Seeking Transparency – Rock Crystals Across the Medieval Mediterranean

Seeking Transparency – Rock Crystals Across the Medieval Mediterranean

Autor/en:        Cynthia Hahn und Avinoam Shalem (Hrsg)

Verlag:           Gebr. Mann Verlag

Erschienen:    Berlin 2020

Seiten:            334

Buchart:         Hardcover

Preis:              € 49,00

ISBN:            978-3-7861-2843-4

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Seit Paul Kahle 1936 in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft einen auf dem Bericht des arabischen Autors al-Maqrizi (1364-1442) fußenden Artikel über „Die Schätze der Fatimiden“ publizierte, ist dieser Schatz legendär. Die Fatimiden kontrollierten aus der von ihnen gegründeten Hauptstadt Cairo im 11. Jahrhundert den Maghreb, Sizilien und Teile des islamischen Spanien, Mekka und Medina, den Jemen und einen Teil Palästinas und Syriens. Das Reich der Fatimiden befand sich auf dem Höhepunkt  seiner Macht; Handel, Kultur und Wissenschaft erlebten eine Blüte, der Hof schwelgte in Luxus und Reichtum und hatte in seinen Palästen unermessliche Schätze versammelt. Doch mit dem Vordringen der Seldschuken und der Kreuzfahrer, vor allem aber durch eine Dürreperiode mit nachfolgendem Staatsbankrott fand die Dynastie in der zweiten Hälfte des 11. Jh. ein jähes Ende. Kalif Al-Mustansir war gezwungen, seine Schatzkammern zu öffnen, und es ist bis heute nicht klar, ob der Schatz mit der Plünderung durch nicht bezahlte Soldaten oder durch eine Art Auktion zu Schleuderpreisen in alle Winde zerstreut wurde. Sicher ist nur, dass von den Palästen der Fatimiden bis auf archäologische Fundstücke nichts geblieben ist und dass fatimidische Kunstschätze sich nur in geringer Zahl fast ausschließlich in westlichen Sammlungen und Kirchenschätzen erhalten haben.

Es sind vor allem Objekte aus Bergkristall, Henkelkannen für Wein oder Wasser, Teller, Schalen und Parfum-Behälter, aber auch Tier- und Schachfiguren und vor allem Reliquienbehälter, oft nach ihrer Ankunft im Westen kunstvoll gefasst in Monturen aus Silber und Vermeil, die traditionell dem legendären Schatz und damit fatimidischer Herkunft zugeschrieben werden. Reliefs, Tierfiguren und Inschriften sowie Wandstärken von nur wenigen Millimetern beweisen ein Maß handwerklicher Fertigkeit, das nicht nur im Mittelalter die Eliten im Orient und Okzident fasziniert hat, sondern noch heute Liebhaber und Experten zum Staunen bringt und Fragen nach den Techniken und den Werkzeugen aufwirft. Die Kunst der Steinschneider aus fatimidischer Zeit wurde nie wieder erreicht und die Gefäße aus diesem schwer zu bearbeitenden Material gehören zu den seltensten und wertvollsten Kunstobjekten der gesamten islamischen Kunst. Diesem Korpus von nicht mehr als einigen Dutzend Objekten ist ein Sammelband mit fast 20 Essays gewidmet, in welchen sich Autoren aus einem weiten Bereich wissenschaftlicher Disziplinen mit dem Material Bergkristall, seiner Herkunft und dem Handel  im Mittelalter, der Datierung und dem Gebrauchszweck der Objekte, der Ikonographie und dem Symbolismus ihres Dekors und damit der unglaublichen Wertschätzung dieses Minerals befassen, die bis ins 17. Jahrhundert nicht selten sogar die von Gold übertraf. Heute von Geologen als Quarz und damit als eines der häufigsten Mineralien, auch in seinem klaren Vorkommen als Bergkristall, fast als wertlos angesehen, war dieses Material im Mittelalter wegen seiner mit Wasser oder Eis vergleichbaren Transparenz – erst im 15. Jahrhundert gelang es in Venedig klares Glas herzustellen – mit einem ganzen Bündel mythischer Bedeutungen verbunden, mit magischen und heilenden Kräften aufgeladen und als irdische Repräsentation des reinen Lichts als ein göttliches Geschenk himmlischer Herkunft angesehen.

„Seeking Transparency“ ist der Titel der Publikation der Beiträge anlässlich der gleichnamigen internationalen Konferenz, die im Mai 2017 am Kunsthistorischen Institut der Max Planck Gesellschaft in Florenz stattgefunden hat. Das Buch ist Jens Kröger gewidmet, der sich unter anderem immer wieder mit den transparenten Materialien Glas und vor allem Bergkristall befasst und dazu publiziert hat und der in seinem einführenden Essay den Stand der Forschung zu diesem Thema und die wichtigsten Objekte vorstellt. Sein Beitrag ist der perfekte Einstieg in ein Kaleidoskop wissenschaftlicher Beiträge, die allesamt versuchen mehr Transparenz in ein geheimnisvolles und wegen der nur in geringer Zahl erhaltenen Objekte bisher eher stiefmütterlich behandeltes Gebiet islamischer Kunst zu bringen. Es ist ein interdisziplinäres Feuerwerk, in dem naturwissenschaftliche wie geisteswissenschaftliche Themen gleichermaßen zu Wort kommen und Geographie, Archäologie und Soziologie aber auch Philosophie, Religion und Literatur zu einem neuen Verständnis des mittelalterlichen Hype um das Bergkristall beitragen. Es ist hier nicht der Ort, auf die einzelnen Beiträge einzugehen, aber es lohnt sich, den Weg von den möglichen Fundstätten in der Bergen Madagaskars über den Handelsplatz Dembeni auf den Komoren bis  in die Werkstätten der Steinschneider der Abbasiden und Fatimiden, von dort in die Paläste der Kalifen und schließlich in europäische Kirchenschätze, Klöster und Schatzkammern zu verfolgen, ein wenig bei der Mineralogie und Gemmologie zu verweilen, sich mit den Funktionen der Objekte oder auch nur ihrer Fragmente, etwa als Reliqienbehälter, zu befassen, mit der Technik des Reliefschnitts und den vielen kunsthistorischen Fragen nach Vorläufern, Entwicklungen, Stilen und Datierung. Dank und Kompliment an Cynthia Hahn (City University of New York) und Avinoam Shalem (Columbia University in New York), die die Konferenz organisiert und das schöne Buch herausgegeben haben.

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