Modernisms – Iranian, Turkish, and Indian Highlights from NYU´s Abby Weed Grey Collection

Modernisms – Iranian, Turkish, and Indian Highlights from NYU´s Abby Weed Grey Collection

 

Autor/en:        Lynn Gumpert (Hrsg)

Verlag:           Hirmer Verlag, Grey Art Gallery

Erschienen:    München New York 2019

Seiten:            288

Buchart:         Hardcover

Preis:              € 49,90

ISBN:             978-3-7774-3317-2

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhangs zwischen West und Ost ist die Globalisierung ein weltweites Phänomen, das vor nichts Halt macht und fast alle Lebensbereiche erfasst. Politik und Wirtschaft, Handel und Finanzwesen, Konsum und Tourismus, Kommunikation und Verkehr haben längst alle Grenzen gesprengt und sind international, ja interkontinental aufgestellt. Umso erstaunlicher ist, dass das Interesse für aktuelle Kunst lange Zeit auf Europa und Nordamerika zentriert blieb, dass Sammler, Museen und Kunsthistoriker moderne und zeitgenössische Kunst außerhalb dieses engen traditionellen Rahmens nicht wahrnahmen. Das änderte sich erst am Anfang des 21. Jahrhunderts. In München etwa war es die Ausstellung zum hundertsten Jahrestag der 1910 veranstalteten ersten großen Präsentation muhammedanischer Kunst, die einem staunenden Publikum mit atemberaubenden Videos und Installationen von zeitgenössischen Künstlern aus dem Nahen und Mittleren Osten die Augen öffnete (The Future of Tradition – The Tradition of Future). Auch die vielleicht ambitionierteste, wissenschaftliche Veranstaltung zur islamischen Kunst, das seit 2005 im zweijährigen Turnus stattfindende internationale Hamad-bin-Khalifa Symposium, hat sich erstmalig 2017 mit moderner und zeitgenössischer islamischer Kunst befasst, dann aber gleich Maßstäbe gesetzt und der Globalisierung auch in diesem Bereich Rechnung getragen (Islamic Art – Past, Present, Future).

Vor diesem Hintergrund macht es Staunen und ist kaum bekannt, dass die New York University seit 1975 eine fast 700 Objekte umfassende Sammlung – Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Graphiken – zeitgenössischer iranischer, türkischer und indischer Künstler besitzt, deren Highlights nun in einem im Hirmer Verlag erschienenen Katalog publiziert sind. Das eigentliche Highlight aber ist die Geschichte dieser Sammlung: Abby Weed Grey (1902-1983), geboren in St. Paul in Minnesota, mitten im Mittleren Westen der USA, heiratete nach ihrer akademischen Ausbildung den 20 Jahre älteren Colonel Benjamin Grey und führte fortan  das durch häufige Ortswechsel bestimmte Leben einer Offiziersgattin. Ben Grey hatte über die Jahre geschickt und erfolgreich in Eisenbahnaktien investiert und nach seinem Tod im Jahre 1956 sah sich Abby unverhofft als vermögende Witwe. Auf der Suche, ihrem neuen Leben Sinn und Inhalt zu geben, unternahm sie 1960 mit einer Gruppe von 14 New-Yorkerinnen eine Weltreise, die sie nach Japan, Hongkong, Thailand, Kambodscha, Indien, Nepal, Pakistan, Iran und Israel führte. Das bei dieser Gelegenheit besuchte „Second Tehran Biennial“ geriet zum Finale dieser Sinnsuche und in den folgenden 14 Jahren fand Abby im Reisen und im Sammeln moderner Kunst, dies vor allem im Iran aber auch in der Türkei und in Indien die lange gesuchte Erfüllung ihres Lebens. In kurzer Zeit und mit nie versiegendem Engagement schuf sie die weltweit größten Sammlungen iranischer und türkischer zeitgenössischer Kunst außerhalb dieser Länder und den bedeutendsten Bestand moderner indischer Kunst in den USA. Parallel organisierte sie Ausstellungen moderner amerikanischer Kunst in diesen Ländern und baute mit ihren Tagebüchern, Notizen, Urkunden, Drucksachen, Katalogen ein unschätzbares Archiv zum Thema ihrer Sammlung, zu dem es nichts Vergleichbares gibt.

Der Katalog zeigt aus jedem der genannten Länder Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Druckgraphik von jeweils 25 bis 30 Künstlern zusammen mit deren Kurzbiographien und offenbart eine schon damals lebhafte Kunstszene im Iran, in der Türkei und auf dem Subkontinent, von der man im Westen so gut wie nichts wusste und auch bis heute kaum etwas weiß. Fast alle Werke entstanden in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, einige noch früher, und sehr viele der vorgestellten Künstler sind inzwischen verstorben, was den Katalog über seinen Informationsgehalt hinaus zu einem historischen Dokument macht. Auch die begleitenden Essays beleuchten die historische Bedeutung dieser Sammlung und sind eine Hommage an die Sammlerin Abby Weed Grey, die zu einer Zeit, als sich der Kalte Krieg in einer heißen Phase befand und die durch die zunehmende Entfremdung der USA zum Mittleren Osten gekennzeichnet war, unbeirrt die ganz persönliche und überraschende Begegnung mit einer nicht erwarteten nahöstlichen Kunstszene für mehr als zwei Jahrzehnte zu ihrem Lebensinhalt machte.

Stellvertretend für die vielen hier nicht genannten Künstler sei einer hervorgehoben, der als Bildhauer, Lehrer und Sammler auch im Westen erfolgreich war und für Abby Grey zum Berater und Freund wurde. Der Iraner Parviz Tanavoli, geboren 1937 und nicht nur Bildhauer, sondern auch Maler, Drucker, Keramiker, Weber, Juwelier und nicht zuletzt Sammler, Kenner und Autor für persische Knüpf- und Webkunst lehrte und arbeitete auf Vermittlung von Abby Grey zweieinhalb Jahre am Minneapolis Institute of Art. Die Akzeptanz seines Schaffens in den USA und in Europa zeigt, dass Kunst in Zeiten der Globalisierung zu einer universalen Sprache geworden ist. „Modernisms“ ist hierfür ein erstaunlicher, überraschender aber auch überzeugender Beleg.

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