Velvets of the Fifteenth Century

Velvets of the Fifteenth Century

 

Autor:            Michael Peter (Hrsg)

Verlag:           Abegg-Stiftung

Erschienen:    Riggisberg 2020

Seiten:            232

Buchart:         Klappenbroschur

Preis:              CHF 85,00

ISBN:             978-3-905014-71-6

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Samte, die aufwändigsten, kostbarsten und prestigeträchtigsten Textilien des Mittelalters an der Wende zur Neuzeit haben den Textilindustriellen und Sammler Werner Abegg schon frühzeitig in ihren Bann gezogen. Sie bildeten seit den Anfängen der Sammlung in den zwanziger Jahren des 20.Jahrhunderts stets einen Schwerpunkt seines Sammelinteresses. Die Abegg Stiftung hat diesen Bestand sorgfältig und konsequent weiter gepflegt und ausgebaut und verfügt heute mit 80 europäischen, überwiegend italienischen Samten sowie Exemplaren aus Spanien und dem Osmanischen Reich über eine der nach Umfang, Vielfalt und künstlerischem Rang der Objekte weltweit bedeutendsten Sammlungen ihrer Art. Man sollte nun meinen, dass der schon 2019 erschienene und ob seines Umfangs auf zwei stattliche Bände verteilte Bestandskatalog dieser Sammlung von Samten vor 1500 das Thema – wie man es von den Bestandskatalogen der Abegg Stiftung gewohnt ist – erschöpfend behandelt und keine Fragen offen lässt (Die Rezension des Bestandskataloges wurde im September 2019 hier publiziert und ist über das Suchwort „Samte“ sofort aufrufbar).

Mitnichten! belehrt den Leser der soeben erschienene Band 24 der Riggisberger Berichte, der die Beiträge internationaler Experten* eines schon 2015 in Riggisberg veranstalteten Symposiums enthält. Infolge der strengen Objektbezogenheit des Bestandskataloges blieb der Blick auf Vergleichsobjekte in anderen Sammlungen verwehrt und objektübergreifende Untersuchungen zur Entwicklung von Stil und Technik, zu Datierung und Zuschreibung und schließlich zu den kaufmännischen und behördlichen Rahmenbedingungen konnten nur am Rande Erwähnung finden. Der Symposiumsband, soviel sei hier vorweggenommen, ist damit eine überaus wertvolle Ergänzung zum großen Katalog.

Der einführende Beitrag von Michael Peter, dem Autor des Bestandskataloges und Herausgeber die Symposiumsbandes fasst die stürmische, durch Innovation und Wettbewerb geprägte technische und künstlerische Entwicklung der europäischen Samtweberei im 15. Jahrhundert zusammen und schafft damit den Rahmen für die folgenden Beiträge. Diese sind zunächst zwei bedeutenden Chormänteln gewidmet. Ilona Kos (St. Gallen) berichtet über Geschichte, Herkunft und vor allem den technischen Aufbau eines bereits 1536 erstmals erwähnten Chormantels aus der Kathedrale in Luzern, heute im Historischen Museum in Bern, der aus nicht weniger als 64, teilweise winzigen Teilstücken zusammengesetzt wurde, ein Beispiel für die seinerzeit übliche Zweit- oder gar Drittverwertung von Material in liturgischen Textilien, hier wohl komponiert aus einer Pferdeschabracke als Erstgebrauch. Es folgt der Chormantel mit dem Wappen des Kardinals Francesco della Rovere, des späteren Papstes Sixtus IV, heute im Boston Museum of Fine Arts. Die von Lisa Monnas (London) erzählte, nur ins 19. Jahrhundert zurückreichende Provenienz dieses Mantels ist ein illustres Kaleidoskop prominenter Sammler und Händler. Über den nur wenig bekannten Bestand früher Samte in Schweden, vor allem in den Kathedralen von Uppsala, Lund und Strängnäs berichtet Margareta Nockert, bevor sich Roberta Orsi Landini (Florenz) mit der bisher kaum untersuchten Zuschreibung von Textilien zu bestimmten Produktionsstätten befasst und damit den Anfang einer neuen Forschungsdisziplin zur Technik der Samtweberei begründet. Technische Fragen stehen auch im Beitrag von Suzanne Lassalle (Florenz) und  Sophie Desrosiers (Paris) im Vordergrund. Sie versuchen, das einzigartige Erscheinungsbild der Samte des 15. Jahrhunderts durch die mikroskopische Untersuchung der Seidengarne zu erklären.

Es folgen Beiträge zur Geschichte von Samt und Samtweberei: Evelin Wetter (Riggisberg) findet die Wertschätzung, die die Gesellschaft im 15. Jahrhundert den Samten entgegenbrachte durch frühe Inventare wie etwa das der Kathedrale in Prag bestätigt. Der Gebrauch von Samt als Mittel zur Demonstration königlicher Machtfülle und als Beweis des Anspruchs auf den Thron wird von Maria Hayward (Southampton) am Beispiel Heinrichs VII, des ersten englischen Monarchen aus dem Hause Tudor erläutert. Thomas Ertl (Berlin) schürft noch ein wenig tiefer und berichtet, dass die Kostbarkeit und Prestigeträchtigkeit dieses oft mit Gold und Silber durchwirkten Materials zu gesetzlichen Vorschriften oder gar Verboten über das Tragen von Textilien aus Samt führte. Was hohen Würdenträgern aus Kirche und Adel als textiles Statussymbol gestattet war, war für andere sündige Extravaganz. Auch der Handel mit diesen Luxustextilien bewegte sich zwischen Regeln und kaufmännischer Freiheit. Jörg Richter (Hannover) hat hierfür alte Kontobücher als Quellen für die damaligen Messeplätze, hier vor allem Genua, und über historische Handelswege ausgewertet. So auch Juliane von Fiercks (Jena), die anhand von Kontobüchern der Regensburger Händlerfamilie Runtinger über den Fernhandel am Ende des 14. Jahrhunderts berichtet und über deren Einkäufe von Samt in Venedig, Lucca und Bologna.

Auch im Osmanischen Reich waren Luxustextilien unverzichtbares Symbol von Macht und Reichtum. Louise W. Mackie (Cleveland) beschreibt die Entwicklung von Bursa zum Hauptort für Herstellung und Handel von osmanischen Samten, während Corinna Kienzler (Abegg Stiftung) anhand von Diagrammen und Makroaufnahmen die Geheimnisse osmanischer Samtweberei lüftet. Schließlich berichtet Germán Navarro Espinach (Saragossa) über  spanische Samte, die trotz der Tradition islamischer Seidenweberei in Spanien im Wege eines Technologietranfer aus Norditalien die iberische Halbinsel erreichten.

So, wie Rembrandt Duits (London) das nahezu uferlose Kapitel der Rolle von Samt in der Malerei der Renaissance mit einem Hinweis auf den wenig bekannten Florentiner Maler Piero del Pollaiuolo (1443-1496) und dessen kaum zu übertreffende Wiedergabe von Samt nur am Rande streift, so kann auch diese Rezension nur kleine Bruchstücke aus der Überfülle der Informationen dieses Buches herauspicken und damit im besten Falle Neugier auf mehr entfachen.

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