Die phantastische Welt der Brokatpapiere – Die Sammlung Adelheid Schönborn

Die phantastische Welt der Brokatpapiere – Die Sammlung Adelheid Schönborn

Autor/en:        Adelheid Schönborn, Michael Rothe (Hrsg.)

Verlag:           Haupt Verlag

Erschienen:    Bern 2020

Seiten:            184

Buchart:         Gebunden mit Schutzumschlag

Preis:              49,00

ISBN:             978-3-258-08208-0

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Private Sammlungen – so lautet eine oft zitierte und vielfach bestätigte Feststellung – sind mehr als die Summe der in ihnen versammelten Objekte. Sie ermöglichen einen oft nur versteckten, vielfach aber auch sehr deutlichen Blick auf den hinter ihnen stehenden Menschen, seine Vorlieben und Abneigungen, seine Liebe für bestimmte Details und Besonderheiten und seine vielleicht bestehenden Obsessionen, die Art und Weise, wie die Sammlung unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten oder intuitiv nach Geschmack und Gelegenheit und oft durch erstaunliche Zufälle und Begebenheiten entstanden und gewachsen ist. So ist es stets besonders spannend und informativ, wenn in Publikationen privater Sammlungen der/die Sammler/in selbst – und sei es nur mit einem Prolog – zu Wort kommt.

Ein wunderbares Beispiel für das Entstehen und Wachsen einer Sammlung ist das von Adelheid Schönborn herausgegebene Buch über ihre einzigartige private Kollektion seltener historischer Brokatpapiere. Die Geschichte ihrer Sammlung ist es wert, hier in geraffter Form wiedergegeben zu werden. Sie begann kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als der Vater von Adelheid Schönborn, Karl Schumm, Archivar des Hohenlohe Zentralarchivs in Schloss Neuenstein, interessiert an kunsthistorischen und volkskundlichen Themen, zu einem Haufen brennenden Papiers gerufen wurde, vermutlich der Restbestand einer längst aufgelassenen Buchbinderei. Es gelang ihm, eine stattliche Anzahl außergewöhnlich reizvoller Papiere vor der Vernichtung zu retten. Jahre später, Adelheid Schönborn war nun Schülerin, war sie zugegen als dieser Bestand von dem Kunsthistoriker und Papierspezialisten Albert Haemmerle begutachtet wurde. Dessen Hingabe und Kennerschaft für diese Papierkumst legte den Keim für Adelheid Schönborns Sammelleidenschaft, mit der sie viele Jahre später neben ihrem Beruf als Ärztin die Sammlung erweiterte und zur international anerkannten Expertin für das Spezialgebiet der Buntpapiere wurde.

Brokatpapiere, hergestellt von spezialisierten Papierwerkstätten im Raum Nürnberg und vor allem in Augsburg in der Zeit von 1700 bis etwa 1780 gehören zu den prächtigsten und kostbarsten Blättern angewandter Graphik und zu den faszinierenden Höhepunkten in der Geschichte des Buntpapiers. Wie ihre einfacheren Verwandten, die Sprengel-, Kleister- und marmorierten Papiere wurde sie in der Buchherstellung als Vorsatz- oder auch Einbandpapier von Buchbindern, aber auch als Überzugsmaterial von Futteral- und Schachtelmachern und von Möbelschreinern verwendet. Das erklärt, warum Beispiele fast ausschließlich nur als Fragment, also zugeschnitten für die jeweilige Verwendung, erhalten sind. In der Sammlung Schönborn befinden sich dank der zitierten Anfänge der Sammlung zahlreiche komplette Bögen dieser Brokatpapiere mit den häufig am Rand des Bogens stehenden Signaturen der Verleger. Ein gutes Dutzend dieser Verleger mit ihren Lebens- und Handwerksdaten konnten so ermittelt werden.

c: M.Buddeberg

Um 1690 entstanden in Augsburg Gold- und Silberpapiere, die vollflächig mit Blattmetallfolien bedruckt wurden. Zur Technik des Brokatpapiers war es dann nur noch ein kleiner Schritt. Bei diesem Prägedruckverfahren wurde in der Kupferdruckpresse mit erhitzten, gravierten Metallplatten auf mit Blattmetallfolien bedecktes Papier gedruckt. Durch die Wahl der Papiere und die mit unterschiedlichen Techniken vorbereiteten Druckplatten ergab sich eine kaum überschaubare Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten. Es entwickelte sich ein anspruchsvolles Kunsthandwerk auf hohem Niveau, das aber schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch Industrialisierung und neue Druckverfahren wieder an Bedeutung verlor. Der qualitative und künstlerische Höhepunkt kann in die Zeit um die Mitte des 18. Jahrhunderts datiert werden und damit zeitgleich mit der Blüte des Rokoko. So repräsentieren die siebzig in dem Buch gezeigten Beispiele aus der Sammlung Adelheid Schönborn ein Bildprogramm, wie es ähnlich von anderen zweidimensionalen Medien jener Zeit, etwa von Tapeten, vor allem aber aus der Seidenweberei bekannt ist, was den geprägten Papieren auch den treffenden Namen Brokatpapier eintrug. Die phantastische Welt der Brokatpapiere ist vor allem eine von Pflanzen und Tieren belebte Welt. Vögel, aber auch Schmetterlinge und Käfer tummeln sich zwischen Ranken, Blüten und Blattwerk. Löwe, Bär und Einhorn verstecken sich in einem System arabeskenartiger Zweige, die in Phantasieblüten enden. Akanthus, Früchte, Rosetten, Blätter und Blumen überziehen bunt und in immer wieder neuen Kombinationen den dekorativen Gold- oder Silbergrund. Aber auch Menschenwerk trägt zum dekorativen Programm bei, wie etwa Füllhörner, Vasen, geometrische und architektonische Elemente oder groteske Mascarons und nicht zuletzt auch Figuren bei allerlei Aktivitäten, Jäger auf der Jagd nach Beute, Venus umgeben von Putti oder Heilige mit ihren Insignien. Schließlich und dem Trend der Zeit entsprechend hat auch die Chinamode Eingang in die Gestaltung der Brokatpapiere gefunden; die Blätter mit exotisch gekleideten Gestalten und chinesisch anmutenden Dekoren gehören zu den phantasievollsten Arbeiten dieser bemerkenswerten Papierkunst. Sie machen besonders deutlich, dass die Variationsmöglichkeiten des Prägedruckverfahrens die durch die komplizierte Technik begrenzten Gestaltungsspielräume der Brokatweberei bei weitem übertreffen. Das Buch über die Brokatpapiere der Sammlung Adelheid Schönborn ist ein großes ästhetisches Vergnügen.

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