Der Schatz der Marienkirche zu Danzig – Liturgische Gewänder und textile Objekte aus dem späten Mittelalter

Der Schatz der Marienkirche zu Danzig – Liturgische Gewänder und textile Objekte aus dem späten Mittelalter

 

Autor/en:        Birgitt Borkopp-Restle

Verlag:           Didymos-Verlag

Erschienen:    Affalterbach 2019

Seiten:            392

Buchart:         Hardcover

Preis:              € 48,00

ISBN:             978-3-939020-71-4

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Der Paramentenschatz der Marienkirche zu Danzig ist nach Umfang und Qualität einer der bedeutendsten Bestände, die sich aus dem Mittelalter erhalten haben. Fast dreißig Chormäntel, fünf Dutzend Kaseln, zahlreiche Dalmatiken, Stolen und Manipel, ferner Antependien, Altardecken, Corporale-Kästchen, Hostiendosen und allerlei weiteres Altarzubehör, formen einen Schatz aus kostbaren, oft mit Gold- und Silberfäden gewebten und bestickten Stoffen aus aller Herren Länder, ein Kaleidoskop früher Muster von realen und phantastischen Tieren bis zu goldglänzenden Granatäpfeln, von einfacher Leinen- bis zu fast vollplastischer Figurenstickerei für die Borten, Stäbe, Kaselkreuze und Pluvialeschilder. Der von Walter Mannowsky 1931 in vier Bänden – 1939 erschien noch ein Ergänzungsband – herausgegebene Bestandskatalog, obwohl nur in schwarz-weiß illustriert, ist eine antiquarisch kaum noch aufzufindende Kostbarkeit und listet mit fast vierhundert Objekten aus dem 14. und 15. Jahrhundert einen Bestand auf, wie er nur in einer reichen, selbstbewussten, von vermögenden Personen und Institutionen unterstützten Kirchengemeinde entstehen, gebraucht und über Jahrhunderte bewahrt werden konnte.

Danzig als bedeutende Hansestadt hatte über ihre Kaufmannschaft, vor allem aber über die Fernkaufleute, Handelsbeziehungen in die gesamte damals bekannte Welt. Das Netz der in der  vornehmen Georgenbrüderschaft verbündeten Fernkaufleute reichte von Novgorod bis Brügge und von Riga bis Venedig. Ihnen vor allem waren die Importe wertvoller Textilien aus den italienischen Webereien, aus dem Orient und sogar dem fernen Zentralasien zu verdanken; sie hatten auch Zugang zu den leistungsfähigsten Zentren der Stickerei. So gelangten spätestens seit dem frühen 14. Jahrhundert die kostbarsten Stoffe in die Stadt und als Geschenke reicher Bürger in die kirchlichen Werkstätten. Es ist eine Besonderheit dieser Danziger Paramente, dass es sich überwiegend um eine Erstverwendung der als Webbahnen importierten Stoffe handelt und nicht, wie sonst häufig bei den in Kirchenschätzen erhaltenen liturgischen  Gewändern um eine Wiederverwendung der von noblen Gönnern der Kirche gespendeten Garderobe. Bemerkenswert ist ferner, dass die Textilien im reformatorischen Bildersturm des frühen 16. Jahrhunderts weitgehend unangetastet blieben. Erst das 19. Jahrhundert, das erwachende Interesse für alte Textilien und die Entstehung der Kunstgewerbemuseen reduzierten den Bestand und ließen gar das eine oder andere Parament als Fragment zurück.

Den folgenschwersten Eingriff in diesen einzigartigen Kirchenschatz brachte der Zweite Weltkrieg. 1944 fand die über 600-jährige Geschichte der Paramente an ihrem angestammten Ort mit dem Versuch, diese in einem bayerischen Bergwerk vor Bomben und der heranrückenden Sowjetarmee zu retten, ein jähes Ende. Nur ein Teil erreichte seinen Bestimmungsort, ein anderer kam nicht weiter als bis Thüringen. Dieser in der sowjetischen Besatzungszone verbliebene Teil wurde 1949 beschlagnahmt und 1961 von der Regierung der DDR an die Volksrepublik Polen übergeben; er befindet sich heute im Nationalmuseum in Danzig. Die auf verschiedenen Wegen und mit viel kirchlicher Eigeninitiative in die Bundesrepublik gelangten Teile des Schatzes wurden nach und nach, mit Ausnahme von drei Kaseln, die das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg besitzt, nach Lübeck verbracht und werden heute im dortigen St.Annen-Museum aufbewahrt und auch ausgestellt.

