Labrang – Die Residenz des Lehrers

Autor/en: Karl Lang (Fotografie)
Verlag: Edition Panorama
Erschienen: Mannheim 2008
Seiten: 160
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 48.–
ISBN: 978-3-89823-402-3
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2009

Besprechung:
Die geographische Lage ist in der Tat ideal. Das Tal des kleinen, mäandernden Flüsschens Sang Chu (chinesisch Daxia He) liegt genau dort, wo sich China, Tibet, die Mongolei und Turkestan trafen, ein Kreuzungspunkt von Handelskarawanen und Pilgerzügen zwischen Südchina und Zentralasien, der Ausgangspunkt der legendären Seidenstraße. So muss man sich wirklich fragen, warum das Kloster Labrang erst im Jahre 1709 gegründet wurde und nicht, wie die überwiegende Mehrzahl der großen tibetischen Klöster schon Jahrhunderte zuvor. Doch tatsächlich war 1709 die Seidenstrasse zugunsten des schnelleren und sichereren Seeweges längst aufgelassen und das Entstehen einer großen Klosterstadt in dieser Region und dieser Zeit ist umso mehr ein Rätsel. Die Lösung liegt gewiss in der Person des Gründers. Dieser, Ngawang Tsöndrün (1648-1722), tibetischer Mönch, stammt aus der Region, studierte in Lhasa, lebte und lehrte lange Zeit in den großen Gelugpa-Klöstern Zentral-Tibets, z.B. in Drepung bei Lhasa und war berühmt für seine große Weisheit. Er muß wohl auch über weit reichende Verbindungen und vermögende Gönner verfügt haben, denn das Land für sein Kloster wurde ihm von einem mongolischen Prinzen zur Verfügung gestellt. Labrang, tibetisch Tashi Chil, „Wohnsitz des Lamas, wo sich das Glück vervielfältigt“, wuchs rasch zu einem weit über die lokalen Grenzen hinaus bekannten Studienzentrum, wo die klassischen tibetischen Wissenschaften Medizin, Philosophie ebenso gepflegt wurden wie tantrische Spiritualität, Meditation und Astrologie. Zu seiner großen Zeit im 18. und 19. Jahrhundert lebten in der ausgedehnten Klosterstadt mit sechs großen Lakhangs (Versammlungshallen), weiteren 48 größeren und kleineren Tempeln, 30 Lama-Residenzen, 84 Buddha-Kapellen und sonstigen Heiligtümern, Druckerei, Höfen für Disputationen, ungezählten Stupas und mit Gebetsmühlen gesäumten Pilgerwegen mehr als 4000 Mönche. Was nach den schweren Zeiten des 20. Jahrhunderts, vor allem nach den Zerstörungen der Kulturrevolution geblieben oder wieder entstanden ist, zeigt der prachtvolle Fotoband der Edition Panorama. Auf weit über 100 Farbtafeln des Duisburger Fotografen Karl Lang (Träger des World Press Photo Award für seine Photo-Serie „Bridges“), wird nicht nur die landschaftliche Situation und die Umgebung von Labrang gezeigt, sondern auch das Leben der Mönche und Pilger, architektonische Details, Portraits und Szenen aus dem jährlich stattfindenden großen Klosterfest, zu dem sich tausende von Pilgern versammeln. Die feierliche Enthüllung des riesigen, in Applikationstechnik gearbeiteten Thangka, das Butterfest mit der Präsentation von Skulpturen und Dioramen aus gefärbter Yakbutter und die traditionellen Cham-Tänze sind Höhepunkte der viele Tage andauernden Festlichkeiten. Großartig und eindrucksvoll sind vor allem die sich über zwei Seiten des großformatigen Quer-Folio-Bandes erstreckenden Panorama-Aufnahmen, die sich jede mit ihrem Detailreichtum studieren lassen wie ein ganzes Album mit Einzelaufnahmen. Dabei hatte Karl Lang bei einem seiner Besuche von Labrang das seltene „Glück“ eines Wintereinbruchs im Mai und so erleben wir die wieder auferstandene Klosterstadt mit ihren heute immerhin schon wieder zweitausend Mönchen im winterlichen Weiß und mit tiefem Schnee auf den goldenen Dächern. Weniger als 20% der alten Substanz waren nach dem Sturm der Revolution erhalten. Zerstört waren viele Tempel, der größte Teil der Mönchsquartiere, und auch die eindrucksvolle Stupa, der große, vielstöckige, mandalaförmige Gungthang-Chörten, ein Wahrzeichen von Labrang war ein Opfer der sinnlosen Zerstörungswut geworden. Wenn auch Labrang seine frühere Größe nicht wieder erreicht hat, so ist doch von den Verwüstungen heute nichts mehr zu sehen und selbst der Gungthang-Chörten wurde in den neunziger Jahren mit den großzügigen Spenden eines in den USA lebenden Auslands-Chinesen originalgetreu wieder aufgebaut. Auch die Tempel, Fakultätsgebäude und die große Versammlungshalle mit Platz für tausende von Mönchen und Gläubigen sind im originalen tibetischen Stil wiedererrichtet, eine seltene Besonderheit in dieser Region, in der sich auch für tibetisch-buddhistische Bauten der chinesische Baustil schon sehr früh allgemein durchgesetzt hat, wie etwa in dem nur eine Tagesreise entfernten Kloster Kumbum zu sehen ist. Labrang ist, ebenso wie die nahe gelegene Kleinstadt Linxia, Zentrum der muslimischen Hui, ein Beispiel für die Entfaltungsmöglichkeiten der Minderheiten im heutigen China. Das heutige Labrang ist zugleich Ausdruck der Bedeutung dieses regionalen Zentrums, die es über die schwierigen Zeitläufte hat retten können. Selbst der heute über die Klosterstadt herrschende Abt, die 1946 geborene sechste Wiedergeburt des Gründers, ist ein hoher politischer Würdenträger in lokalen aber auch überregionalen Regierungsgremien. So bleibt zu hoffen, dass sich auch in der angrenzenden Autonomen Region Tibet allmählich eine ähnliche Toleranz durchsetzt. Das einzige, was dem wunderbaren Bildband über Labrang fehlt, ist ein guter Textbeitrag und erklärende Bildlegenden – doch das gehört zur Editionsphilosophie der Edition Panorama, die ganz auf die Sprache der Bilder setzt.

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