Tudor Textiles

Tudor Textiles

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Autor/en:        Eleri Lynn

Verlag:           Yale University Press

Erschienen:    New Haven und London 2020

Seiten:            XVI, 192

Buchart:         Hardcover mit Schutzumschlag

Preis:              GBP 35,00

ISBN:             978-0-300-2442-0

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Heinrich VIII (1491-1547), König von England aus dem Geschlecht der Tudor, gilt Vielen als der Prototyp eines Renaissance-Fürsten. Sieht man mal von den sechs gescheiterten königlichen Ehen und ihren Tragödien ab, hatte er hierfür alle Qualitäten; er war von eindrucksvoller Statur, gebildet, musikalisch, beherrschte mehrere Sprachen, war im Turniersport ein Draufgänger, prachtliebend, machtbewußt und mit der Lossagung von Rom und dem Papst und der Gründung der anglikanischen Kirche richtungsweisend für die weitere Geschichte seines Landes. Mit Heinrich dem VIII erhielt der englische Patriotismus seine Prägung stolzer, hochmütiger Unabhängigkeit; der Keim zum Brexit im 21. Jahrhundert wurde schon vor 500 Jahren gelegt.

Das 1547 nach dem Tod Heinrichs VIII erstellte Inventar seiner Schlösser und Paläste enthält fast 18.000 Gegenstände und ist ein eindrucksvoller Beleg für den Reichtum und die Bedeutung von Textilien am Hofe der Tudor. Heinrichs Favoriten waren ohne Zweifel die repräsentativen und kostbaren Tapisserien, etwa die der Geschichte Abrahams gewidmete Serie aus der Manufaktur Pannemaker in Brüssel, die noch heute an ihrem ursprünglichen Bestimmungsort, der über 300 Quadratmeter großen Halle im Hampton Court Palace, besichtigt werden kann. Darüber hinaus kann Heinrich VIII auch als einer der Stammväter der Teppichsammler angesehen werden, denn das Inventar enthält hunderte von orientalischen Knüpfteppichen, überwiegend wohl aus der Türkei. Auch wenn sich mangels ausreichender Beschreibung keine konkreten Teppiche identifizieren lassen, so zeigen Gemälde von Heinrich und seiner Familie diese fast immer vor oder auf türkischen Teppichen mit dem bekannten Holbein-Muster in all seinen Varianten oder den aus Ushak stammenden Medaillon- und Sternenteppichen.

Eleri Lynn, Kuratorin der „Royal Ceremonial Dress Collection“ der „Historic Royal Palaces“ hat mit ihrer Publikation über die Textilien der Tudor ein Thema vertieft, dem bisher kaum Beachtung geschenkt wurde. Gut 10.000 Textilien befinden sich in ihrer Obhut und viele davon stammen aus dem 16. Jahrhundert. Die eminent wichtige Rolle, die Textilien in der höchsten englischen Gesellschaft jener Zeit, vor allem am Hofe der Tudor gespielt haben, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Textilien, also Stoffe für repräsentative Gewänder, Wandbehänge, Teppiche und andere Ausstattungen, aber auch Zelte, Tafeltücher und Servietten waren im 16. Jahrhundert für breite Kreise unerschwinglich und galten ob ihrer Kostbarkeit weit mehr als jede andere Kunstform als Symbole für Reichtum, Prestige und Macht. Das Jahresgehalt von 30 englischen Pfund, das Hans Holbein d.J. als Hofmaler Heinrichs des VIII erhielt, gegenüber den 1.500 englischen Pfund, die Heinrich für einen Satz Tapisserien ausgeben musste, sprechen hier eine deutlich Sprache.

In Eleri Lynns Buch geht es weniger um textile Details wie Material und Technik, sondern um die Kultur- und Sozialgeschichte zur Zeit der Tudorherrschaft (1485-1603) von Heinrich VII bis Elizabeth, der Tochter Heinrichs VIII mit Anna Boleyn, dargestellt in Bildern und Geschichten rund um die Luxustextilien. So wurde etwa ein Treffen der Könige von England und Frankreich, Heinrich VIII und Franz I, am 26. Mai 1520 an einem Ort in der Nähe von Calais nach dem Aufwand den die beiden, jeweils mehrere tausend Personen umfassenden Delegationen mit ihren Zeltlagern und goldbestickten Kostümen betrieben als das „The Field of Cloth of Gold“ bezeichnet. Das politische Ergebnis dieses Treffens war gleich Null doch Gemälde des Königs im goldenen Gewand und ein Aquarell der mit goldenen Ornamenten verzierten und von symbolischen Figuren bekrönten Zelte in der British Library dokumentieren eindrucksvoll eines der repräsentativsten und extravagantesten Herrschertreffen der Frühen Neuzeit. So sind der Text und die verschwenderische Bildausstattung des Bandes ein Kaleidoskop der Elite-Textilien des Tudor Zeitalters, beginnend mit den der Repräsentation und Machtentfaltung dienenden Tapisserien und Teppichen an ihrem Anfang bis zu den zarten, meist gestickten „ladies textiles“ des Elisabethanischen Zeitalters. Ein Buch, dessen Einblick in die reiche und stürmische Geschichte der Tudors mehr hält als der nüchterne Titel verspricht.

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