur Mustafa Aga gehört haben, der dieses 20 Pfund schwere Rüststück auf der Flucht vor dem Türkenlouis auf der Feldstatt vor Wien zurücklassen musste. Prunkvolle Sättel und Schabracken aus Budapest und Karlsruhe, Streitkolben, die von der Waffe zum Herrschaftssymbol mutierten aus Dresden, ein lederner, mit vergoldetem Silberdraht verzierter Faltbecher aus der Beute des Türkenlouis, eine reich ziselierte kupfervergoldete Handpauke der osmanischen Feldmusik aus dem Ingolstädter Armeemuseum und der weltweit einzige Goldhelm eines Meldeläufers des Münchner Museums Fünf Kontinente mögen hier für das breite Spektrum einzigartiger und ausgefallener  Objekte stehen.

Ausstellung und Katalog befassen sich mit einem wichtigen Abschnitt der Geschichte zwischen dem christlichen Europa und dem islamischen Orient. Er liegt Jahrhunderte zurück und dennoch sind die Parallelen zum späten 20. und zum Beginn der 21. Jahrhunderts unübersehbar. Noch immer bestimmen Kriege, Migration, Flucht und Asyl den geographischen Raum, in dem sich Ost und West begegnen

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