Microstructures of global trade – Porcelain acquisitions through private networks for August the Strong

Microstructures of global trade – Porcelain acquisitions through private networks for August the Strong

 

Autor/en:       Ruth Sonja Simonis

Verlag:           Verlag arthistoricum.net; Staatl. Kunstsammlungen Dresden

Erschienen:    Heidelberg und Dresden 2020

Seiten:           304

Buchart:         Broschur

Preis:             € 42,90

ISBN:             978-3-947449-64-4

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Unter den Raritäten und Kuriositäten aus Natur und Handwerkskunst, die seit dem späten Mittelalter die Kunst- und Wunderkammern europäischer Fürsten zierten, mag sich auch so manches Stück chinesischen Porzellans befunden haben, das noch auf dem Landweg, auf der legendären Seidenstrasse, nach Europa gelangt war. Porzellan aus dem sagenhaften Cathay war in jener Zeit ein geheimnisvolles Exoticum, dessen stoffliche Zusammensetzung und dessen Herstellungsprozess unbekannt waren. Mit der Entdeckung des Seeweges um das Kap der guten Hoffnung nach Indien und weiter nach Ostasien um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert wurde das Geheimnis um das wundersame Material zwar noch nicht gelöst, jedoch gelangten Teller, Schalen und Trinkgefäße in immer größeren Stückzahlen nach Europa und wurden gar Teil der europäischen Kultur. Bezeichnend ist hierfür, dass die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance als ein bewährtes Medium fürstlicher Selbstdarstellung ihre Fortsetzung in so genannten Porzellankabinetten fanden. Ausgehend von diesen mit Porzellan ausgestatteten Prunkräumen der Schlösser und Paläste des Hauses Oranien – hier war Amalia von Solms, Prinzessin von Oranien, die erste, die um 1640 ein chinoises Raumkonzept verwirklichte – verbreitete sich die Mode der Porzellankabinette rasch über ganz Europa.

Dresden machte da keine Ausnahme. Wohl schon um 1590 erreichten erste chinesische Porzellane als Geschenk des Ferdinand Medici, Herzog von Toscana, den sächsischen Hof und waren  als Kunstkammerobjekte hoch geschätzt. Doch erst unter August dem Starken (1670-1733), Kurfürst und Herzog von Sachen und König von Polen, gewann Porzellan eine zuvor nicht bekannte Bedeutung. August der Starke, ein absolutistischer Fürst in Reinkultur, macht- und repräsentationsbewusst, wusste um die Bedeutung des ostasiatischen Luxusprodukts als Symbol für Reichtum, Status und Prestige, er kannte die Porzellankabinette der Oranier und des Schlosses Charlottenburg und begann spätestens Anfang des 18. Jahrhunderts mit dem Erwerb chinesischer und japanischer Porzellane. Die glücklichen Umstände, in einer mit den geeigneten Rohstoffen ausgestatteten und mit dem Bergbau vertrauten Region zu regieren und mit der Verpflichtung eines genialen Duos, bestehend aus dem Universalgelehrten Walther von Tschirnhaus und dem zur Goldherstellung zwangsverpflichteten Alchimisten und Chemiker Friedrich Böttger, bescherten August dem Starken im Jahre 1709 das Monopol, als erster Souverän Europas Porzellan herstellen zu können. Dies war die Ausgangsposition, die August den Starken auf Porzellan fixierte und die im frühen 18. Jahrhundert nicht nur die erste europäische Porzellanmanufaktur, sondern auch die weltweit bedeutendste Sammlung ostasiatischen Porzellans entstehen ließ.

Ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstütztes und im Zusammenhang mit der 2018 in Dresden von der Porzellansammlung (SKD) veranstalteten Konferenz „Porcelain Circling the Globe“ vorgestelltes und nun als Buch vorliegendes Forschungsprojekt untersucht den für August des Starken Sammlungskonzept wohl entscheidenden Zeitraum von 1716 bis 1718 als er unter Einschaltung des Diplomaten und Agenten Peter Robert Taparelli, Fürst von Lagnasco (1659-1735) beginnt, bei Händlern in Amsterdam große Posten Porzellan aus Ostasien zu kaufen. Die für dieses Projekt erstmals ausgewerteten Palastinventare im Sächsischen Staatsarchiv, Briefe, Rechnungen, Beschreibungen und Transportdokumente gewähren einen tiefen Einblick in die Handelsstrukturen des frühen 18. Jahrhunderts, in Mikrostrukturen eines globalen Handels mit ostasiatischem Porzellan. Man erfährt über  professionelle Asiatica-Händler in Den Haag und Amsterdam, über die Probleme des mehr als vierwöchigen Transports der zerbrechlichen Güter per Schiff oder über Land, über die Schwierigkeiten der notwendigen finanziellen Transaktionen und dass damals niemand so recht zwischen der Herkunft aus China oder Japan zu unterscheiden wusste.

1715 erwarb August der Starke das von dem Architekten Matthias Daniel Pöppelmann für Jakob Heinrich Graf von Fleming am jenseitigen Ufer der Elbe erbaute „Holländische Palais“, das seit 1732 bis heute den Namen „Japanisches Palais“ trägt. Es sollte als „Porzellanschloss“ die Idee des Porzellankabinetts in einer Augusteischen Dimension verwirklichen und im Vergleich mit den besten ostasiatischen Stücken die Produkte der Meissener Manufaktur als in jeder Hinsicht überlegen darstellen. Die von Fürst Lagnasco in den Niederlanden erworbenen Konvolute – für seinen fürstlichen Auftraggeber mussten es stets die schönsten, seltensten und größten verfügbaren Stücke sein – hatten also eine Doppelfunktion: Vorbild und Muster für die Optimierung der eigenen Produktion und zugleich – in der beabsichtigten Präsentatopm – Vergleichsstücke, um deren Überlegenheit in Qualität, Design und Dekor zu demonstrieren. Aus den von August dem Starken mit Hilfe des Fürsten Lagnasco in den Jahren 1716 bis 1718 erworbenen ersten Konvoluten waren schließlich mehr als 25.000 Stücke chinesischen und japanischen Porzellans geworden, denen weit über 30.000 Porzellane aus Meissen gegenübergestellt werden sollten – ein Projekt, das niemals zu einem Abschluss gebracht wurde.

Die transkribierten und im Buch abgedruckten Originaldokumente decken gleichsam wie ein Spotlight nur eine Zeit von wenigen Jahren ab. Ihre Auswertung und Kommentierung durch Ruth Simonis wirft ein helles Licht auf einen Zeitraum der frühen Neuzeit, in dem Porzellan von einem geheimnisvollen Kuriosum in fürstlichen Kunst- und Wunderkammern zum europäischen Kulturgut wird. August der Starke hatte daran wesentlichen Anteil.

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