Seladon im Augenmerk – Jadegleiche Porzellane und ihre Meister in Longquan, VR China

Seladon im Augenmerk – Jadegleiche Porzellane und ihre Meister in Longquan, VR China

 

Autor/en:        Anne Mertens mit Mareile Flitsch

Verlag:           Arnoldsche Art Publishers, Völkerkundemuseum der Universität Zürich

Erschienen:    Stuttgart Zürich 2019

Seiten:            240

Buchart:         Hardcover

Preis:              € 48,00

ISBN:             978-389790-574-0

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Auf den Tag genau lässt sich die Herstellung des ersten europäischen Porzellans datieren. Als der Alchimist und Chemiker Johann Friedrich Böttger und sein Förderer, der Naturwissenschaftler und Gelehrte Walther von Tschirnhaus am 15. Januar 1708 in der Dresdner Festung ihren Brennofen öffneten, konnten sie das erste Stück europäisches Hartporzellan in die Hand nehmen. Der jahrhundertelange Traum, das kostbare „weiße Gold“ Chinas herzustellen, war in Erfüllung gegangen. In China selbst war das ganz anders gewesen. Einen chinesischen Begriff für das sich vom Steinzeug durch seine weiße Farbe und den durchscheinenden Scherben unterscheidende Porzellan gab und gibt es dort nicht und so verlief die Entwicklung zum Porzellan eher unbemerkt und ist weder zeitlich noch lokal festzumachen, zumal nach chinesischem Verständnis nicht die technischen Eigenschaften sondern ästhetische Kriterien wie Farbe, Klang und haptische Beschaffenheit im Vordergrund stehen.

Und so ist das von Sammlern und Experten so hoch geschätzte Seladon aus Lomgquan in der chinesischen Provinz Zhejiang, das seinen technischen und ästhetischen Höhepunkt mit schimmernden, jadegleichen und blaugrünen Glasuren zur Zeit der südlichen Song-Dynastie (1127-1279) erreichte, im Sinne der strengen europäischen Begriffsbestimmung gar kein Porzellan. Seladon ist eine keramische Kunstform sui generis, eine Wissenschaft und das Produkt eines hochspezialisierten, äußerst komplexen Handwerks, das nach seinem Niedergang in den auf die Song-Zeit folgenden Dynastien der Yuan und Ming für Jahrhunderte in Vergessenheit geriet und erst im 20. Jahrhundert wiederbelebt wurde. Diesem Revival und einer Gruppe von chinesischen Keramikern und Keramikerinnen, allesamt mit Titeln wie „Grossmeister der Handwerkskunst Chinas“ oder ähnlich bedacht, ist eine Ausstellung (bis zum 22.11.2020) des Völkerkundemuseums der Universität Zürich und ihr Katalog gewidmet. Von dem Literaten und Vater der chinesischen Porzellanarchäologie Chen Wanli (1892-1968) wiederentdeckt, erfuhr die Seladonproduktion in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine wesentliche Förderung durch den damaligen Ministerpräsidenten Zhou Enlai. Industrielle Produktion sowie die sozial-ökonomischen und politischen Transformationen der jungen Volksrepublik prägten zunächst die Entwicklung, bis um 1990 mit einer Welle der Privatisierung eine Rückbesinnung auf Qualität und handwerkliche Fertigung begann. Mit der Aufnahme von Seladon-Brennmethoden und historischen Brennöfen in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes am Anfang des 21. Jahrhunderts ergab sich zusätzlich eine Art Heritagisierung und damit eine bewusste Anknüpfung an das Seladon-Handwerk im Longquan der Südlichen Song-Dynastie. In der Ausstellung sind knapp fünf Dutzend Seladone zu sehen, vom einfachen Koppchen bis zum komplizierten Weihrauchbrenner, Vasen, Schalen und Dosen, oft mit schlichtem Dekor oder dekorativem Krakelee, mit spielerischen Applikationen und allesamt mit perfekter, jadegleicher Glasur in den schönsten Seladon-Farben von Zartblau über zahlreiche Grünvarianten bis zum edlen Essigpflaumengrün – perfekte und kostbare Luxuswaren, ganz so, wie es die Gelehrten der Song vor 800 Jahren liebten. Die siebzehn Keramiker und Keramikerinnen, die alle einen individuellen Stil pflegen, sehen sich ganz in der Tradition der Seladone aus der großen Zeit der Südlichen Song-Dynastie, die, auch wenn sie als unerreichbar gelten, als Referenz dienen.

Die Essays im begleitenden Katalog platzieren das Seladon in den historischen Kontext, verorten es in einer ehemals entlegenen, gründominierten südchinesischen Berglandschaft, erzählen von der schrittweisen Entwicklung dieser Handwerkstechnik über die Dynastien hinweg bis zur Blütezeit in der späten Südlichen Song-Dynastie und vom allmählichen Verfall durch die in der Yuan-Dynastie aufkommende Massenfertigung und das endgültige Aus durch zunächst kaiserliches und schließlich für den Export bestimmtes Porzellan mit Kobaltdekor aus Jingdezhen während der der Ming-Dynastie. Vor allem aber, und das ist ganz besonders hervorzuheben, denn eine vergleichbare Darstellung in deutscher Sprache hat es bisher nicht gegeben, widmet sich der zentrale Beitrag des Kataloges der Technologie der Seladonherstellung. Auf fast 60 Seiten beschreibt die Sinologin und Seladonexpertin Anette Mertens von den Varianten der verwendeten Rohstoffe für die Keramikmasse und die Glasur über das Aufbereiten, die Formgebung und Dekortechniken bis zum Brennen in den gewaltigen, sich an die Berghänge Longquans anschmiegenden und mit Holz befeuerten Drachenöfen einen hochkomplexen Prozess, bei dem jede einzelne Phase und deren meisterhafte Beherrschung bestimmenden Einfluss auf das fertige Produkt hat. Es ist eine Technologie, die in frühen Jahrhunderten entwickelt, gereift und von Generation zu Generation mündlich tradiert wurde. Mit dem Niedergang des Seladon ist dieses Wissen weitgehend untergegangen und, beginnend im späten 19. Jahrhundert bis heute aufgrund archäologischer Funde und der wissenschaftlichen Untersuchung von Scherben und Brandspuren mühsam und vorwiegend durch chinesische Wissenschaftler rekonstruiert worden. Es ist mit der kaum überschaubaren Vielfalt der chinesischen Begriffe – die allerdings in einem Glossar erläutert werden – und den vielen chemischen und physikalischen Parametern keine leichte Lektüre; sie schafft aber das Verständnis und die Hochachtung für ein keramisches Produkt und sein Handwerk, das als einziges seiner Art von der UNESCO in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit eingetragen wurde.

 

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