Birgitt Borkopp-Restle, Inhaberin der Werner und Margaret Abegg-Professur und Direktorin der Abteilung für die Geschichte der textilen Künste am Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern, hat mit dem Band über den nach Deutschland gelangten Teil des Schatzes der Marienkirche zu Danzig ein herausragend wichtiges und darüber hinaus durch die Qualität der Objekte, ihre wissenschaftliche Beschreibung und den durchweg in Farbe und mit vielen Detailabbildungen wiedergegebenen Paramenten auch ein hinreißend schönes Buch vorgelegt. Die sorgfältig recherchierte Geschichte des Schatzes bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts und sein weiteres Schicksal seit 1944 – dieses vorgestellt von Albrecht Philipps, Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche in Deutschland – ist spannende und unbedingt empfehlenswerte Lektüre, die dem Katalog der fast einhundert Paramente vorangestellt ist.

Der Katalog, Band 1 der von Birgitt Borkopp-Restle begründeten und herausgegebenen Reihe der Berner Forschungen zur Geschichte der textilen Künste beginnt mit einem Paukenschlag: Die ältesten, schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in den Schatz gelangten Chormäntel, Kasel und Dalmatiken wurden aus „panni tartarici“ gefertigt, einem Goldstoff oder Seiden-Lampas, der wohl im damaligen mongolischen Großreich zum Export in die im Süden des Reiches gelegenen muslimischen Vasallenstaaten gewebt wurde. Inschriften eines mit Papageien und Drachen verzierten Fragmentes und die Schriftbänder der für einen vollständigen Chormantel zwei Kasel und zwei Dalmatiken verwendeten hochdekorativen Streifengewebe weisen die Goldstoffe vermutlich als Geschenke für islamische Sultane aus. Die Verwendung dieser aus einem fremden Kulturkreis stammenden Stoffe im mittelalterlichen kirchlichen Kontext wirft Fragen auf. Wurden die Schriftstreifen als qualitätsvoller aber bedeutungsloser Dekor empfunden oder haben die Hersteller der Paramente, indem sie die Schriftbänder kopfstehend verarbeiteten bewusst die Lesbarkeit erschweren wollen? Neben weiteren Stoffen, deren Entstehung im Nahen und Mittleren Osten und in Spanien vermutet wird, stammt der größte Teil der Seiden und Samte aus den oberitalienischen Manufakturen.  Eine exakte Zuordnung zu den bekannten Zentren wie Lucca, Genua, Florenz oder Venedig ist meist nicht möglich, jedoch lässt sich anhand der chronologischen Ordnung sehr gut die Musterentwicklung vom 14. bis ins späte 15. Jahrhundert verfolgen. Die frühen Muster sind noch stark geprägt von ihren asiatischen Vorläufern und der Darstellung von allerlei Tieren, Vögel, Drachen, Hirsche, Hunde und Fabelwesen, während später florale Muster in den Vordergrund treten und schließlich in den Goldsamten mit großformatigen Granatapfelmustern einen Höhepunkt an technischer Perfektion und Kostbarkeit erreichen.

Zusammen mit den kleineren Paramenten wie Stolen und Manipeln und den verschiedensten Textilien zur Altar- und Kirchenausstattung spiegeln die in den Danziger Paramenten überlieferten Stoffe einen großen Teil des Musterrepertoires der italienischen Seiden jener Zeit wieder, ebenso wie die meist figürlichen Stickereien auf Stäben, Kaselkreuzen und dergleichen einen Einblick in die Vielfalt und Qualität dieses Handwerks gewähren, das im lokalen Umfeld Danzigs und überwiegend in Norddeutschland angesiedelt war.

Nur der Vollständigkeit halber ist hier noch das instruktive Kapitel über die Konstruktion der Gewänder, deren Materialität und handwerkliche Ausführung zu erwähnen und schließlich die sorgfältigen Gewebeanalysen und Schnittzeichnungen der Restauratorin Ulrike Reichert. Die Nummerierung der Objekte folgt der des Kataloges von Walter Mannowsky. Die hier nicht erfassten Objekte des Danziger Schatzes aus dem Nationalmuseum in Danzig sind Gegenstand eines anderen Katalogisierungsprojektes, auf das man nach dem von Brigitt Borkopp-Restle gesetzten Maßstab gespannt sein darf.

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