Bon – The Magic World – The Indigenous Religion of Tibet

Autor/en: Samten G. Karmay, Jeff Watt (Hrsg)
Verlag: Rubin Museum of Art – Philip Wilson Publishers
Erschienen: New York – London 2007
Seiten: 232
Ausgabe: Paperback – Hardback
Preis: 37.50 engl.Pfund (gebundene Verlagsausgabe)
ISBN: 9780977213122 (soft) – 97880856676499 (hard)
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2008

Besprechung:
Auf jedem der hohen Pässe Tibets und auf manchem seiner ungezählten Gipfel ist ein Lhatse, ein der lokalen Berggottheit geweihter Steinhaufen, den jeder Reisende um einen weiteren Stein erhöht. Meistens flattern von einem im Lhatse steckenden Pfahl auch bunte Gebetsfahnen, deren aufgedruckte Zauberformeln und Gebete der Wind zu ihren himmlischen Adressaten trägt. Jeder kennt dieses für Tibet so typische Bild, doch kaum einer weiß, dass es sich hier um uralte Glaubensvorstellungen und Rituale der vorbuddhistischen Bön-Religion handelt, die sich im Volksglauben Tibets ebenso wie Geisterfallen, Manimauern, Butterfiguren oder Gebetsmühlen bis heute erhalten haben. Diese gelebte Wirklichkeit – Kenner schätzen die Zahl der praktizierenden Bön-Anhänger in Tibet auf etwa eine Million mit heute über 200 Klöstern – und das Wissen um die Ur-Religion Tibets stehen in einem krassen Missverhältnis. In aller Regel werden ganz pauschal alle Glaubensäußerungen, Rituale und Objekte, alle Kunst aus dem Himalaya dem tibetischen Buddhismus zugeschrieben. Und in der Tat sind Bön und Buddhismus nur schwer voneinander zu unterscheiden, denn sie haben sich über mehr als ein Jahrtausend gegenseitig beeinflusst, durchdrungen und einander angenähert, so dass vom Bön neben den bestehenden vier klassischen Schulen oder Glaubensrichtungen oft auch als der fünften Schule des tibetischen Buddhismus gesprochen wird, dies umso mehr, als der 14. Dalai Lama 1988 den Bön gleichsam offiziell anerkannt hat. Doch immer wieder kommt es vor, so berichtet der Sammler Donald Rubin, dass von einem buddhistischen Kunstobjekt, etwa von einem Thangka, eine besondere oder eigenartige Ausstrahlung ausgeht, dass es irgendwie anders ist als gewohnt, dass es ungewöhnliche Objekte zeigt, ungewohnte Figuren, tierähnliche Gestalten und unbekannte Gottheiten. Es ist dann in der Regel ein Kunstwerk der Bön, und diese Andersartigkeit hat Donald Rubin seit Beginn seiner Sammeltätigkeit im Jahre 1975 stets fasziniert. Mit Thangkas, Skulpturen und zahlreichen anderen Objekten aus der Sammlung Rubin, ergänzt mit Leihgaben aus amerikanischen und europäischen Sammlungen veranstaltete das Rubin Museum of Art in New York ab Herbst 2007 die weltweit erste Ausstellung über die Kunst der Bön, derzeit zu sehen in Berkeley und später noch in einigen Städten Japans. Zu der bemerkenswerten Ausstellung erschien ein wichtiges Buch, das zwar auch Katalog zur Ausstellung ist aber noch viel mehr ein Handbuch über die Religion der Bön aus der Sicht seiner Kunst. Ein knappes Dutzend Essays der besten Kenner der Materie ranken sich um die etwa einhundert vorgestellten Bilder, Skulpturen und Objekte. Samten Karmay bietet einen historischen Überblick über die Bön-Religion, Per Kvaerne befasst sich vertieft mit Tonpa Shenrab, dem legendären Gründer des Bön-Glaubens, Jeff Watt gibt eine Einführung in die Kunst der Bön und weitere Autoren schreiben über die Mythen und Rituale des Bön, über die Heiligen Berge und die Kraft-Plätze in der Geographie Tibets, über Pilger, Pilgerrituale und Pilgerreisen, über der Bedeutung tantrischer Lehren und Gottheiten im Bön-Glauben und schließlich über bestimmte Aspekte, Inhalte und Themen der Bön-Kunst. Im Gegensatz zum Buddhismus gibt es über Entstehung und Herkunft der Ur-Religion Tibets keine frühen schriftlichen Quellen und erstmals mit dem geheimnisvollen Land Shangshung im fernen Westen Tibets, tritt im 7. Jahrhundert die Heimat der Bön-Religion in die historische Wirklichkeit und wird sogleich von Songtsen Gampo, dem bedeutenden tibetischen König der Yarlung Dynastie erobert und überrannt. Songtsen Gampo nimmt sich neben seine buddhistischen Gattinen aus Nepal und China auch eine Prinzessin aus Shangshung zur Frau und so beginnt das fruchtbare Nebeneinander von Buddhismus und Bön, mit dem Ergebnis – so Samten Karmay – dass Bön und tibetischer Buddhismus sich zueinander verhalten wie zwei Seiten einer Münze – um sie zu verstehen, muss man beide Seiten kennen. Deshalb ist dann auch die so wichtige zweite Welle der Einführung des Buddhismus in Tibet, die im 11. Jahrhundert im Königreich Guge ihren Ausgang nimmt, auch ein Neubeginn des Bön und die Zeit der historisch durch Personen und Ereignisse dokumentierten Übernahme seiner Mythen, Rituale und Praktiken in den tibetischen Buddhismus. Es ist die Zeit der Erweiterung des buddhistischen Pantheons um ungezählte Berggötter, Dämonen der Unterwelt, Felsen-, Wind- und Wassergeister und vieler anderer Wesen, für die unsere Sprache keine Namen bereithält. Alle diese Herren der Erde, der Unterwelt und des Himmels können hochgefährlich sein, wenn man sie stört, sie können Krankheit, Erdbeben, Unwetter und viel anderes Unglück bringen und so ist ihnen Respekt zu gewähren und Verehrung, denn dann bringen sie Segen, Fruchtbarkeit, Schutz und Wohlergehen. Es ist auch die Zeit der Geburt der Bön-Kunst, wie wir sie heute kennen, eingebettet in die strenge Formensprache buddhistischer Darstellung, aber zugleich freier und weiter in den Inhalten. Gestalten und ihre Gesten, Attribute, Thronsitz und Torana, ja sogar Bauwerke und Landschaften folgen nicht mehr den festen Regeln ikonographischer Korrektheit, und wir entdecken allerlei fremde und ungewohnte Formen, Symbole und Wesen, links drehende Swastika, eigenartige Kopfbedeckungen, einen Dreizack anstelle des Sonne-Mond-Symbols als Bekrönung des Chörten, Machen Pomra, den Berggott von Amdo, Schneelöwen, Tiger, Braunbären und Kyangs. Das Buch öffnet die Augen für eine Verschmelzung animistisch-schamanistischer Vorstellungen mit spirituellen Inhalten, von der viele sagen, sie sei der wahre Glaube Tibets, und es öffnet die Augen für eine Kunst, die mehr über Tibet und die Tibeter und das Leben auf dem Dach der Welt aussagt als das buddhistische Kunst sonst vermag.

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